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5 Seiten

Der Garten

Trauriges · Kurzgeschichten
Er stieß den Spaten in den lehmigen Boden, richtete sich auf und atmete geräuschvoll aus. Sein entblößter, muskulöser Oberkörper glänzte im Licht der Mittagssonne vor Schweiß. Er fuhr sich mit seiner schwieligen, rechten Hand durch den dichten schwarzen Haarschopf. Adam besah sein Werk und nickte zufrieden. Seit dem frühen Morgen war er an der Arbeit. Nun hatte die Sonne ihren Höchststand erreicht und das Beet war fast fertig. Bald konnten sie einsäen.
„Adam!“ Er blickte auf. Im Gegenlicht erkannte er die zierliche Gestalt seiner Frau. Magdalena stand beim Haus, die Stirn mit der linken Hand beschattet. Mit der Rechten winkte sie zu ihm herüber:
„Musisz teraz koniecznie cos zjesc! Wszystko jest juz gotowe!” (*)
„Tak, moment! Przychodze!” (**) Er reckte die Schultern und warf noch einen letzten Blick auf das neuangelegte Beet, bevor er zum Haus ging.

Die Fliege lief auf ihren dünnen Beinen über die pergamentartige, fleckige Haut seines Handrückens. Von der Wurzel des Mittelfingers hin zum Handgelenk führte ihr Weg, ständig unterbrochen durch ihre Versuche, aus den Hautporen zu trinken. Adam beobachtete sie aufmerksam. Er bemühte sich, ganz flach zu atmen, um die Fliege nicht zu verjagen. Als die Fliege sein Handgelenk erreichte und kurz vor den eintätowierten Ziffern einmal mehr in ihrer Wanderung innehielt, durchbrach ein Geräusch die Stille. Am Ende des Ganges wurde ein schwerer Schlüssel in das Schloss der massiven Stahltür geschoben. Sanft blies Adam über seine Hand. Die Fliege wurde von dem Luftstrom erfasst, stemmte sich einige Sekunden dagegen, entfaltete schließlich die Flügel und flog davon. Er vernahm den Wiederhall der Schritte auf dem langen Gang vor der Zelle. Es war soweit. Sie kamen ihn holen. Mit knarrenden Gelenken erhob er sich schwerfällig von dem eisernen Bett. Mit fahrigen Bewegungen versuchte er den groben Stoff der Anstaltskleidung zu glätten, gab es auf und strich sich durch das dichte, eisgraue Haar. Er ging zu der stählernen Gittertür und strengte sich an, aufrecht zu stehen. Leicht gebeugt stand er da, lauschte dem harten Pochen der näherkommenden Schritte. Er sah durch das Gitter in die Ferne, zurück... .

„Mr. Bielak, bitte! Ich möchte Ihnen doch nur helfen!” Anzeichen von Gereiztheit und eine leise Spur von Verzweiflung schwangen in der Stimme der Anwältin. Adam sah sie schweigsam an.
„Wenn Sie mir nichts sagen...wie soll ich Sie dann verteidigen? Oder ist Ihnen alles gleichgültig??“
Er sah ihr in die Augen. „Wie alt sind Sie. Miss Clayton?“, sagte er leise.
„Ich...ich weiß nicht, was...27...“, antwortete sie und hob eine Augenbraue.
„So jung noch...und so tüchtig! Ihre Eltern müssen sehr stolz auf sie sein.“ Die Anwältin schob ihre Brille nervös zurück. Sie beugte sich nach vorne. In eindringlichem Tonfall sprach sie weiter:
„Mr. Bielak, Sie stehen unter Mordanklage! Anscheinend wissen Sie nicht, was das bedeutet!?“ Adam lächelte sie an:
„Wissen Sie, Miss Clayton, meine Frau und ich ... wir wünschten uns auch eine Tochter...“ Die junge Frau errötete. Sie sah auf ihre Unterlagen. In gezwungen sachlichem Tonfall sprach sie weiter:
„Sie haben einen Mann erschlagen. In aller Öffentlichkeit, in einem Restaurant. Vor aller Augen, im Beisein der nächsten Angehörigen des Opfers. Sie waren seiner Familie bis dahin völlig unbekannt. Es gibt kein erkennbares Motiv für ihre Tat.“ Sie unterbrach sich und sah auf. Etwas sanfter fuhr sie fort:
„Mr. Bielak. Ich möchte es – bitte!! - verstehen!“ Adam erwiderte ihren Blick, lächelte sie an, sah dabei durch sie hindurch und hörte das Fauchen der Lokomotive... .

Der Soldat nickte nach links. Sie machten mit gesenktem Kopf einen Schritt in Richtung der anderen, Adam hielt Magdalenas Hand fest in der seinen.
„Halt!“
Ein Muskel zuckte in dem Gesicht des Soldaten. Die Stimme klang scharf und befehlsgewohnt. Sie durchschnitt mühelos die fauchenden Atemgeräusche der wartenden Lokomotive. Adam und Magdalena blieben stehen. Sie wagten nicht aufzusehen. Adams Füße spürten das Zittern der hölzernen Bohlen der Verladerampe. Jemand näherte sich. Ein Beben fuhr durch das Holz, hinauf in Adams Magen, als der Soldat die Hacken zusammen schlug.
Die Stimme erklang erneut, diesmal näher:„Die Frau...andere Seite!“
„Jawohl Obersturmbannführer, sehr wohl Obersturmbandführer!“, sprudelte es gehetzt aus dem Soldaten heraus. Adams Hand schloss sich fester um die seiner Frau. Er hob den Kopf. Sein Blick traf sich mit dem zweier stahlblauer kalter Augen hinter goldgefassten Brillengläsern. Der Offizier hielt Adam im stählernen Griff seines Blickes fest. Die schmalen Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln als er, ohne dass seine Augen von Adam abgelassen hätten, wieder zu dem Soldaten sprach:
„Na los, Gefreiter! Machen Sie schon!“
Grob entriss der Soldat Adam Magdalenas Hand, zerrte sie fort von ihm, weg, hinüber, auf die andere Seite. Adam sah die braunen Augen in ihrem schmalen Gesicht zu einem stummen Schrei geweitet. Er ballte die Fäuste in verzweifelter Ohnmacht. Und während er hilflos zusah, wie der Abstand zwischen ihm und seiner Frau immer größer wurde, brannte sich in seinem Kopf das Bild zweier stahlblauer Augen hinter goldgefassten Brillengläsern ein.

„Sir?“ Adam hörte nichts. Er stand reglos vor dem runden Tisch und starrte den Sprecher an.
„Wünschen Sie etwas?“ Adam stand weiter stumm vor dem Tisch.
„Belästigt Sie der Mann, Mr. Newman?“, der hinzugetretene Kellner musterte Adam misstrauisch. Adam nahm in nicht wahr. Er bemerkte nicht, dass die Umgebungsgeräusche langsam verebbten und es still in dem Restaurant wurde; bemerkte nicht den ängstlichen Blick der grauhaarigen Dame und das Wimmern des Kindes. Seine Aufmerksamkeit galt einzig den Augen in dem stark gealterten Gesicht. Denselben Augen, stahlblau und kalt, hinter nach wie vor goldgefassten Brillengläsern.
Adam hob unendlich langsam den linken Arm, streckte die Hand nach der Dekantierkaraffe aus, schloss die Finger seiner rauen Altershand um den schmalen Hals des Gefäßes und hob es an. Die Grauhaarige stieß einen schrillen Schrei aus – doch für Adam klang er verlangsamt, tiefer, wie ein Blöken. Der Kellner bewegte sich, als watete er in Teer, versuchte Adam in den Arm zu fallen. Doch die schwere Karaffe fand ihr Ziel, noch bevor irgendjemand Adam hätte ergreifen können.

Der Prozess zog sich nicht sehr lange hin, denn die Beweislage war eindeutig. Der Richter ließ den Staatsanwalt gewähren und dieser präsentierte einen Augenzeugen nach dem anderen. Wobei vor allem die Witwe des Opfers bei den Geschworenen einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Miss Clayton konnte keine Zeugen aufbieten, noch fand sie Entlastungsmaterial, welches wenigstens für eine verminderte Schuld gesprochen hätte. Wie auch? Alle hatten die Tat aus nächster Nähe beobachtet – einschließlich der kleinen Enkeltochter des Opfers. Und überhaupt: Adam hatte sich seiner Anwältin gegenüber nicht im mindesten kooperativ gezeigt. Stattdessen schwieg er beharrlich, bis zum letzten Verhandlungstag. Als der Richter den Schuldspruch der Geschworenen verkündete, hörte Adam nicht hin. Er sah aus dem Fenster und beobachtete die Flagge, die im Wind hin und her flatterte. Er sah das leuchtende Rot der Streifen. Und musste an Erdbeeren denken... .

Nachdem er die letzte Reihe für die Saaten in dem neuen Beet fertig gestellt hatte, sah er hinüber zu seiner Frau. Magdalena kniete im Erdbeerbeet und befreite die Ableger vom Unkraut. Eine dunkle Locke war ihr in die Stirn gefallen. Sie arbeitete still und zügig. Adams Blick fing den hellen Wiederschein der Nachmittagssonne in ihrem braunen Haar ein. Es schimmerte bernsteinfarben und Adams Augen tranken den warmen Glanz. Magdalena sah auf und lächelte scheu zu ihm herüber. Er lächelte verlegen zurück. Dann wendete er sich ab und bückte sich nach dem Leinensack mit dem Saatgut.

Die Gruppe näherte sich der Tür. Adam war es gelungen, mit den Wachleuten, die ihn zu beiden Seiten flankierten, Schritt zu halten. Der Mann im schwarzen Anzug gebot ihnen stehen zu bleiben. Er griff in die Tasche und holte den Schlüsselbund hervor. Mit gerunzelter Stirn sah er Adam an. Etwas schwerfällig sagte er:
„Mr. Bielak...Sie...möchten Sie wirklich nicht mit dem Priester sprechen? Es...nun...jetzt wäre die letzte Gelegenheit!“ Den Rest des Satzes presste er ein wenig zu hastig heraus. Adam schüttelte den Kopf. Der Schwarzgekleidete murmelte etwas und zuckte mit den Schultern. Er konnte nichts wissen von dem Handel, den Adam vor so langer Zeit abzuschließen versucht hatte: Als er in der eisigen Baracke auf der grobgezimmerten Holzpritsche gelegen war, sein erheblich geschwächter, stark ausgezehrter Körper von Krämpfen geschüttelt worden war, das Fieber in ihm gebrannt hatte. Lautlos hatten sich da seine Lippen bewegt, er hatte versucht zu Gott zu sprechen: „Nimm mein Leben – für ihres! Bitte, Herr, lass sie überleben! Und lass mich dafür sterben. Bitte!!“ Aber Gott? Er hatte nicht zugehört, war nicht auf den Handel eingegangen.
Der Mann im schwarzen Anzug geleitete Adam zu dem Stuhl, der inmitten des Raumes stand. Adam setzte sich. Der Henker zog die Lederriemen fest. Er bemühte sich, Adam nicht anzusehen. Als er die letzten Riemen um Adams Knöchel festgezogen hatte, richtete er sich auf und sah Adam fragend an. Adam nickte ihm zu. Der andere nickte zurück, wandte sich ab und verließ den Raum. Mit geschlossenen Augen saß Adam in dem Stuhl. Als der Henker den Hebel schließlich umlegte, war er längst fort... .

Er stand zwischen den Beeten und sah abwesend zum abendlichen Himmel, wo die Sonne zinnoberrot der Erde entgegen sank. Eine sanfte, zaghafte Berührung an seinem Unterarm unterbrach ihn in seiner stillen Andacht. Er blickte in Magdalenas dunkle Augen, erblickte die mit goldenen Splittern gesprenkelte Iris und lächelte sie linkisch, doch zärtlich an.
„Moze wystarczy na dzisiaj?“, fragte sie mit leiser Stimme.
„Tak...tak...masz racie...“ (***)
Im rotgoldenen Licht der untergehenden Sonne gingen sie gemeinsam ins Haus.


(*): „Du musst jetzt unbedingt etwas essen! Alles ist schon fertig!“
(**): „Ja, Moment! Ich komme!“
(***): „Vielleicht ist es genug für heute?“
„Ja...ja...hast Recht...“
 
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Kommentare  

Spannend und sehr einfühlsam geschrieben.
Hat mir sehr gut gefallen


Jule Scholz (03.08.2006)

Meine erste Kritik.

Eigentlich habe ich nichts zu kritisieren, außer vielleicht ein paar Kleinigkeiten.

Über Schreibstil und Aufbau, Symbolik und Ausarbeitung fällt mir einfach nichts zu kritisieren ein, einfach klasse.

Mir ist nur eine Keinigkeit aufgefallen und das wohl auch nur, weil ich selbst gerade ein Geschichte in dieser Zeit schreibe und etwas recherchiert habe: Es müsste wohl heißen "Obersturmbannführer" nicht "Obersturmbandführer" und dass ein SS-Offizier im Majors-Rang eine simple Verlade-Aktion überwacht scheint mir übertrieben. Außerdem würde ein SS-Offizier einem Gefreiten der Wehrmacht keine Befehle erteilen (andere Baustelle). Die Mannschaftsdienstgrade bei der SS waren z.B. SS-Sturmmann, SS-Schütze oder - Oberschütze usw. aber "Gefreite" und "Obesturmbandführer" gab es bei der SS nunmal nicht.

Die ganze historische Haarspalterei tut der Geschichte aber absolut keinen Abbruch, es bleibt ein hervorragender Text.


Marc Stephan (01.08.2004)

Stark!!
Nicht nur sehr gut geschrieben, auch gut eingebettet in den Rückblick auf die Zeit vor dem Krieg.
Die biblischen Namen Adam und Magdalena hast Du bewusst gewählt?! Auch erscheint der Garten ja als kleines Paradies, aus dem die Beiden durch das Eindringen der Deutschen vertrieben werden.
Mmh, gäbe wohl noch mehr entdecken und interpretieren.
Fünf volle Punkte!

Gruss


Ingo Gärtner (12.07.2004)

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