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5 Seiten

See you in heaven

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
diese Geschichte wurde nicht von mir geschrieben aber sie ist eine meiner Lieblingsgeschichten also möchte ich sie auch an euch weitergeben...

See you in heaven

Wie gestern kam es mir vor, als ich das nüchterne, weiß getünchte Krankenzimmer betreten hatte, in dem Benjamin an verschiedene riesige, fremde Apparaturen angeschlossen auf einem Bett lag.

Ruhe erfüllte den Raum, bis auf das nervtötende Piepsen des EKGs und automatisch atmete ich leiser und achtete darauf, kein Geräusch zu machen. Als ich neben Benjamins Bett stand, erschrak ich bitter. Die Wangenknochen stachen weit heraus, seine Haut war aschfahl und auf der Stirn standen die Schweißperlen.
Es war eine gute Weile vergangen, seitdem ich meinen besten Freund das letzte Mal gesehen habe. Denn vor 9 Monaten hatte ich aufgrund eines Stipendiums die Möglichkeit erhalten, ein Jahr in Harvard zu studieren. Auch wenn mir der Abschied von meinen Freunden, vor allem von Benjamin, den ich seit dem Kindergarten kannte, schwer fiel, konnte ich diese Chance nicht verstreichen lassen und nach und nach hatte ich mich in den USA auch eingelebt, Freunde gefunden und war sogar schon seit einigen Wochen mit einem netten Medizinstudent namens Jim zusammen. Benjamin war übrigens der erste gewesen, der von meinem Freund erfahren hatte.
Leider hatte er nicht gerade erfreut reagiert, sondern prophezeit, dass unsere Beziehung nach meiner Rückkehr nach Deutschland sowieso zerbrechen würde. „Und wenn ich nicht zurückkehren werde?“, hatte ich herausfordernd gefragt, aber da hatte es schon in der Leitung getutet.
In den nächsten Wochen hatte ich keinen Kontakt mehr zu Benjamin, bis ich vorgestern einen Anruf von seiner Mutter erhalten hatte. Wie sehr mir ihre schrille, weh klagende Stimme noch in Erinnerung war, als sie mir von dem schrecklichen Autounfall, den er am Vortag gehabt hatte, erzählte. Sofort war unser Streit vergessen und ich versuchte mit der frühsten Maschine nach Deutschland zu fliegen. Schließlich brauchte Benjamin mich jetzt und er selbst hatte mich auch noch nie im Stich gelassen, wenn ich seine Hilfe benötigte.

Die krausen, blonden Locken, die ihn immer in den Augen gekitzelt hatten, waren abgeschoren, da die Ärzte ihn am Kopf hatten operieren müssen. Und auch sonst hatte er sehr starke Verletzungen, wie mir der Chefarzt vorhin in seinem Büro erklärt hatte, doch als er von den einzelnen anfing, schaltete ich ab. Das Wichtigste für mich, war die Tatsache, dass Benjamin es überlebt hatte und obwohl es ein harter Kampf sein würde, bis er wieder völlig der Alte war, würde ich nicht aufgeben und immer an seiner Seite bleiben. Das hatte ich mir geschworen, als ich ungeduldig und voller Angst die 16 Stunden Flug ertragen musste. Vergessen war das Stipendium und sogar Jim, der mir in der letzten Zeit alles bedeutet hatte. Nun zählte nur noch Benjamin und sein Leben.
„Oh Benjamin, wieso ist es ausgerechnet dir passiert?“, fragte ich verzweifelt und berührte zaghaft seine Hand, an der mindestens 4 Schläuche hingen und die sich eiskalt anfühlte. „Frag mich etwas Leichteres, Caro! Aber ich weiß jetzt den Grund dafür, Gott wollte mir einen Engel schicken!“, seine Stimme klang brüchig und es fiel ihm schwer überhaupt zu sprechen.
Überrascht sah ich ihn an, eigentlich hatte ich angenommen, dass er schlafen würde. Mein Blick fiel auf seine Augen, die tief in den Höhlen lagen und von dunklen Schatten umgeben waren, aber das klare Blau, das ich in und auswendig kannte, leuchtete wie früher. Kämpfe, Benjamin, kämpfe! „Was meinst du damit?“, fragte ich verwirrt nach und ließ mich auf die Bettkante fallen.
„Dass ich den schönsten Engel noch einmal in meinem Leben wieder sehen wollte und Gott sei dank wurden meine Gebete erhört, denn jetzt bist du hier und sitzt an meinem Bett.“, erklärte er und ein kurzes Lächeln zuckte über seine Lippen. „Du redest Schwachsinn! Ich bin weder ein Engel noch bin ich schön. Und du solltest dich jetzt besser darauf konzentrieren, dass du ganz schnell wieder gesund wirst!“, widersprach ich ihm und spürte, wie die Angst bald ohne Benjamin zu sein, in mich hinein kroch. „Nein, Caroline! Es hat keinen Sinn mehr, ich weiß, dass ich bald sterben werde und bin einfach nur froh, dass ich wenigstens dich ein letztes Mal sehen konnte. Das war mir wirklich wichtig!“, entgegnete er und strich mir sanft über meine Hand. Erst glaubte ich, es wäre nur einer seiner üblichen Scherze, als ich jedoch den Ernst seiner Stimme hörte, wusste ich, dass er sich selbst keine Chancen mehr ausrechnete. „So darfst du gar nicht erst denken!“, erregte ich mich und schob seine Hand unwirsch von meiner. „Willst du wissen, was ich fühle?“, fragte er mich und sah mir dabei fest in die Augen, so dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als stumm zu nicken.
„Eine Leere, eine tödliche Leere, die sich immer mehr ausbreitet und von niemandem mehr gestoppt werden kann. Viele erzählen, dass sie einen dunklen Gang vor sich sehen und am Ende dieses Ganges wäre ein Licht, auf das sie zu gehen bis sie daran verschwinden. Und ich bin nur noch zwei Schritte von diesem geheimnisvollen Licht entfernt.“, eisige Schauer liefen meinen Rücken hinab, während ich seinen Worten lauschte. „Nein, du wirst es schaffen! Wir beide werden es gemeinsam schaffen!“, rief ich aus, obwohl ich bereits wusste, dass er Recht behalten würde.
Aber dieses Gefühl von Hilflosigkeit konnte ich nicht ertragen, so klammerte ich mich an einer trügerische Hoffnung, da ich mir ein Leben ohne meinen besten Freund nicht vorstellen konnte.

Krampfhaft versuchte ich die Tränen, die heiß in meinen Augen aufstiegen, zu unterdrücken, aber schließlich kullerten sie über meine Wangen und tropften auf das blütenreine Laken, wo sie dunkle Flecken hinterließen. Ein Schluchzen entkam meiner Brust und in dem Augenblick zog mich Benjamin an sein Herz, das ganz ruhig und regelmäßig schlug, im selben Takt wie das EKG. „Ich habe mich längst damit abgefunden und finde es gar nicht mehr so schlimm, denn es ist besser als ein Leben angeschlossen an diese verdammten Maschinen und selbst, wenn ich irgendwann wieder so leben kann wie früher, hat es keinen großen Sinn. Da du nicht bei mir bist, sondern in Amerika bei Jim bleibst.“, völlig ruhig sprach er vor sich hin. „Ich würde alles tun, damit du nicht stirbst. Und das mit Jim ist überhaupt nicht sicher!“, warf ich ein, doch er hörte gar nicht auf mich, sondern sprach einfach weiter, so als ob er mich gar nicht gehört hätte. „Du sollst vor allem eins sein, glücklich und wenn es mit Heinz in Niederbayern oder irgendeinem Scheich ist, Hauptsache, du kannst dein Leben genießen.“
Wieso sagte er das nur? Trotz meiner Verzweiflung, machte sich eine leise Ahnung in mir breit. Dass es doch ein Geheimnis gab, das seit einer Weile zwischen ihm und mir gestanden hatte. „Es gibt eine Sache, vor der ich allerdings Angst habe.“, er wartete kurz auf eine Aufforderung von mir, dass er weiter sprechen sollte und als ich erwartungsvoll den Kopf hob, erklärte er: „Dass Sterben wäre nicht schlimm, wenn ich dabei nicht die ganze Zeit an all die Menschen denken müsste, die wegen mir so leiden werden. Dich weinen zu sehen, tut mehr weh, als die ganzen Schmerzen, die ich in den drei Tagen hier ertragen musste.“ „Eben deshalb musst du kämpfen!“, versuchte ich ihn weiter davon zu überzeugen, dass es noch nicht zu spät war, aber er schüttelte nur langsam den Kopf und meinte: „Nein, ich will nur, dass du wieder zurück nach Amerika fliegst und dort deinen Weg gehst. Bitte Caroline!“, er sah mich flehend an und wieder begannen meine Tränen zu rollen. Eine davon wischte er mit seinem Zeigefinger weg, um danach zärtlich über meine Wange zu fahren.

„Eines sollst du nicht vergessen: Ich werde dich immer lieben!“, redete er weiter und ich erwiderte schluchzend: „Ich dich auch!“ Ein letztes Mal lachte er noch auf, doch mitten im glockenhellen Lachen, erstarrte sein Gesicht und ich ahnte, dass er sehr starke Schmerzen haben musste. Wieder barg ich meinen Kopf an seiner Brust und suchte nach seiner Hand, die meine sofort ergriff, als ich sie erreichte. „Hör auf zu weinen, denn irgendwann werden wir uns im Himmel wieder sehen!“, die letzten Worte kamen nur flüsternd und abgehakt heraus und gerade als ich ihm erneut widersprechen wollte, durchbrach der schrille, andauernde Piepston die sanfte Ruhe, die sich über das Zimmer gelegt hatte.
„Benjamin!“, schrie ich auf und presste meinen Kopf fester gegen ihn, aber ich konnte nichts mehr hören. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Meine Schritte verlangsamten sich, denn ich war an der Stelle angekommen, an der vor vier Jahren Benjamins Asche in den Rhein verstreut wurde. Seit seiner Beerdigung hatte ich mich in eine scheinbar, glückliche Welt geflüchtet, war nach Amerika gegangen um mein Studium zu beenden und hatte danach Jim geheiratet. Es war ein seltsames Gefühl auf derselben Brücke zu stehen, auf der ich damals vor Trauer fast zusammen gebrochen wäre.
Mittlerweile war ich älter und als ich mich nun ein Stück über das Geländer lehnte und in das dunkle Wasser starrte, spürte ich keinen Kummer, keine Verzweiflung mehr, nur Liebe, die ich für ihn empfand.
„Du wirst dich vielleicht wundern, wieso ich zurückgekehrt bin, aber es gibt etwas, was ich dir noch sagen muss.“, fing ich an mit dem leise gurgelnden Wasser zu sprechen, als ob Benjamin selbst vor mir sitzen würde. „Du wirst für alle Zeiten einen Platz in meinem Herzen haben, weil du mir so viel gegeben hast. Mein ganzes Leben lang warst du für mich da, hast dich um mich gekümmert und ich war all die Zeit so blind, dass ich nicht bemerkt habe, wie es um deine Gefühle steht. Erst nachdem ich wieder in Amerika war und etwas Abstand gewonnen hatte, ist mir klar geworden, dass deine Liebe mehr war als die eines besten Freundes und ich habe mir schwere Vorwürfe gemacht, weil ich glaubte, ich hätte dich mit Jim verletzt und dadurch der Unfall verursacht wurde. Heute weiß ich, dass es wohl genauso gelaufen wäre, wenn wir uns nicht gestritten hätten. Und ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Leben, das wollte ich dir erzählen, aber ich wäre glücklicher mit dir an meiner Seite und nicht nur als bester Freund, sondern als die wichtigste Person in meinem Leben, für die ich alles tun würde. Niemand, auch Jim, kann das nicht ersetzen, was du mir gegeben hast und deswegen warte ich auf den Tag, an dem wir uns wieder sehen, weil ich dich über alles liebe, Benjamin!“
Damit beendete ich meine gefühlvolle und vor allem ehrliche Rede, erinnerte mich an sein letztes Lachen, der Blick in seine strahlenden, blauen Augen und begann zu lächeln. Dabei fuhren meine Finger über einige Kerben im Holz des Geländers und leise flüsterte ich die eingeritzten Worte:
„See you in heaven!“.
 
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Kommentare  

oh gott das ist ja so traurig... :'(

Louisa (02.02.2008)

heul schluchz flenn! traumhaft traurig und genau des richtige für so einen verregneten tag! danke dass du das in webstories gestellt hast! weiter so!

Summer Peach (28.08.2006)

n1 - 5pkt

 (21.06.2006)

ich find die geschichte total schön.
ich seh da jetz auch keine großartige christliche botschaft
danke fürs teilen
4pkt.


jaana (29.12.2004)

Na ja, ein bisschen melodramatisch das Ganze! Und die christliche Botschaft leuchtet zu stark durch.
Nicht so ganz mein Fall!

Gruss


Ingo Gärtner (13.07.2004)

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