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3 Seiten

Man wird es melden müssen

Schauriges · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
© Gabi Mast
„Wo der Günter nur so lange bleibt?“ dachte Ursula, die im Auto langsam zu frösteln begann. Und das lag sicher nicht daran, daß es in dieser Nacht kalt gewesen wäre. Im Gegenteil, es war ein herrlicher Sommerabend, der die beiden zu dieser Fahrt inspiriert hatte. Ursulas Frieren hatte ihre Ursachen in der Sorge um Günter, der nun schon über eine Viertelstunde in diesem einsamen Haus verweilte, von wo er eigentlich nur eine Kfz-Werkstatt hatte anrufen wollen.
Daß der Wagen aber auch ausgerechnet hier seinen Dienst verweigern mußte, wo weder eine größere Ortschaft noch auch nur eine Hauptstraße in der Nähe waren. Glücklicherweise stand da vorne auf dem Hügel wenigstens dieses Haus, und glücklicherweise war da auch jemand zuhause.
Trotzdem: Ursula wurde immer unruhiger. Schon fast eine halbe Stunde war Günter jetzt da drin. Ob ihm etwas zugestoßen war? Ab konnte ja nie wissen, wer in so einer abgelegenen Gegend wohnt.
„Ich geh‘ jetzt und schau‘ nach“, nahm sich Ursula vor, verwarf dieses Vorhaben aber dann auch gleich wieder. Viel zu unheimlich war es ihr hier, als daß sie sich da hinaus in diese Nacht getraut hätte.
Da – endlich – die Tür des Hauses öffnete sich und Günter stürzte heraus. Wenige Augenblicke später öffnete sich die Autotür und er rettete sich zu ihr in das Innere des Wagens.
Da saß er nun, nach Atem ringend, am ganzen Leib zitternd und unfähig, auch nur ein Wort zu sagen.
Irgendetwas mußte passiert sein in diesem seltsamen Haus. Und Ursula würde es erfahren, sobald sich Günter beruhigt hatte.
Sein Zittern hatte sich zwar schon etwas gelegt, aber noch immer hatte Günter seine Sprach nicht wieder gefunden.
Nach einer Weile des erschrockenen Schweigens begann Ursula behutsam, ihn anzusprechen.
„Hast...hast du die Werkstatt erreicht?“
Günter schüttelte den Kopf.
„Gab es denn kein Telefon im Haus?“
„Doch“, war das erste Wort, das er eher stammelte, „doch, aber ich konnte keine Werkstatt mehr erreichen.“
„Und was jetzt?“
„Ich habe ein Taxi gerufen. Wir müssen den Wagen heute Nacht hier stehen lassen.“
„Das ist nicht so schlimm. Aber sag‘ mal, was war denn eigentlich los da drin. Da ist doch was passiert?“
Günter, der sofort wieder eine Gänsehaut bekam, fing an zu erzählen.
„Es war alles so schrecklich. Der Raum, die vielen Blumen...“
„Was denn für Blumen?“
„Freesien. Es waren Freesien. Und dann dieser Gestank...“
„Freesien haben nun einmal einen starken Duft. Das ist doch kein Gestank,“
„In diesem Fall schon. Und dann der alte Mann. Er hat sich gefreut wie ein Kind.“
„Er kriegt vielleicht nicht oft Besuch. Wieso bringt es dich so aus der Fassung, wenn ein alter Mann sich Blumen ins Zimmer stellt und sich über einen Gast freut?“
„Sie feierten ihren Hochzeitstag.“
„Sie?“
„Ja, er und seine Frau.“
„War sie auch da?“
„Ja, sie saß im Lehnstuhl inmitten der Blumen.“
„Und was hat sie gesagt?“
„Sie schien zu schlafen. Vor ihr stand ein Glas Schlehenlikör. Und der Mann war reichlich betrunken.“
„Das kann doch vorkommen am Hochzeitstag. Die beiden haben wohl etwas zu ausgiebig gefeiert. Und du...?“ sie schnüffelte an seinem Atem, „du scheinst auch mitgefeiert zu haben. Du hast auch getrunken.“
„Ja, ja, ich mußte zwei Gläser Schlehenlikör mit ihm trinken. Er hätte mich sonst nicht gehen lassen. Ich sage dir ja, er war wie ein Kind.“
„Und weiter?“
„Und diese Frau. Du hättest es sehen sollen, wie sie da saß. Und der Mann hat immer wieder gesagt: „Schauen Sie, schauen Sie nur, wie schön sie ist.““
„Und? War sie denn nicht schön?“
„Sie war sicher einst wunderschön gewesen.“
„Für ihn ist sie es eben immer noch. Das ist doch wunderbar. Ich verstehe immer weniger, was dich so aufgewühlt hat. Ich habe hier im Auto gesessen und eine unheimliche Angst ausgestanden. Ich dachte, dir sei etwas zugestoßen. Und jetzt sitzt du neben mir und erzählst mir die rührende Geschichte von zwei alten Menschen, die , zwar einsam, aber offenbar doch sehr glücklich, ihren Hochzeitstag feiern. Da werde ich langsam wütend. Hoffentlich kommt das Taxi bald.“
„Du verstehst gar nichts, Ursula. Diese Frau – sie hatte ihr schönstes Kleid an, und auf der weißen Rüschenschürze sah man noch die Knicke vom Bügeln. Die blutleeren Hände lagen gestreckt auf den Stuhllehnen, und sie saß unnatürlich aufrecht. Nur das fahle Gesicht fiel ihr auf die Schultern. Ihre Füße standen akkurat nebeneinander, verstehst du?“
„Nein, ich verstehe überhaupt nichts.“
„Mensch, Ursula, sie hat sich nicht selbst so hingesetzt. Diese Frau ist schon eine ganze Weile tot.“
Es dauerte eine Zeitlang, bis Ursula die Bedeutung dessen, was Günter eben gesagt hatte, begriff. Für einen Augenblick war es gespenstig still im Wagen.
Ganz leise war Ursula geworden, als sie wieder zu sprechen begann.
„Wir werden es melden müssen.“
Günter nickte. „Ja, das werden wir tun müssen. Auch, wenn wir ihm dadurch möglicherweise das Leben nehmen.“
 
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Kommentare  

Ab Mitte der Geschichte war mir klar was mit der Frau los ist, Norman Bates läßt grüßen.
Aber mal ehrlich, fiel wirklich das fahle Gesicht auf die Schultern, oder waren es doch die Haare???
Zu Anfang dachte ich der Mann hätte was am Auto manipuliert um dann schnell eine Nummer in einem Bordell zu wählen, während die Ahnungslose im Auto wartet, aber dann kam mir Normans Mutter in den Sinn. 3 Punkte


NewWolz (25.02.2004)

Interessant, wie du die Aufgabe gelöst hast.
da bei dieser Schreibaufgabe ja recht viel vorgegeben war, hatte man nicht viel Freiraum eine Story zu erfinden, wo man noch dazu mit so wenig Zeilen auskommen muss.
deine Idee finde ich ganz gut. falls du mal Lust hast, meine Version zu lesen,melde dich kurz...
Gruß,
Heidi StN


Heidi StN (21.02.2004)

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