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4 Seiten

Der Fund

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Geminus
Nach einem Felssturz in den Schweizer Alpen wurde in einer freigelegten Höhle in der Nähe des Berges Eiger ein steinaltes Alphorn entdeckt. Sofort wurde die Berner Kantonspolizei informiert, die ihrerseits die archäologische Abteilung der Zürcher Universität verständigte. Ein gewisser Alfons Stürzli, seines Zeichens Professor und Inhaber des Lehrstuhles "Funde vorzeitlicher Alphörner in Höhlen des Schweizer Zentralmassives", ließ es sich nicht nehmen, in eigener Person anzureisen, um den Fund fachmännisch zu beurteilen. Nachdem zwei Träger den Professor, der nach einem Unfall nur noch ein Bein besaß, in die schwer zugängliche Höhle gebracht hatten, ging er sofort daran, das Horn genauestens in Augenschein zu nehmen.
Für den gemeinen Menschen, so war Stürzlis Ansicht, mag so ein Instrument wenig aufregend sein. Genau genommen besteht es ja aus nichts Anderem, als einer engen Öffnung auf der einen Seite, in die man kräftig hinein bläst, und am anderen Ende aus einer trichterförmigen Erweiterung, der man mehr oder weniger wohlklingende Töne entlocken kann. Für ihn jedoch verkörperte das Alphorn schweizerische Tradition in Verbindung mit handwerklichem Geschick und Ästhetik.

Rasch ließ er Verpflegung und Beleuchtungskörper in die Höhle schaffen, jagte seine Assistenten hinaus und verbat sich jegliche Störung durch Zweite oder Dritte auf zwölf Stunden. Am Morgen des folgenden Tages trat er ein wenig zerknittert aus der Höhle heraus. Umgehend ließ er seine Mitarbeiter und den gerade anwesenden Bürgermeister antreten. Anschließend stellte er sich stolz in Positur und verkündete mit pathetischen Worten, dass er, Alfons Stürzli, das seit Jahrhunderten als vermisst geltende und von vielen seiner Kollegen als Alm-Öhi-Geschichte abgetane - Horn des Verderbens - wiederentdeckt hatte.

- Von selbst versteht sich, dass der wirkliche Entdecker, ein junger Ziegenhirte namens Peter, mit keinem Wort erwähnt wurde -

Wie der Professor den verblüfften Anwesenden erklärte, schrieb die Schweizer Urbevölkerung jenem Horn magische Kräfte zu. Nach alten Überlieferungen wurden Land und Leute, nachdem man auf dem Instrument blies, von Not, Tod und Krankheit heimgesucht. Vermutlich, so führte er weiter aus, hatte man das Horn aus diesem Grund in die Höhle verbannt. Doch in aufgeklärter Zeit schenke er den von Aberglauben geschwängerten Überlieferungen keine weitere Beachtung. Weiterhin verkündete er, dass nach einigen Wochen der Restaurierung am Neujahrstag jedermann den Klang des alten Instrumentes bei einer Vorführung bewundern könne.

Als der große Tag kam, versammelten sich große Teile der hiesige Bevölkerung und einige Herren der lokalen Presse in der Aula eines nahe gelegenen Gymnasiums. Kaum einer wollte den großen Moment, an dem das Horn nach Jahrhunderten der Ruhe zum ersten Mal wieder zum Leben erweckt werden würde, verpassen. Lediglich einige ältere Einheimische blieben dem Spektakel fern. Sie hatten, nachdem sie von dem Fund hörten, dass Kreuz geschlagen und vor der Aufführung gewarnt. Etwas Furchtbares würde geschehen. Nachdem der Bürgermeister den Professor angekündigt und sich über die Rückständigkeit einiger nicht anwesenden Ortsansässigen ausgelassen hatte, betrat Stürzli unter Beifall das Podium. Hier hielt er eine leidenschaftliche, aber für den Laien einschläfernde, wissenschaftliche Rede. Jedermann war froh, als er seinen Vortrag beendet hatte und nun das mit Berner Nationalmotiven bestickte Tuch von dem Horn zog. Ein enttäuschtes Murren ging durch die Zuschauerränge, denn das aufgebahrte Instrument hatte wenig mit den hochglanzpolierten und aufwändig ziselierten Alphörnern gemein, auf denen heute geblasen wurde. Es war bestenfalls zwei Meter lang und bestand aus runzeligen, grauen Rinderhörnern, die wenig kunstvoll ineinander gesteckt waren. Als einzige Verzierung erkannte man lediglich einige runenartige Einkerbungen, die in die spröde Oberfläche eingeritzt worden waren.
Stürzli, dem die Ernüchterung im Publikum nicht entgangen war, ergriff sichtlich erregt das Wort, um die enttäuschten Gemüter zu besänftigen. Doch den Anwesenden war genug geredet worden. Man erstickte seine wohlwollenden Ausführungen im Keim, indem er mit barschen Worten aufgefordert wurde, endlich ein paar Noten zu blasen, damit man noch pünktlich zum Neujahrsessen kommen könne. Also trat er zerknirscht hinter das Mundstück, holte tief Luft und blies hinein.
Das Horn, an dessen Klang hohe Erwartungen gerichtet waren, versagte jedoch auch in diesem Punkt. Disharmonische Töne breiteten sich lawinenartig in der Aula aus und ließen, nach späteren Aussagen, sogar das Bier in der benachbarten Ratsschänke sauer werden. Selbst für die abgehärteten Ohren alphorngewohnter Einheimischer war das zu viel. Schnell leerten sich die ersten Ränge und innerhalb kurzer Zeit war die Aula wie leer gefegt. Stürzli bemerkte es erst nicht, da er sich mit rot gefärbtem Gesicht und aufgeblasenen Wangen voll auf sein Spiel konzentriert hatte. Er blies noch einige Minuten ununterbrochen weiter, wobei es ihm jedoch nicht gelang, dem Instrument auch nur annähernd melodische Klänge zu entlocken. Schließlich gab er resigniert auf und blickte enttäuscht in den Saal. Bis auf einen kleinwüchsigen, unscheinbaren Mann, der mit einem Skizzenblock in der Hand in der zweiten Reihe saß, waren alle geflüchtet. Stürzli verließ deprimiert die Bühne, stieg die wenigen Stufen zum Zuschauerraum hinunter und widmete sich der einzig verbliebenen Person.
"Die Zeit ist noch nicht reif", sprach er ihn an. "Die Menschen wissen ihre Vergangenheit nicht zu würdigen." Dann ließ er sich die Skizzen zeigen, die der Künstler, entsprechend seinem Auftrag, während der Vorführung angefertigt hatte. Ein kurzer Blick auf das Papier genügte, um Stürzli davon zu überzeugen, dass dem Maler keine große Zukunft gehören würde.
"Wissen sie", meinte er diplomatisch, "ich glaube wir können uns eine weitere Ausarbeitung nach diesem Desaster sparen Herr ..." Stürzli überlegte, aber ihm wollte der Name des Künstlers nicht einfallen. Sein Gegenüber, der seinem Akzent nach Österreicher war, nutzte Stürzlis Verlegenheit und ergriff ungeduldig das Wort.
"Glauben sie mir, Herr Professor", stieß er erregt aus, während ihm Speichel unkontrolliert aus dem Mundwinkel lief.
"Ich bin begeistert, geradezu überwältigt, ich fühle mich durch Ihre Vorführung seltsam inspiriert, wie ein anderer Mensch." Stürzli, der mit ein wenig Menschenkenntnis gesegnet war, sah seinem Gesprächspartner befremdet in die von fieberhaftem Glühen erfüllten Augen.
"Ich glaube", so sprach der Künstler weiter, " dass sich die Menschen noch ändern werden, und ich bin fest überzeugt, meinen Beitrag dazu leisten zu können." Der Professor schaute ungläubig zum Horn, dann zu seinem absonderlichen Gegenüber.
"Sie müssen entschuldigen", entgegneter der Professor ausweichend, "meine Zeit ist kostbar und ..."
"Ich verstehe schon, mein lieber Freund", unterbrach ihn der Maler, und während Stürzli sich seinem Horn zuwandte, fuhr er selbstsicher fort
"Ich bin fest überzeugt, das heute begonnene dritte Jahrzehnt wird der Anfang von etwas ganz Großem werden." Dann beugte er sich linkisch zu Stürzli hinüber und flüsterte ihm ein wenig anmaßend ins Ohr:
„Übrigens, wenn Sie erlauben, Herr Professor, meine Freunde dürfen mich Adolf nennen."
 
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Kommentare  

Hihi, herrlich und gruselig zugleich.

Petra (10.06.2011)

Na du kannst vielleicht Haken schlagen. Tolle Story mit beißendem Humor. Wirklich geglückt.

Jochen (10.06.2011)

Und ob es dir gelungen ist. Auch ich muss mich mit einem großen Lob anschließen.

Else08 (09.06.2011)

Ich habe immer gerne Geschichten von Henry Slesar, Roald Dahl oder John Collier gelesen, deren unerwartetes Ende den Leser verblüfft zurück läßt.
Ich hoffe, dass es mir hier ebenfalls ansatzweise gelungen ist!


Geminus (08.06.2011)

Habe schmunzeln müssen. Besonders der Schluss ist ja der Knüller, obwohl ...eigentlich schaurig!

doska (08.06.2011)

und so hat das horn des verderbens zugeschlagen... ;-)
wundervolle geschichte, blendend geschrieben - und die anspielungen auf den alm-öhi und den peter sind auch nicht schlecht.
lieben gruß


Ingrid Alias I (08.06.2011)

Köstlich. Eine sehr gelungene Satire. Bin ganz begeistert.

Gerald W. (07.06.2011)

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