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2 Seiten

Leben und Sterben lassen

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
David wollte Schluß machen. Ihm war alles gleichgültig. Er schwang den Strick über den Dachbalken seiner Wohnung und knotete das andere Ende zusammen. Er lies sein Leben noch einmal Revue passieren: Ein mieser Job, eine schäbige Wohnung, die er sich mit seinem hoch motiviertem Freund teilen musste, ein Auto, dass mehr ein fahrendes Ersatzteillager war, als irgendein modernes Fortbewegungsmittel und eine Ex – Frau, die ständig bei ihm anruft und ihn mit Problemen überschüttet. Kein Wunder also, dass er gestern Abend in dem Fast Food Laden den Entschluß gefasst hat, sich umzubringen. Ja, es war 19 Uhr 17, kurz nach den Pommes, als es ihm in den Sinn kam. Tod durch Ersticken macht sich immer gut auf einem Todesschein. Sein lebloser Körper müsste keine großartige Obduktion durchlaufen, nur sein Bruder müsste noch über ihn trauern. Was soll’s? Eine Seele weniger auf diesem Planeten.
David machte das Licht aus, hier auf dem Dachboden. Es wäre symbolischer, wenn nicht nur sein Licht aus ginge. Er legte den Strick um seinen Hals und atmete tief aus. Er war gespannt, wie es sich anfühlen würde. Viele redeten über ein weißes Licht am Ende eines Tunnels. David dachte mehr an eine purpurne Welt des Glücks und der Harmonie, in der leicht bekleidete Mädchen umher hüpfen und ihn verwöhnen. Zumindest was das Leben nach dem Tode anging. Der Übergang dahin wird wohl irgendwas mit einem Tunnel zu tun haben, aber letztenendes war es ihm egal.
Er zog die Schlinge fester und sah nach oben. Der Dachbalken sah sehr morsch aus. Ihm kamen Zweifel, ob er ihn tragen könnte. „Es gibt nur ein Weg das heraus zu finden“ sagte er laut und stieß den Hocker unter seinen Füßen weg. Nicht schlecht, diese letzten Worte, fand er. Er bekam keine Luft mehr. Sein Kopf wurde rot. Und in dieser kurzen Zeit, in der er dem Tode fast die Hand schütteln konnte, viel ihm alles wie Schuppen von den Augen. Sein Job ist zurzeit einer der gefragtesten auf dem Markt, wenn er jetzt dahin schied, würde irgend ein pickeliger Milchbubi seinen Platz übernehmen. Er hätte keine Ahnung von der Sortierung der Akten, die Firma würde wohl Pleite gehen. Seine Wohnung war einer größten der Stadt. Der Ausblick von hier oben unter dem Dach verriet ihm zum ersten mal in seinem Leben, wie schön diese Stadt eigentlich ist. Und sein Mitbewohner hatte es bereits erkannt. Sein Auto, es war nicht alt, es war eine Rarität. Händler würden Tausende dafür hinblättern. Und schließlich, seine Ex Frau. Sie rief nicht an, um ihm ihre Probleme auf zu tischen. Sie liebte ihn immer noch und das wurde ihm klar. Ihm wurde klar, dass sein Leben absolut lebenswert ist, er hatte keinen Grund, länger zu baumeln. Mit neuem Lebensmut griff er nach dem Seil über seinem Kopf und zog sich daran hoch. Er atmete. Dann hörte er ein Knacken, der Balken brach entzwei. Er landete auf dem Boden und zu diesem Zeitpunkt wußte er, das war göttliches Werk. Mit einem Grinsen im Gesicht legte er den Lichtschalter um, doch das Licht blieb aus. Die Lampe war tatsächlich durchgebrannt. Er sah sich um, neben ihm stand ein Karton mit Glühlampen. Er zog ihn heran und fischte sich die passende heraus. David nahm sich den Hocker und stellte sich darauf, um zur Lampe zu kommen. Das Leben war herrlich, er genoß es förmlich, diese Lampe zu wechseln. Die Tür ging auf, sein Mitbewohner kam hinein. „Ich habe etwas gehört, ist alles in Ordnung?“ Die Tür stieß gegen den Hocker, er geriet ins Schwanken. Noch bevor einer der Beiden merkte, was passiert war, kippte David. Das Fenster schien gerade zu riesig, viel zu groß für einen Dachboden. David selbst hatte es ausgesucht, doch nun bedauerte er es. Es gab ein Klirren und für David schien es so, als wäre der Asphalt gerade zu mörderisch hart. Nun war es der Tod, der die Hand aus streckte und David musste mit einer Art von belustigender Gewißheit feststellen, dass er sie ergriffen hatte.

The End
 
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Kommentare  

Sehr schön

Torret-Syndrom (17.03.2005)

Oje, beim ersten Lesen total makaber, aber dann gefällts mir immer besser!

Eden (08.11.2004)

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