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Schattenmacht - Das Letzte Licht -17-

Romane/Serien · Fantastisches
Am Amazonas

Wir erscheinen nahe des Ortes, an dem der Phönix sein Nest hat. War es in Rom bereits schon dunkle Nacht, so ist hier gerade erst die Sonne untergegangen und es herrscht ein seltsames Zwielicht in diesem Urwald nahe des Flusses. Neben mir lässt sich Reyarak erschöpft zu Boden sinken.
Nachdem wir endlich die öffentlichen Areale der Katakomben erreicht hatten, blieb uns das Glück gewogen, denn eine Reisegruppe besichtigte gerade den Ort.
Als sich die Lebenden zum Gehen wandten schlossen wir, also ich, Reyarak und Missa, uns unbemerkt und für die Menschen unsichtbar an. So verließen wir den Vatikan und sobald wir unter freien Himmel waren begaben wir uns mithilfe des Schrittes zu dem Strand, an dem ich und Missa schon zuvor waren. Die Leopardenfrau konnte alleine gehen, ich nahm den Berserker mit mir. Dort an diesem Strand ruhten wir uns einige Stunden lang aus und kamen dann mit dem Schritt hier her.

Tief atme ich den Geruch des Urwaldes ein, stimme mich auf die mich umgebenden Schwingungen ein und prüfe sie ganz automatisch. Erleichtert atme ich durch, denn nichts falsches, oder verzerrtes lässt sich erfühlen. Wir haben beschlossen, dass ich zuerst einmal alleine in das Lager gehen, Uriel suche und dem Engel dann die Anwesenheit des Berserkers erklären werde. Bei dem Ruf, den Berserker haben, können wir schlecht mit Reyarak einfach so ins Lager spazieren. Selbst wenn die anderen Dämonen ihn nicht gleich zerreißen, so will ich nicht wissen, was ein Erzengel mit einem Berserker anstellt. Ich will einfach nicht, dass man Reyarak noch mehr Schmerz zufügt.
Schließlich wende ich mich zu Missa und dem Berserker um, die mich beide erwartungsvoll ansehen und nicke um anzuzeigen, dass alles in Ordnung ist. Missa reagiert erleichtert, doch Reyarak springt plötzlich erschreckend schnell auf. Blitzschnell hat der Berserker mich am Arm ergriffen und auf sich zu gezogen. Einen Moment lang, der mir schier unendlich erscheint, krallt sich Angst mit scharfen Klauen in mein Herz. Habe ich mich womöglich in dem Dämon doch getäuscht?
Doch einen Wimpernschlag später erkenne ich, das dies kein Angriff ist, denn Reyarak hat mich hinter sich gezerrt und baut sich vor mir auf. Verwirrt blinzle ich den Rücken des großen Mannes an und wundere mich, was das nun soll. Ein tiefes, gefährliches Knurren bricht aus Reyaraks Kehle und in der selben Sekunde nehme ich Uriels Resonanz wahr, die sich wie ein Sturm anfühlt, so aufgebracht ist der Engel. Aus Reyaraks Resonanz brodelt mir Aggression wie heiße Lava entgegen.
Kurz bin ich verwirrt, bis mir schlagartig klar wird, dass der Berserker annimmt, dass Uriel mir nicht wohl gesonnen ist. Uriel hingegen sieht in dem Dämon eine Bedrohung für mich. Überrascht weiten sich meine Augen, dann jedoch reiße ich sie vor Entsetzen auf, denn ich erkenne, dass jetzt genau das passieren wird, was ich vermeiden wollte. Dämon und Engel werden gleich aufeinander losgehen!
“Nein,” schreie ich, “lasst das bitte!”
Doch noch während ich rufe, greif Uriel auch schon an. Reyarak gibt mir einen sanften Stoß, der mich mehrere Meter weit wegtaumeln lässt und weicht der Sense des Engels geschickt aus.
Verzweifelt bemühe ich mich darum mein Gleichgewicht wieder zu erlangen und nachdem ich das geschafft habe, drehe ich mich erschrocken zu den beiden Kämpfern um. Am Rand bemerke ich, dass sich Missa auf einen großen Baum geflüchtet hat. Schreck sticht aus der Resonanz der Katzenfrau hervor, wie ein scharfes Messer.
Ich hingegen erstarre lange Momente, gebannt von dem gewalttätigen Tanz vor mir, der irgendwie eine erschreckend wilde Schönheit ausstrahlt. Halb verhungert, geschwächt und erschöpft wie Reyarak ist, so bewegt er sich doch mit einer tödlichen, schnellen Anmut und außergewöhnlichem Geschick. Der Engel steht dem Berserker in Nichts nach. Erneut schwingt er die Sense mit harter Präzision und der Dämon weicht wieder geschickt aus, doch diesmal schlägt er zurück. Uriel springt zurück, doch die Krallen des Berserkers hinterlassen auf der Brust des Engels vier lange Kratzer, die sofort anfangen zu bluten, aber anscheinend nicht sehr tief sind. Reyarak allerdings bekommt dabei die scharfe Klinge des Engels am Oberarm zu spüren und bringt sich mit einem Sprung außer Reichweite. Einen kleinen Augenblick halten beide inne, dann umkreisen sie einander und taxieren sich aufmerksam mit widerwilligen Respekt in den Augen.
Plötzlich springt Uriel nach vorne und hat jetzt statt der Sense zwei langstielige Sicheln in den Händen. Der Engel spreizt die Schwingen dabei aggressiv, so dass es aussieht als wolle er sie nutzen um von oben anzugreifen und Reyarak reagiert entsprechen. Doch der Sprung ist eine Finte und der Berserker, der müde und geschwächt ist, erkennt sie erst, als der Engel abrupt innehält und sich in die Hocke Fallen lässt. Mit einem gekonnten Tritt zieht er dem Dämon die Beine unter dem Körper weg und stürzt sich mit einem Schlachtruf auf den fallenden Berserker. Dieser kann Uriels linke Hand, deren Waffe auf sein Herz zielt, zwar aufhalten, aber nicht die zweite Waffe des Engels, die sich nun auf seine Kehle niedersenkt.
In diesem Moment endlich gelingt es mir endlich meine Starre abzuschütteln.
“Uriel! NEIN!”
Meine Stimme schneidet klar wie ein Glockenton durch die Luft und hallt in dem nunmehr schweigenden Urwald wieder. Ich kann jetzt auch die heißen Tränen spüren, die mir haltlos über das Gesicht laufen.
Irgendwie schafft es der Erzengel die scharfe Klinge abzubremsen, bevor sie Reyaraks Kehle aufschlitzen kann. Sie legt sich stattdessen beinnahe sanft an die Haut und ritzt sie nur ganz leicht an. Unvermittelt erstirbt jede Bewegung der beiden Kämpfer. Dann reißt der Engel den Kopf herum und funkelt mich wütend an. Ich jedoch zittere nun am ganzen Körper und werde von beinahe lautlosen Schluchzern geschüttelt. Noch immer laufen mir die Tränen über die Wangen.
“Bitte Uriel,” flüstere ich, “tu ihm doch nicht weh. Reyarak ist doch mein Freund.”
Die glatte Stirn des Engels legt sich in irritierte Falten, doch den Griff um seine Waffe lockert er nicht.
Reyarak, der regelrecht unter dem Engel festgenagelt auf der Erde liegt, atmet schwer und gibt dennoch immer noch leise Knurrgeräusche von sich. Noch immer hat er Uriels linke Hand fest umklammert, die andere Hand des Dämons ist unter seinem Körper eingeklemmt. Seine goldenen Augen suchen die meinen, sein Blick flackert und ich begreife, das er tatsächlich am Ende seiner Kräfte ist. Aus dem winzigen Schnitt an der Kehle des Dämons bahnt sich ein dünnes Blutrinnsal seinen Weg.
“Reyarak,” meine Stimme klingt furchtbar dünn, “es tut mir so leid. Ich dachte ich hätte Zeit meinen anderen Freunden von dir zu erzählen.”
Erneut wende ich mich dem Engel zu.
“Bitte Uriel, lass ihn los, ja? Tu ihm nicht mehr weiter weh. Reyarak ist unser Freund.”
Noch immer laufen mir die Tränen aus den Augen und der kalte Ausdruck in Uriels Augen lässt mich fast verzweifeln. Nun schleicht sich auch noch Wut in den harten Blick. Er drückt die scharfe Klinge etwas an Reyaraks Kehle, wodurch das Blut nun stärker hervorquillt.
“Das da,” die Stimme des Engels ist hart, “ist ein verdammter Berserker, Hoffnung. So etwas wie Freundschaft kennen diese Bestien nicht!”
Seine Augen blitzen wütend auf, doch ich sehe ihn einfach nur noch stumm und ernst an.
Um mich herum kann ich nun auch die anderen wahrnehmen, die wohl von dem Kampflärm angelockt worden sind. Neben Tamorans Resonanz nehme ich auch etwas überrascht die von Shanael und den Sandhexen wahr. Die Nachtmahre sticht mit heftiger Wut hervor. Einen Moment lang verwundert mich das, bis mir klar wird dass ihre Wut auf Uriel gerichtet ist. Immer mehr Dämonen und andere mystische Wesen kann ich wahrnehmen und ich erkenne, das es nun viel mehr sind, als zu dem Zeitpunkt, als ich und Missa aufgebrochen sind. Ein leises Staunen schleicht sich in meine Gedanken, als ich bemerke wie gut sich die Zahl und Stärke der hellen und dunkeln Resonanzen ausgleicht. Aus vielen kommt mir Verwirrung und Unsicherheit entgegen, aber in immer mehr der uns umgebenden Wesen beginnt nun Wut und Empörung zu brodeln. Lange kann es nicht mehr dauern, bis sich einer der Dämonen auf Uriel stürzt, was wiederum eines der helleren Wesen veranlassen wird zu reagieren und so weiter. Innerhalb kürzester Zeit hätten wir einen regelrechten Aufruhr, ganz zu schweigen von den sich anschließenden Folgen. Mir wird schmerzhaft klar, dass irgendetwas geschehen muss, denn die Spannung um mich herum ist nun schon beinahe greifbar. Irgendwie muss ich Uriel dazu bewegen von Reyarak abzulassen und den Dämon dazu veranlassen nicht gleich wieder auf den Engel loszugehen. Etwas zittrig hole ich Luft, dann gleich noch einmal. Schließlich fasse ich mir ein Herz.
“Reyarak? Vertraust du mir?”
Meine leise Stimme durchdringt die angespannte Stille. Die Augen des Berserkers wenden sich mir wieder zu und flackern verunsichert, schließlich schließt er sie kurz und hat so meine Frage beantwortet. Ich neige ganz leicht den Kopf, dann sehe ich Uriel wieder erst an.
“Bitte Uriel, lass ab von ihm. Reyarak ist weder für mich, noch für einen meiner Freunde eine Bedrohung. Verstehst du mich?”
Die Augen des Engels verengen sich gefährlich. Er rührt sich nicht, aber ich erkenne wie sich seine Haltung ein ganz klein wenig entspannt. Mein Blick wandert zu Reyaraks Gesicht zurück. Ich weiß, das was ich jetzt gleich von ihm verlange, wird den Berserker jedes Quäntchen Vertrauen, dass er in mich hat, abverlangen. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Irgendwie muss ich beweisen, dass der Berserker nicht die Bestie ist, für die ihn der Engel hält.
Noch einmal hole ich tief und zittrig Luft.
“Reyarak, lässt du jetzt bitte Uriels Hand los, damit er aufstehen kann?”
Die Augen des Dämons weiten sich überrascht und zutiefst erschrocken. Ich kann sehen, wie er zusammenzuckt und muss keine Gedanken lesen können um zu begreifen, dass der Berserker sich fragt, ob er mir wirklich trauen kann. Jetzt entströmt seiner Resonanz nur noch kalte Furcht.
Die Sekunden verstreichen nur unendlich langsam und Uriels Gesicht verzieht sich zu einem schmalen Lächeln, als Reyarak scheinbar nicht reagiert. Dann jedoch schließt der Dämon ergeben die Augen und lässt das linke Handgelenk des Engels, das er immer noch fest umklammert, ruckartig los. Uriels Augen weiten sich ungläubig. Reyarak hingegen wird nun, da er in Vertrauen auf mich aufgeben hat, plötzlich ganz ruhig, selbst seine Atmung normalisiert sich fast wieder.
Weitere bange Augenblicke vergehen, in denen der Engel den Berserker nur ungläubig anstarrt, dann jedoch erhebt er sich vorsichtig und löst seine Klinge langsam von Reyaraks Kehle. Einen Moment später hält der Engel wieder seine Sense schlagbereit in den Händen. Noch immer starrt er den Berserker ungläubig und auch etwas misstrauisch an. Er behält Reyarak auch weiterhin fest im Auge, als sich der Dämon langsam auf die Seite rollt und müde auf die Knie aufrichtet.
Erst als ich die Luft ausstoße und gierig frische in meine Lunge sauge, wird mir klar das ich den Atem angehalten habe. Die Spannung und die überkochenden Gefühle um mich herum lösen sich nun auch langsam. Am Rande bemerke ich Missa, die von dem Baum, auf den sie sich zu Tode erschrocken geflüchtet hat, wieder herunterkommt. Sie schimpft und flucht dabei auf überreagierende Engel im allgemeinen und auf Uriel im besonderen. Die Katzenfrau ist wirklich aufgebracht, das kann ich fühlen. Aber um all das kümmere ich mich wenig, meine Aufmerksamkeit gilt Reyarak, der noch immer am Boden kniet, den Kopf hängen lässt und leicht schwankt. Es muss schrecklich für den Berserker sein, dass er nicht stark genug ist um sich wirkungsvoll zu wehren, oder mich richtig zu beschützen. Nein im Gegenteil, ich musste ihn beschützen. Tief in seiner Resonanz kann ich die rauen Kanten von tiefer Traurigkeit und Scham wahrnehmen.

Ohne mich um die möglichen Reaktionen der mich umgebenden Wesen oder die von Uriel zu kümmern laufe ich das kurze Stück zu Reyarak, gehe neben ihn in die Hocke und streiche ihm besorgt das dichte, schneeweiße Haar aus der Stirn. Leises Gemurmel erhebt sich, doch ich kümmere mich auch darum nicht. Doch als ich hören kann, wie Uriel entsetzt oder vielleicht erschrocken nach Luft schnappt, erhebe ich mich doch. Ich wende mich dem aufgebrachten Engel zu und durchbohre ihn mit einem langen, vorwurfsvollen Blick. Dabei stehe ich noch immer ganz nahe bei dem Berserker, dem im Moment wohl schlicht die Kraft zum Aufstehen fehlt. Ich habe auch nicht vor mich von hier wegzubewegen, zumindest nicht bevor sich Uriel etwas beruhigt hat.
Doch diesmal scheint mein Blick nicht so recht anzukommen, denn die Augen des Engels bleiben hart. Zum ersten Mal seit ich ihn kenne, frage ich mich, wie gut ich Uriel wirklich kenne. Eine sanfte Traurigkeit schleicht sich in meine Gedanken und macht mir das Herz erneut schwer. Reyarak indessen hebt endlich den Kopf und sieht sich langsam mit flackernden Augen um. Schließlich wandert sein goldener Blick zwischen mir und Uriel hin und her. Verstehend nickt er ganz leicht und seufzt leise auf.
Plötzlich ergreift er meine rechte Hand sanft, aber bestimmt. Erstaunt blicke ich zu dem neben mir knienden Dämonen hinab und begegne seinem ernsten Blick. Aber in seinen seltsamen, so unmenschlichen Augen liegt noch etwas anderes. Ich brauche einige Augenblicke um zu begreifen dass mir daraus auch Hingabe und Vertrauen entgegenleuchten. Schließlich beginnt der Berserker in einer scheinbar sehr alten, gutturalen Sprache zu sprechen. Ich verstehe kein Wort davon, aber obwohl seine Stimme rau und sehr leise ist, verstummen schlagartig alle Geräusche um uns herum. Die uns umgebenden Wesen verfallen in tiefes, erstauntes Schweigen. Völlig verblüfft verfolge ich, wie Reyarak seine mir unverständliche Rede beendet, meine Hand wieder loslässt und den Kopf erneut neigt. So verharrt er schweigend und unbeweglich. Die Stille um uns herum ist nun so tief, so dass sie mir in den Ohren rauscht. Perplex und verwirrt blicke ich wieder auf und zu Uriel, dessen Augen nun vor ehrfürchtigen Staunen weit aufgerissen sind und auf dem Dämon ruhen.
Als hätte der Engel meinen Blick gespürt hebt er mir nun die Augen entgegen. Was ich darin entdecke kann ich nicht genau sagen, irgendwie eine Mischung aus Staunen, Ehrfurcht und Verunsicherung.
Insgeheim frage ich mich, was denn nun wieder passiert ist, wage es aber nicht die ehrfürchtige Stimmung um mich herum zu stören indem ich die Frage laut stelle.
“Es tut mir leid,” meint Uriel plötzlich heiser, ”oh Hoffnung, ich hätte dir vertrauen und deinen Worten gleich Glauben schenken sollen. Aber ich dachte tatsächlich, das er eine Bedrohung für dich ist und der Ruf, denn seine Rasse hat tat sein übriges dazu. Es tut mir so leid. Ich hoffe du kannst mir vergeben, meine Freundin.”
Seine Worte werfen mich in noch größere Verwirrung.
Was geht hier vor? Was ist denn nun gerade geschehen und warum reagieren alle um mich herum so erstaunt, ja sprachlos und ehrfürchtig?
Mein Gesicht muss meine Gefühle sehr deutlich zeigen.
“Uriel?” Meine Stimme zittert etwas. “Dann, dann willst du nun Reyarak nicht mehr töten?”
Ich bin schrecklich verwirrt und verstehe nicht, was geschehen ist. Der Engel sieht mich mit gerunzelter Stirn an, doch dann scheint er zu begreifen das ich nicht verstehe, was gerade passiert ist. Ein kurzes Lächeln zuckt über seine Lippen.
“Nein, natürlich nicht. Er hat absolut keinen Zweifel daran gelassen, dass er keine Bedrohung für dich oder uns ist. Nicht, nachdem er sich dir gerade verpflichtet und dich so als seine Herrin anerkannt hat.”
Ich reiße erschrocken die Augen weit auf.
Was?! Ich die Herrin über jemand anderes?
Ich bin völlig entsetzt, doch bevor ich reagieren kann spüre ich weiche, kräftige Arme um mich. Einen Moment später erkenne ich Shanael, die mich prompt in die Arme genommen hat. Als ich ihr einen Seitenblick zuwerfe, schüttelte sie kaum wahrnehmbar und begütigend den Kopf. Irritiert runzle ich die Stirn, begreife dann aber, das ich wohl mitspielen soll. Nachdem ich ein leichtes Nicken andeute entlässt sie mich auch wieder aus der festen Umarmung.
“Du siehst schrecklich erschöpft aus, meine Freundin.“
Die Stimme der rothaarigen Frau ist sanft. Ich nicke, dann wende ich meinen Blick wieder dem noch immer knienden Dämonen zu und überdenke seine Tat und seine Lage. Langsam begreife ich warum er das getan hat, denn so hat er tatsächlich keinerlei Zweifel an seinen guten Absichten mir gegenüber gelassen. Einen Impuls folgend hebe ich die Hand und streiche ihm erneut über die dichten, hellen Haare. Auf die sanfte Berührung hin hebt er mir endlich wieder den Blick entgegen. Über das kantige Gesicht huscht ein winziges, schräges Lächeln, doch aus seiner Resonanz spricht jetzt nur noch Erleichterung und Müdigkeit.
“Ich glaube,” meine ich mit matter Stimme, “das wir alle jetzt etwas Ruhe benötigen. Wir sollten jetzt erst einmal zum Lager gehen und uns alle beruhigen. Dann kann ich euch auch erzählen, wie wir auf Reyarak getroffen bin.”
Shanael nickt nachdrücklich.
“Da hast du Recht.”
Ich seufze erneut und will einen Schritt machen, doch dann geben mir ganz unvermittelt die Beine nach. Der gefallene Engel an meiner Seite schlingt mir schnell die Arme um den Leib und hält mich so aufrecht. Dann ist Uriel heran und hebt mich einfach auf die Arme. Reyarak plagt sich mühsam auf die Beine und steht nun bedrohlich schwankend aufrecht. Bevor er jedoch fallen kann ist Missa an seiner rechten Seite und Shanael ist an seine andere Seite getreten.
“Immer mit der Ruhe, Großer.” Missas Stimme klingt ruhig. “Du stützt dich jetzt ein wenig auf mich und Shanael, ja? Das Lager ist nicht mehr weit und wir helfen dir.”
Reyarak sieht von dem Engel zu der Leopardenfrau, dann zu mir. Schließlich nickt er müde. Als sich Uriel umdreht und mich wegträgt, kann ich noch sehen wie der große Berserker die Hilfe der beiden Frauen annimmt und zulässt, dass sie ihn stützen.
Während wir uns dem Lager nähern, lässt meine Verwirrung langsam nach. Nun jedoch wird sie von einem andern Gefühl abgelöst. Ich bin wütend, sehr wütend sogar und zwar auf Uriel!

Was denkt sich der Engel eigentlich dabei meine Begleitung anzugreifen, auch wenn diese ein riesengroßer Berserkerdämon ist. Er hätte zumindest erst einmal meine Resonanz prüfen können, ob ich mich auch wirklich bedroht fühle, aber das hatte Uriel scheinbar nicht getan. Nun wirklich sauer beginne ich wenige Meter vor dem Lager heftig zu zappeln. Schließlich schaffe ich es, mich Uriels Armen zu entwinden, so dass er stehen bleiben und mich auf die Füße stellen muss. Als er mich dann endlich widerwillig und etwas verunsichert loslässt, trete ich sogleich zwei Schritte von ihm weg, wobei ich froh bin, dass mich meine Beine auch tatsächlich tragen.
Missa und Shanael, die noch immer den Berserker stützen, drücken sich an uns vorbei. Auf den fragenden Blick des Dämons kichert Shanael leise.
“Keine Angst,” flüstert sie Reyarak zu, “sie wird schon fertig mit Uriel.”
Meine Augen verengen sich, als ich den drei kurz hinter herblicke. Doch dann wende ich mich Uriel zu und funkle ihn wütend an. Der Mann erwidert verdattert meinen Blick.
“Du,” zische ich erbost, “erst greifst du meinen neuen Freund an, ohne vorher sicherzugehen, ob ich auch wirklich von ihm bedroht werde. Und dann nutzt du meine Verwirrung und diesen kleinen Schwächeanfall aus um mich wegzutragen. Wobei du hoffst, so vergesse ich, dass ich eigentlich wütend auf dich sein sollte und du so der Gardinenpredigt entkommst.”
Der Engel weicht etwas zurück und ich verenge sogleich die Augen. Das nun wieder, dieses zurückweichen, wenn ich wütend werde.
Warum tun die Engel das eigentlich immer?
Uriel währenddessen breitet hilflos die Hände aus.
“Ich verstehe nicht so ganz?”
Er klingt tatsächlich verwirrt, aber davon lasse ich mich nun auch nicht beeindrucken.
“Ich spreche davon, Uriel,” meine ich aufgebracht, “dass du dich wie ein Tyrann von einem großen Bruder benimmst. Das geht mir langsam wirklich auf die Nerven!”
In den Augen des Engels flackert kurz etwas auf, aber es ist so schnell verschwunden, so dass ich nicht erkenne was es nun genau gewesen ist.
“Du,” meint er nun begütigend, “bist sicher immer noch etwas verwirrt.”
Jetzt reiße ich empört die Augen weit auf.
“Nein,” rufe ich aus, “ich bin nicht mehr verwirrt! Ich bin wütend und zwar auf dich! Schade das es am Amazonas keine Brombeeren gibt, ich würde dich liebend gerne in welche hineinstoßen.”
Mit diesen Worten raffe ich in einer brüsken Bewegung meine Röcke, wende mich um und lasse den sprachlosen Engel einfach stehen. Noch immer wütend vor mich hinmurmelnd laufe ich die wenigen Meter zum Lager. Am Rande angekommen lasse ich meinen Blick schweifen und erstarre erst einmal überrascht.
Ganz eindeutig hat sich unser Lager hier am Amazonas ein ganzes Stück vergrößert. Wie mir schon mein erster Eindruck zeigte, sind einige neue Wesen eingetroffen. Erneut schweift mein Blick und nun sehe ich am anderen Ende des Lagers, dass Missa bereits damit beschäftigt ist für Reyarak ein Feldbett herzurichten. Die anderen mystischen Wesenheiten halten einen respektvollen Abstand zu dem Berserker, scheinen ihn aber nicht böse gesonnen zu sein, sondern im Gegenteil eher neugierig auf den Mann. Noch während Reyarak sich langsam auf das Feldbett sinken lässt, gehe ich schon auf Missa und ihn zu. Währendessen ich mich über den Platz bewege verschaffe ich mir gleichzeitig einen Eindruck von den neu eingetroffenen Wesenheiten und prüfe ganz automatisch ob ich etwas verzerrtes oder falsches in den Resonanzen um mich herum finden kann.
Überrascht bemerke ich, das es nun von der Nachtmahre auch eine männliche Version zu uns geschafft hat. Der Mann ist ähnlich zartgliedrig gebaut, wie die Frau, dabei aber ein gutes Stück größer und muskulöser. Seine Augen sind schmaler, das Gesicht schärfer geschnitten und zudem besitzt er keine Schwingen. Bei diesen Dämonen verfügen nur die Frauen über die Fähigkeit zu fliegen.
Ich wende mich ab und registriere, dass nicht nur ein weiteres Feuerelementel, sondern tatsächlich zwei Luftelementel den Weg hier her gefunden haben. Die beiden benutzen eine menschenähnliche Gestalt, schweben aber frei mitten in der Luft und sehen etwas durchsichtig aus, geradeso wie Geister oder Phantome.
Völlig erstaunt gehe ich weiter und bemerke am Rande, dass sich die Zahl des Nissenschwarms beinnahe verdoppelt hat und nicht nur drei weitere Leopardenfrauen, sondern auch einige weitere Gestaltwandler eingetroffen sind. Dann ganz unvermittelt erreicht mich eine sehr ungewöhnliche Resonanz. Wie vom Schlag getroffen bleibe ich völlig verblüfft stehen und blicke nun nach links. Meine Augen weiten sich als ich die Heye Harpyien sehe. Sieben sind von ihnen gekommen und jede einzelne dieser kriegerischen Dämonenfrauen trägt eine starke Feuergabe in sich.
Heye Harpyien sind im Gegensatz zu den klassischen Harpyien, die Höllenwesen sind, physische Dämonen und in dieser Welt geboren. Wenn man noch nie einen Engel gesehen hat, dann könnte man die Frauen sicher mit welchen verwechseln. Wie die Engel auch haben diese Dämonen eine menschliche Gestalt mit zwei großen Schwingen auf den Rücken, aber da hört auch schon die Ähnlichkeit auf. Die Frauen sind etwas kleiner und schlanker in ihrer Gestalt und ihre Gesichter viel kantiger und härter. Die Flügel der Heye Harpyien sind wie die von Raubvögeln geformt und tragen auch die entsprechenden grauen und braunen Zeichnungen. An ihren äußeren Fußknöcheln entspringen kleine, verkümmerte Pseudoflügel. Diese kleinen Auswüchse dienen eigentlich nur dem Zweck, wie bei Vögeln die Schwanzfedern. Sie lenken damit zusätzlich in der Luft und sind dementsprechend hervorragende, wendige Flieger. Ihre meist braunen, fedrigen Haare tragen diese Harpyien für gewöhnlich kurz, oder zu strengen Zöpfen geflochten.
Ihre Finger enden in langen, scharfen, krallenartigen Fingernägeln und sie tragen allesamt eine recht knappe Rüstung, die hauptsächlich aus steifem Leder besteht und die größtmögliche Bewegungsfreiheit gewährt. Dazu an den Unterarmen und Schienbeinen Schutzschienen, ebenfalls aus metallbesetzten Leder gefertigt und offene Schnürsandalen. Bewaffnet sind sie mit einer speziellen Form vom Kampfmesser, ähnlich einer Machete und kleinen Armbrüsten. Ihre Augen glühen feurig und wild zu mir herüber. Dann plötzlich löst sich eine der Frauen aus der Gruppe und kommt auf mich zu. Ganz offensichtlich ist sie die Anführerin. Als sie mich erreicht hat, neigt sie knapp, aber ehrerbietig den Kopf und ich nehme verwundert Ehrfurcht und Bewunderung in ihrer Resonanz wahr.
“Sei mir gegrüßt, letztes Licht. Mein Name ist Tiranell layden Lar.”
Die volle Stimme der Dämonin hat einen harten Beiklang, der aber ganz offensichtlich zu ihr gehört und nichts mit mir zu tun hat. Automatisch nicke ich und grüße zurück. Dann jedoch runzle ich die Stirn.
“Entschuldigt bitte meine Frage,” spreche ich meine Gedanken aus, “aber ich weiß genug über Heye Harpyien, um zu wissen, dass euer hier sein einen bestimmten Grund haben muss. Ich wüsste gerne welchen?”
Tiranell nickt kurz und dann schleicht sich tatsächlich ein kleines Lächeln in ihr hartes Gesicht.
“Als wir,” antwortet die Frau, “auf unserem Heimweg die Sahara überflogen, trafen wir dort auf die Schwestern Saleha und Surya, die Sandhexen. Sie und eine weiter junge Sandhexe waren damit beschäftigt eine dieser schrecklichen Schattenkreaturen mit ihrer Hitze zu töten. Sie erzählten uns, dass Feuer sie tötet und mit diesem Wissen flogen wir nach Hause, nachdem wir den Schwestern der Wüste geholfen hatten. Dort beschloss mein Volk, das auch wir uns diesem Kampf anschließen werden.”
Ich sehe sie staunend an, aber auch besorgt.
“Dann wurde auch dein Volk bereits von solchen Kreaturen angegriffen?”
Erneut nickt Tiranell knapp.
“Ja,” bestätigt sie mir, “zwei unserer Horste gingen an sie verloren. Es war ein Glück für uns auf die Sandhexen zu treffen, denn sie teilten mit uns all ihr Wissen über diese Wesen aus dem Schatten und so waren wir in der Lage sie und jene, die sie verwandelt hatten zu vernichten, bevor mein ganzes Volk verloren gewesen wäre.”
Wieder zuckt dieses kurze, kleine Lächeln über ihr Gesicht und ich atme erleichtert auf.
“Ich bin froh,” meine ich nun leise, “dass ihr euch entschlossen habt mit uns zu kämpfen und nicht gegen uns, denn ich weiß, dass Heye Harpyien wahrhaft schreckliche Gegner sind.”
Verwundert nehme ich wahr, wie Respekt in ihrer Resonanz auflodert. Kurz entschlossen streckt mit Tiranell die rechte Hand entgegen und als ich sie ergreife umfasst sie meine Hand mit festem Griff, der scheinbar etwas besiegelt. Noch einmal nickt sie mir freundlich zu, dann wendet sie sich wieder ab und kehrt zu ihren Kampfgefährtinnen zurück. Ich jedoch blicke ihr noch einige Momente lang erstaunt nach. Das war gerade so, als hätten wir einen Pakt geschlossen und im Endeffekt war es auch genau das. Doch warum wollte sie das mit mir? Ich runzle die Stirn. Kennt mich denn wirklich jedes Übernatürliche Wesen dieser Welt?

Schließlich lasse ich diese Sache erst einmal auf sich beruhen, wende mich wieder um und erreiche dann tatsächlich ohne weitere Unterbrechung den Ort, an dem Missa Reyaraks Lager gerichtet hat. Der Berserker sitzt mittlerweile auf dem Feldbett und jemand hat ihm eine schöne große Schüssel mit dampfendem Eintopf in die Hand gedrückt. Jetzt muss ich lächeln. Obwohl der Mann schrecklichen Hunger haben muss, isst er betont langsam und behutsam. Als ich zu ihm trete blickt der Dämon auf und lächelt kurz, dann konzentriert er sich wieder auf sein Essen. Noch immer lächelnd setze ich mich zu ihm und warte schweigend. Ich finde es nicht schlimm, dass ihm im Moment der Eintopf um einiges wichtiger erscheint, als ich.
Während der Berserker weiter seine Mahlzeit verspeist, sehe ich mich erneut im Lager um und staune immer noch. Dann runzle ich irritiert die Stirn. Irgendwo zwischen dem Rand des Lagers, wo ich mich Uriel entwunden habe und diesem Platz muss mir meine Wut abhanden gekommen sein.
Als wäre das verwunderlich!
Ein kleines, lautloses und selbstironisches Kichern kommt mir über die Lippen.
Missa, die sich erhoben hatte und kurz weggegangen war, kehrt nun zurück, ebenfalls mit einer Schüssel Eintopf bewaffnet. Nahe bei uns lässt sie sich auf einem Baumstumpf nieder und beginnt nun auch zu essen. Allerdings scheint sie nicht so schrecklich hungrig, denn immer wieder schweift ihr Blick durch das Lager, einige Male ruhen ihre Augen auch sehr nachdenklich auf mir.
Schließlich spricht die Dämonin aus, was sie so beschäftigt.
“Hast du die Harpyien gesehen?”
Ich nicke, tatsächlich habe ich gerade mit einer gesprochen. Etwas, das der Leopardenfrau nicht entgangen sein dürfte. Mein Stirnrunzeln zeigt ihr meine Skepsis und Missa kichert leise. “Entschuldige,” meint sie beschämt, “ich wusste nur nicht, wie ich anfangen soll. Natürlich hast du sie gesehen, sogar mit ihrer Anführerin gesprochen.”
Ich hebe eine Augenbraue um anzuzeigen, das ich darauf warte, dass sie sagt, was sie sagen möchte. Missa schenkt mir ein Grinsen, das ihr Raubtiergebiss offenbart.
“Sie sind beeindruckend, nicht?”
Ihre Frage klingt aufrichtig und ich nicke erneut. Allerdings warte ich immer noch, dass die Dämonin endlich zur Sprache bringt, was ihr wirklich auf dem Herzen liegt. Also lege ich meinen Kopf schräg und mustere sie neugierig. Etwas, das sie tatsächlich etwas nervös werden lässt.
Ein kleines Lächeln erscheint auf meinem Gesicht.
“Nun worauf ich hinaus will …” beginnt sie nun, hält aber erneut inne.
Aha, denke ich, nun kommen wir der Sache also näher.
“Was,” frage ich, “worauf willst du hinaus, Missa? Sag es endlich, bevor du daran erstickst.”
Meine Stimme klingt amüsiert und Missa verdreht die Augen.
“So einfach ist das nicht, aber du solltest wissen, was ich herausgefunden habe.”
Sie blickt sich kurz um und senkt dann etwas die Stimme.
“Ich hab mich umgehört, wegen der Harpyien und den anderen Neuankömmlingen.”
Ihr Gesicht ist ernst.
“Du weißt schon, wegen dem, was ich dir vor unserem Ausflug nach Rom erzählt habe.”
Ich nicke wieder, nun auch ernst.
“Nun,” fährt die Dämonin fort, “die Harpyien sind mit den Sandhexen gekommen und scheinen in Ordnung zu sein. Aber weißt du was, sie haben Uriel nicht als Anführer anerkannt und auch keinen der Anderen. Tatsächlich sind sie der Meinung, DU wärst unsere Anführerin. Sie sind alle ein wenig sauer auf Uriel, weil er einfach so einen deiner Begleiter angegriffen hat und nachdem sich Reyarak dir verpflichtet hat …”
Ich halte Missa mit erhobener Hand auf, den der Mann neben mir hat beim Klang seines Namens den Kopf gehoben.
“Missa!”
Meine Stimme klingt vorwurfsvoll und die Frau sieht mich einige Sekunden lang verwirrt an. Dann jedoch wird ihr klar, dass es mir nicht gefällt, wenn sie über den Berserker spricht als würde er nicht direkt neben uns sitzen. Das hat mich schon zuvor bei Uriel gestört und ging nur in meiner Verwirrung unter. Missa sieht etwas betreten zu Boden.
“Reyarak,” meinst sie nun leise zu dem Dämon, “es tut mir leid. Ich sollte nicht so über dich sprechen, wenn du direkt daneben sitzt.”
Über das Gesicht des Mannes huscht ein sanftes Lächeln. Er schüttelt sachte den Kopf.
“Ich bin nicht gekränkt.” Missa lächelt zurück.
“Trotzdem ist es nicht in Ordnung.” Nun ist sie sehr ernst. “Sollte mir das noch einmal passieren, dann erinnere mich daran, ja?”
Der Berserker nickt nur und widmet sich wieder seiner Mahlzeit.
Missa sieht mich wieder an und denkt kurz nach, dann nimmt sie ihre Erzählung an dem Punkt wieder auf, an dem ich sie unterbrochen habe.
“Ja, nun also nachdem das passiert ist, nun seither haben alle hier noch mehr Respekt vor dir. Dein Ansehen ist um einiges gestiegen und nicht nur die Harpyien sehen in dir unsere Anführerin sondern auch viele der anderen Wesenheiten hier. Sogar die Gestaltwandler sind zutiefst beeindruckt. Anscheinend wirkt die Erwähnung deiner Person gerade so wie ein Zauberspruch, der Aufmerksamkeit und Kooperation erwirkt.”
Sie hält kurz inne und ich runzle die Stirn.
“Also,” meine ich wenig begeistert, “froh bin ich darüber aber nicht. Ich bin keine Anführerin, im Gegenteil ich bin eher eine Einzelgängerin.”
Missa nickt.
“Das verstehe ich gut, mir wäre das auch nicht angenehm. Aber ich mache mir noch wegen etwas anderem Sorgen.” Noch während sie weiter spricht, nicke ich bereits. “Je mehr,” meint sie nun auch nickend, “wir werden, um so leichter kann sich natürlich auch ein Verräter einschleichen.”
Einvernehmlich schweigen wir daraufhin, doch dann meldet sich Reyarak zu Wort.
“Dann,” meint er mit freundlicher Stimme, “war es gleicht doppelt richtig, das ich mich dir verpflichtet habe und du kannst deswegen jetzt gar nicht mehr ärgerlich sein.”
Ich sehe den Dämon erschrocken und auch ein wenig überrascht an. Ich habe nicht gedacht, dass ihm dies aufgefallen ist. Der Berserker schenkt mir ein träges Grinsen.
"Ich weiß dass es dir nicht gefällt, ich kann es spüren und du müsstest mich jetzt eigentlich auch erspüren können.”
Ich runzle schon wieder verwirrt die Stirn, während Missa plötzlich ganz große Augen bekommt.
“Eine bindende Verpflichtung,” haucht sie ehrfürchtig, “ich habe davon gehört.”
Ich jedoch sehe verwirrt von einem zum anderen und die Frage in meinem Gesicht muss sehr deutlich zu sehen sein.
“Ich,” Reyaraks Stimme wird nun leise, “habe mich dir nicht nur verpflichtet, sondern mich auch an dich gebunden. Jetzt kann ich dich spüren, ich weiß wenn es dir nicht gut geht, oder du Angst hast und kann dich auch fast überall finden.” Er sieht mir ernst in die Augen. “Und du müsstest mich jetzt ebenso wahrnehmen können?”
Er stellt den letzten Satz eher als Frage, geradeso als wäre er sich dessen nicht sicher.
Eine Unzahl Gedanken schießt mir durch den Kopf, aber Reyarak zuliebe dränge ich diese erst einmal zurück. Stattdessen schließe ich die Augen und versuche den Dämon neben mir auf eine andere Weise wahrzunehmen, als bisher nur über die Resonanz. Doch es verändert sich nichts. Dann jedoch wird mir schlagartig klar, das sich doch etwas verändert hat, denn ich nehme die Resonanz des Berserkers viel stärker und klarer wahr, als bisher. So intensiv, so dass ich ihn wohl auch über viele tausend Kilometer finden würde können. Eine neue, beinnahe erschreckende Erkenntnis drängt sich in meine Gedanken. Es gibt nur eine, eine einzige andere Resonanz die ich so klar und stark wahrnehme. Nur einen, einen einzigen anderen, alle einhundert Jahre eine Nacht lang. Es ist Lucifer!
Einen Moment lang bleibt mir die Luft weg und ich schlage erschrocken die Hand vor die Lippen, als mir klar wird, weswegen ich den dunklen Engel so gut finden kann. Irgendwann während unserer kurzen, ersten Begegnung mussten ich und der Gefallene uns aneinander gebunden haben!

Einige Momente später werde ich mir der beiden besorgten Augenpaare bewusst, die auf mir ruhen. Das eine ist golden glühend, das andere von einem hellen Grün und keines von beiden ist menschlich.
“Ist alles in Ordnung mit dir?”
Missa klingt so besorgt, wie sie aussieht und jetzt muss ich lachen.
“Ja, ja, mir geht es gut. Mir ist nur etwas klar geworden und das hat mich überrascht.”
Ich muss immer noch grinsen, denn nun, nachdem ich es weiß, nehme ich Reyarak, der auch noch so nahe ist, ganz klar wahr. Was ich in seiner Resonanz lese lässt mich beinnahe schon wieder loslachen. Ich sehe ihn mit einem amüsierten Blitzen in den Augen an.
“Und du,” meine ich lachend, “hast tatsächlich nach dieser Riesenschüssel Eintopf immer noch Hunger?”
Der Berserker lacht kurz auf, dann wendet er verlegen den Blick zu Boden, hat aber immer noch ein Lächeln im Gesicht. Missas Augen werden kurz ganz rund, dann erhebt sie sich und nimmt die leere Schale an sich.
“Nun dann sorge ich besser für Nachschub.” Jetzt grinst auch sie. “Ich finde es übrigens wirklich bewundernswert, dass du mit dem Riesenhunger, den du haben musst, doch so langsam essen kannst. Das erfordert wirklich viel Selbstdisziplin.”
Ihrer Stimme ist zu entnehmen, wie ernst sie das meint. Reyarak sieht zu ihr auf, mit einem fast traurigem Blick, wie ich bemerke.
“Wenn ich,” meint er mit leiser Stimme, “zu schnell esse, dann wird mir nur schlecht. Einfach ist das nicht.”
Missa nickt verstehend.
“Nun, du kannst dir hier so viel Zeit lassen, wie du willst und brauchst dich auch nicht zurücknehmen, es ist mehr als genug da.”
Mit diesen bestimmt klingenden Worten wendet sich die Leopardenfrau ab und begibt sich zu den Kochfeuern, wo zwei große Kessel vor sich hinblubbern.
Kurz sehe ich der Dämonin nach, dann wende ich mich wieder dem Berserker zu.
“Reyarak,” meine ich sanft, “ich bin nicht böse auf dich, wegen dem was du getan hast. Was du da wahrnimmst, das ist nur mein Unwillen, mich als Herrin von irgendwem zu sehen. Verstehst du? Ich habe es nur bestätigt, weil ich verstehe weswegen du das getan hast. Ich habe die widerstreitenden Gefühle, die dir gegenüber herrschten, wahrgenommen und ich bemerke auch die skeptischen, teilweise ängstlichen Blicke, die man dir selbst jetzt noch zuwirft. Ich verstehe das Warum, aber ich will nicht, dass du in mir deine Herrin siehst oder dich so benimmst.
Wir, du und ich sind Freunde, in Ordnung?”
Mein Blick ist ernst und bohrt sich in Reyaraks goldene Augen. In seiner Resonanz nehme ich Erleichterung, Bewunderung und Vertrauen wahr. Der Mann lässt sich meine Worte durch den Kopf gehen, dann nickt er langsam und bestimmt. Mit einem tiefen Seufzer holt er Luft. Es klingt gerade so, als wäre ihm gerade ein riesengroßer Stein vom Herzen gefallen, was vermutlich auch zutrifft. Kurz darauf kehrt Missa zurück, die Schale in ihren Händen ist nun wieder bis obenhin gefüllt.
Während Reyarak in seiner langsamen, bedächtigen Art auch diese zweite Schale Eintopf in Angriff nimmt, bewegt sich Missa bereits wieder durch das Lager um herauszufinden wie viele neue Gesichter es wirklich gibt und ob sie vielleicht jemanden davon kennt.
Ich derweilen sitze schweigend neben dem Berserker und verschaffe mir über den Zuwachs auf meine eigene Weise eine Übersicht. Mit halb geschlossenen Augen lasse ich mich ganz auf die Resonanzen des Ortes und der Wesen ein. Finde ich eine mir noch unbekannte Schwingung spüre ich ihr ganz sachte nach und bekomme so einen ganz guten Eindruck von dem betreffenden Wesen. Ein Lächeln verzieht meine Lippen, als ich so Missa finde und die heftige Neugier in ihr erfühle. Sie hat wirklich viel von einer Katze in sich. Eine weitere Resonanz erregt meine Aufmerksamkeit und ich erkenne, das Surya und Saleha wohl die junge Sandhexe aus der Sahara mitgebracht haben. Ich bin immer noch etwas erstaunt das die Schwestern tatsächlich hier her in den Urwald gekommen sind und nehme mir vor, bald mit ihnen zu sprechen. Einige Momente verwende ich darauf mich auf Amara zu konzentrieren, doch dann fällt mir etwas auf. Eine Resonanz fehlt mir. Wo ist Tamoran?
Ich runzle irritiert die Stirn.
Sekunden später nehme ich Uriel wahr, der scheinbar auf mich zukommt. Reyaraks leises Knurren lässt mich die Augen öffnen. Tatsächlich, der Engel kommt auf mich und den Berserker zu. Meine Augen verengen sich etwas, aber ich bin nun nicht mehr wirklich wütend auf den Mann. Beruhigend lege ich eine Hand auf den Arm des fast lautlos knurrenden Berserkers und habe damit Erfolg. Reyarak hört auf damit. Rein äußerlich ist er nun ganz ruhig, darunter aber, in seiner Resonanz, da brodelt es. Ich vermute, dass er noch wütend darüber ist, dass Uriel ihn so unvermittelt und brutal angegriffen hat. Das kann ich zwar verstehen, aber dennoch hoffe ich, dass sich die Abneigung des Dämons Uriel gegenüber mit der Zeit legen wird. Ein lautloses Seufzen fließt mir über die Lippen, während ich weiterhin schweigend zusehe, wie der Engel kurz vor uns stehen bleibt. Ein hilfloses Lächeln erscheint auf seinem attraktiven Gesicht und ich verdrehe die Augen, während mir selbst ein kleines Lächeln über die Lippen kommt.
“Du bist unmöglich, Uriel.”
Ich blicke ihn wieder an und nun ziert ein breites Grinsen sein Gesicht. Ich schüttle amüsiert den Kopf, aber wütend bin ich nicht mehr auf den Engel. Stattdessen rumort etwas anderes in mir, das nicht unbedingt besser ist als Wut. Ich runzle die Stirn.
“Weißt du zufällig wohin Tamoran verschwunden ist? Ich kann seine Resonanz nicht mehr erfassen.”
Meine Stimme klingt beiläufig. Der Engel nickt langsam während das Lächeln von seinem Gesicht verschwindet. Nun wirkt er ernst.
“Tamoran ist mit einer der Leopardenfrauen und einem Gestaltwandler aufgebrochen um in Australien einigen Gerüchten nachzugehen. Wir vermuten, dass es auch dort eine dieser Kreaturen aufgetaucht sein könnte.”
Uriel scheint sehr besorgt zu sein, doch in mir blüht ein schrecklicher Verdacht. Selbst in Reyaraks Resonanz neben mir hört es auf so zu brodeln, stattdessen blickt der Dämon den geflügelten Mann nachdenklich an. Ganz offensichtlich hat auch der Berserker die Sorge des Engels wahrgenommen. Ich hingegen blicke skeptisch drein.
“War das Tamorans Idee?”
Meine Frage klingt zweifelnd.
Nach den Ereignissen heute bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher ob ich dem Erzengel wirklich noch vertrauen kann. So sehr mich diese Erkenntnis auch schmerzt, so weiß ich, dass ich mich diesem Gefühl nicht verschließen darf. Ansonsten würde der Zweifel in meinem Unterbewusstsein weiternagen und schließlich meine Handlungen verfälschen. Ich blicke auf als Uriel nicht antwortet.
Der Engel sieht mich sprachlos an. Eine leise Qual windet sich wie ein feiner, leuchtend roter Faden durch seine Schwingungen und in seinen Augen sehe ich, wie sehr ich ihn gerade mit meinem Misstrauen verletzt habe. Schließlich nickt er langsam, beinnahe verstehend und antwortet mit merklich kühlerer Stimme.
“Ja,” meint er, “es war Tamorans Idee und meiner Meinung nach war es eine gute. Immerhin ist er ein Wüstendämon und die Gegend um Ayers Rock, woher die Gerüchte stammen, ist nun einmal Wüste und Steppe. Da die Nachforschungen ihn aber eventuell auch in den Australischen Urwald führen könnten bat er eine der Leopardenfrauen mit ihm zu gehen. Neile ist ihr Name, du hast sie sicher schon gesehen, da ihr Pelz so schwarz ist, wie bei einem schwarzen Panter. Ich selbst bestand darauf, dass die beiden noch jemanden mit einer Feuergabe mit nehmen und so also ging noch der Gestaltwandler mit ihnen. Milos ist sein Name, ein großer Kerl mit hellen Haaren, glaube ich wenigstens. Bei Gestaltwandlern weiß man ja nie.”
Damit beendet der Engel seine sachliche Ausführung und sieht mich abwartend an. Sein Blick wirkt härter und seiner Resonanz haften die rauen Flächen von Ärger und die scharfen Kanten einer Verletzung an. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken, denn schließlich habe ich ihn ja gerade indirekt beschuldigt Tamoran vorsätzlich fortgeschickt zu haben. Dennoch muss ich schlucken.
Schließlich gelingt es mir dann doch zu nicken.
“Ich habe mir nur Gedanken gemacht,” antworte ich mit einigermaßen normaler Stimme, “weil ich ihn als wir ankamen noch wahrnahm und nun eben nicht mehr.”
Ich hoffe, dass mein Gesicht nichts von dem Aufruhr in meinem Inneren verrät.
Uriel nickt erneut, dann huscht ein kleines, humorloses Lächeln über sein Gesicht.
“Eigentlich aber,” sagt er mit einer Spur Ironie in der Stimme, “bin ich nicht gekommen um mit dir über Tamoran zu sprechen, sondern weil ich mich nochmals entschuldigen wollte.”
Nun wendet er sich Reyarak zu.
“Auch bei dir, Reyarak. Du musst verstehen, ich hielt dich tatsächlich für eine Bedrohung.”
Die Augen des Berserkers verengen sich etwas, aber dann nickt er doch knapp zum Zeichen, dass er die Entschuldigung angenommen hat. Seiner Resonanz aber haftet weiterhin Misstrauen, Unbehagen, ja sogar ein klein wenig Angst an. Ich frage mich unwillkürlich warum der Dämon so heftig auf den Engel reagiert. Gut viele Dämonen empfinden erst einmal Unbehagen bei dem Anblick eines Erzengels, aber Reyaraks Reaktion ist weitaus stärker, als ich es bisher gesehen habe. Irritiert runzle ich kurz die Stirn.
Ist dem Berserker womöglich auch von Seiten eines Engels her Unrecht geschehen?
Oder ist es nur die Tatsache das er von Menschen gefangen gehalten wurde, die von sich behaupten Gott zu dienen so wie es die Engel tatsächlich tun?
Verwirrt schüttle ich diese Gedanken ab und sehe Uriel wieder an, dessen Augen abwartend auf mir ruhen.
“Außerdem,” meint er nun, “wollte ich gerne die Geschichte hören, wie du ausgerechnet einen Berserker getroffen hast?”
Ich blinzle einige Sekunden bis ich begreife und dann fahre ich erschrocken zusammen. Hatte ich das noch gar nicht erzählt?
Ich will gerade zu einer Antwort ansetzen, als mich Reyarak mit einem leisem Knurren unterbricht.
“Du meinst wohl, Engel, wie sie mich gefunden hat? Und wie sie ausgerechnet dazu kam jemanden wie mir das Leben zu retten?”
Die Stimme des Dämons klingt rau. Als ihn Uriel mit einem halb wütenden, halb überraschten Blick ansieht, lacht der Berserker ein kurzes, hartes Lachen.
“Ja gerettet, denn da wo ich war, dort wäre ich gestorben. Vielleicht nicht sofort, dafür aber um so langsamer und sehr qualvoll.”
Mit diesen Worten erhebt sich Reyarak langsam und funkelt Uriel mit gefährlich glitzernden Augen an. Erst jetzt wird mir klar, dass der Dämon selbst Uriel, der ja nun wirklich nicht klein ist, überragt. Das Unbehagen des Berserkers, das ich in seiner Resonanz wahrnehme hat sich noch verstärkt und nun wendet er sich mir zu. Sofort mildert sich das raubtierartige Funkeln in seinen Augen.
“Entschuldige,” meint er matt, “aber ich habe wohl doch zu schnell gegessen.”
Mit diesen Worten wendet er sich ab und richtet seine Schritte zum nächstgelegenen Waldrand. Einige sehr lange Augenblicke sehe ich ihm verwirrt nach, bis ich endlich die Bedeutung seiner letzten Worte ganz begriffen habe. Sekunden darauf wird mir klar, warum der Berserker den Schutz der Bäume gesucht hat. Sofort tut mir der Mann ganz schrecklich leid.
Ich kann spüren wie aufgebracht und verärgert der Engel an meiner Seite schon wieder ist. Zudem bemerke ich, dass er kurz davor steht, dem Berserker zu folgen.
“Stopp, Uriel!”
Meine Stimme ist leise aber sie hält den wütend herumfahrenden Engel auf.
Völlig überrascht sieht er mich an.
“Oh nein,” zischt der Engel mit harter Stimme, “das lasse ich mir nicht gefallen und du solltest dir das auch nicht von ihm bieten lassen. Er kann hier nicht große Reden schwingen und dann einfach gehen, als ginge ihn das hier nichts an.”
Nun blitzen die Augen des Mannes gefährlich auf, aber ich schüttle ruhig den Kopf.
“Uriel,” meine Stimme ist nun sanft, “würdest du dir gerne dabei zusehen lassen, während du dich übergibst?”
Uriel sieht mich lange Momente mit leeren Augen an, dann blinzelt er verblüfft.
“Du meinst er ...?”
Ich nicke nur.
Der Engel legt die Stirn in Falten und ich muss keine Gedanken lesen können um zu wissen, dass er sich fragt ob dem Dämon wohl wegen ihm schlecht geworden ist. Ein kurzes Lächeln huscht mir über die Lippen.
“Ich glaube nicht das es etwas mit dir zu tun hat Uriel, oder besser gesagt nichts mit deiner Person. Es könnte aber sein, dass Reyarak ein eher unangenehmes Erlebnis mit einem Engel hatte und von daher auf dich so heftig reagiert. Vielleicht liegt es auch nur daran, das er, da er ja von Christlichen Priestern in den Katakomben gefangen gehalten wurde, alles was mit dem Schöpfergott zu tun hat und insbesondere einen Erzengel als Bedrohung empfindet.”
Ich halte inne, als ich sehe wie Uriels Augen groß werden.
“Katakomben,” ächzt er, “du warst in den Katakomben? Die unter dem Vatikan?”
Er schwankt ein wenig und ich springe erschrocken auf, um ihn zu stützen.
“Uriel? Was ist denn jetzt schon wieder los?”
Meine Stimme klingt erschrocken, was auch kein Wunder ist, da der Engel aschfahl im Gesicht geworden ist. Dennoch frage ich mich kurz im Stillen, ob es womöglich noch anderswo ähnliche Katakomben wie in die in Rom geben könnte.
Kurz darauf habe ich es fertig gebracht, dass sich der geflügelte Mann auf das Feldbett setzt. Noch immer ist er blass und sieht mich mit echtem Erschrecken in den Augen an.
“Am besten,” meint er nun leise, “du erzählst mir jetzt erst einmal was geschehen ist und dann falle zur Abwechslung einmal ich in Ohnmacht.”
Ein leichtes Lächeln fließt mir über die Lippen.
“War das gerade ein Witz?”
Uriel lächelt schwach zurück.
“Ja, “antwortet mir der Engel, “also meine liebe Hoffnung, was ist geschehen? Wie bist du ausgerechnet in die Katakomben geraten und hast dort diesen seltsamen Berserker aufgegabelt?”
Der Engel hat seine Fragen in einem beinnahe amüsierten Tonfall gestellt, aber darunter, in seiner Resonanz nehme ich Sorge wahr. Also beginne ich unverzüglich von meinem Ausflug nach Rom zu erzählen. Zuerst davon wie ich Roberto gefunden habe, den mittlerweile vierten lebenden Menschen, der mich sehen kann. Anschließen präsentiere ich dem Engel die etwas abgeänderte Form von den Geschehnissen die mich in die Katakomben brachten. In dieser Form bin ich einfach einer weiteren traurigen Resonanz gefolgt, die sich scheinbar unter dem Petersdom befand.
“Aber,” meine ich gerade, “als wir dann dort unten angekommen sind, sind wir in die Katakomben geraten und haben uns dort prompt verlaufen. Als dann auch noch die Resonanz, der ich bis dahin gefolgt bin, verschwunden ist, irrten wir noch eine Zeitlang herum. Tja und als ich uns dann über den Schritt herausbringen wollte ging etwas schief und wir landeten in dem mystischen Verlies, in dem Reyarak gefangen war.”
Ich halte kurz inne um zu sehen, ob Uriel die abgeänderte Form der Ereignisse glaubt. Als ich mir sicher bin, dass dem so ist fahre ich fort und erzähle ihm, wie wir den Berserker kennen gelernt haben und wie wir aus dem Verlies herausgekommen sind.
“Nun und dann,” fahre ich fort, “kam mir die Idee, dass ich doch den Wahrspiegel dazu bringen könnte mir den Weg zu zeigen und das hat er auch getan.”
Mit diesen Worten beende ich meine Geschichte und Uriel schweigt einige Zeit lang. Schließlich wendet er sich mir mit ernstem Gesicht wieder zu.
“Versprich mir bitte, dass du nie mehr wieder in die Katakomben gehst und wenn das nicht geht, dann dass du wenigsten keinerlei Magie dort ausführst, ja?” Er seufzt leise. “Ihr hattet wahnsinniges Glück, weißt du das eigentlich? Die Katakomben unter dem Vatikan sind für jedes übernatürliche und mystische Wesen ausgesprochen gefährlich. Nicht nur liegen da eine ganze Menge verschiedenster magischer und mystischer Gegenstände herum, zudem werden die Gewölbe auch noch von extrem starken Bannen und Zaubern geschützt. Was ihr beide da erlebt habt, das war noch harmlos.”
Uriels Blick ist ernst und besorgt.
“Glaub mir,” meine ich ebenso ernst, “wenn es sich vermeiden lässt, dann gehe ich dort ganz gewiss nicht mehr freiwillig hinunter.” Meine Stimme klingt trocken. Ich lächle den Engel beruhigend an, doch Uriel blickt bereits wieder zum Waldrand. Während er sich nachdenklich mit den Fingern über das Kinn streicht, verengen sich seine Augen ganz leicht. Als ich seinem Blick folge, sehe ich, dass Reyarak gerade zwischen den Bäumen hervorgekommen ist und sich erschöpft an einem Baum abstützt. Der Dämon ist noch blasser geworden als ohnehin schon ist und sieht vermutlich so elend aus, wie er sich fühlt. Nur wenige Augenblicke später ist Missa zur Stelle und reicht dem Berserker einen Becher, der wohl Wasser enthält. Der Blick ihrer Augen ist mitfühlend und ihr Schweif peitscht unruhig hinter ihr durch die Luft. Ein kleines Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. Ganz offensichtlich lässt sich die Dämonin nicht mehr weiter von ihren Erlebnissen mit Berserkerkriegern, noch von ihren dadurch geprägten Vorurteilen gegenüber dieser Dämonenrasse, beeinflussen.
Uriel sieht interessiert zu, wie die Leopardenfrau etwas zu Reyarak sagt, der daraufhin matt lächelt. Dann plötzlich sieht mich der Engel an.
“Wie alt, glaubst du, war die Mauer, die ihn gefangen hielt?”
Ich muss nicht nachfragen, um zu wissen das Uriel nun von Reyarak spricht. Ich zucke mit den Schultern.
“Genau kann ich es nicht sagen, aber ich denke sie war etwa zweihundert Jahre alt. Warum fragst du danach?”
Mein Blick ist neugierig geworden, doch Uriels Augen bleiben ernst.
“Weil ich eine Vermutung habe, dass ich seine Geschichte bereits kenne.”
Der Engel seufzt schwer als er meinen fragenden Blick sieht. Er nickt in die Richtung des Berserkers, der noch immer an dem Baum lehnt.
“Warten wir lieber,“ meint er leise, “bis sich Reyarak dazu entschließt, sich wieder zu uns zu gesellen.”

Ich wende Uriel wieder die Augen zu, mein Blick verrät Sorge.
“Uriel …”
Meine Stimme ist sehr leise geworden und der Engel, der scheinbar meine Besorgnis spürt, sieht mich fragend an.
“Ich weiß nicht,” fahre ich fort, “ob es wirklich so eine gute Idee ist Reyarak nach seiner Geschichte zu fragen.”
Uriel legt erneut seine Stirn in skeptische Falten.
“Warum?”
Dieses einzige Wort beinhaltet viel mehr, als es auf den ersten Blick offenbart. Als der Engel meine Verwirrung wahrnimmt wird er deutlicher.
“Warum, Hoffnung, hast du ihn mitgenommen, weshalb zugelassen dass er sich dir verpflichtet? Sag mir was du in diesem Dämon gesehen hast, dass du das Gefühl hast ihn retten zu müssen und warum willst du ihn nun vor meinen Fragen beschützen? Denkst du wirklich, ich würde ihm jetzt noch absichtlich weh tun, nachdem er sich dir auf so eine starke, ja hochmagische Weise ausgeliefert und so sein tiefes Vertrauen zu dir bewiesen hat?”
Uriel hält kurz inne und erneut glüht dieser feine, rote Faden stiller Qual, der sich durch seine Schwingungen zieht hell auf.
“Was hast du nur gesehen, dass du mir nun misstraust?”
Uriels Augen sind dunkel vor Trauer geworden und mir wird plötzlich etwas klar. Es war nicht seine erste Reaktion auf Reyarak, die das Misstrauen in mir geschürt hat.

Tatsächlich hat es sich schon eher entwickelt, unten in den Katakomben in diesem mystischen Verlies. Als ich vor dem Berserker stand und wissen wollte, was man ihm angetan hatte und sah was meine Frage ausgelöst hat.
Ich starre den Engel mit großen Augen an. Mein Misstrauen Uriel gegenüber hat gar nichts mit ihm zu tun, sondern einfach nur mit der Tatsache dass er ein Erzengel ist, der unter der Gnade des Schöpfergottes lebt und diesem dient. Genau so wie die Menschen, die Reyarak gequält hatten.
Einem Impuls folgend lege ich meine Hand sanft auf Uriels Unterarm.
“Es tut mir leid Uriel.” Meine Stimme ist weich geworden.
“Es hat gar nichts mit dir zu tun, sondern mit dem was du bist.”
Die Augen des Engels verengen sich kurz, dann weiten sie sich überrascht, ja entsetzt.
“Glaubst du etwa,” will er aufgebracht wissen, “dass ich fähig wäre dir etwas anzutun? Wir sind Freunde, Hoffnung und das nicht erst seit gestern!” Er klingt ein klein wenig verletzt.
Mein Blick wird ernst und ich seufze leise.
“Doch Uriel, das glaube ich, auch wenn wir Freunde sind. Ich existiere jetzt schon dreihundert Jahre außerhalb seiner Gnade. Wenn sich der Schöpfergott dazu entschließen sollte, sich gegen mich zu stellen, dann würdest du, wie jeder andere Engel des Himmels auch, seinen Befehlen folge leisten. Selbst wenn das bedeutet mich zu töten oder wegzuschließen, wie ihr es mit Lucifer getan habt.”
Meine Stimme ist zwar ernst, dennoch aber sanft geblieben.
Uriel schnellt so schnell wie eine Schlange herum und ergreift mich bei den Schultern.
“Nein!”
Seine Stimme ist rau geworden und ich zucke erschrocken zusammen.
“Niemals“, fährt er laut fort und schüttelt mich ein wenig, “hörst du, niemals! Du hast seine Gnade nicht verloren! Er liebt dich immer noch, denn sonst hätte er dafür gesorgt, dass deine Strafe auch zu einer Strafe wird. Doch als sich herausstellte, dass das was man dir auferlegte für dich keine Strafe darstellt, ist niemand gekommen um es abzuändern. Verstehst du?”
Ich starre den Engel immer noch mit großen Augen an. So eine heftige Reaktion habe ich nicht erwartet. Am Rande nehme ich wahr, wie in Reyaraks Resonanz die Aggression wieder auflodert und wende ihm schnell den Blick zu. Seine Augen sind nun auf mich und Uriel gerichtet. Missa, die gerade mit dem Berserker gesprochen hat, beachtet der Mann nun nicht mehr. Die Frau legt den Kopf schräg, als ihr das auffällt und dann wendet sie mir ihren Blick zu. Ihre Augenbrauen wandern in die Höhe.
Mit einem leichten Kopfschütteln signalisiere ich den beiden Dämonen, dass alles in Ordnung ist und ich keine Hilfe brauche. Missa zuckt mit den Schultern, doch Reyaraks Augen verengen sich kurz. Dann jedoch wendet er sich ab und fragt Missa etwas. Die Frau braucht einige Sekunden um es zu bemerken, doch dann wendet sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Berserker.

Uriel, der die kurze Szene mit wachsamen Blick verfolgt hat, sieht mich nun staunend an. In seiner Resonanz erkenne ich nun nicht nur Verwunderung, sondern auch tiefe Ehrfurcht. Verwirrt mustere ich den Engel.
“Was?”
Nun klingt meine Stimme ungehalten, ja ärgerlich und Uriel kichert leise. Etwas, dass mich nun doch etwas ärgert. Der Engel, der dies scheinbar merkt, unterdrückt schnell seinen Heiterkeitsausbruch und wird wieder ernst.
“Er hat sich also wirklich an dich gebunden?” Als ich nicke fährt er fort. “Hast du eigentlich eine Ahnung wie viel Macht er dir damit über sich gegeben hat?”
Ich schüttle leicht den Kopf und seufze leise.
“Nun,” meine ich resignierend, “der Reaktionen, die ihr alle zum besten gebt, nach zu schließen, vermutlich sehr viel!” Uriel nickt nur ernst und überrascht mich damit ein wenig..
Ich beschließe, dass ich seinen unpassenden Heiterkeitsausbruch von gerade eben ignoriere und ihm erklären werde, warum ich Reyarak vor seinen Fragen beschützen wollte.
“Uriel, du wolltest doch wissen warum ich es für keine gute Idee halte, wenn du mit Reyarak über seine Zeit im Verlies, oder der Umstände wie er dort hingekommen ist, sprichst?” Meine Stimme ist leise gewordne. Der Engel zieht kurz die Augenbrauen hoch, nickt dann aber.
“Nun,” fahre ich fort, “dort unten in den Katakomben, da habe ich ihn gefragt, was man ihm angetan hat. Weißt du was passiert ist?”
Ich halte kurz inne. Als der Engel nur den Kopf schüttelt, spreche ich weiter.
“Er bekam Panik, Uriel! Verstehst du? Hast du eine Ahnung was, wie viele schreckliche Dinge man jemanden wie Reyarak antun muss, um zu bewirken, dass nur der Gedanke daran so etwas wie eine Panikattacke auslöst? Kannst du dir auch nur im Entferntesten vorstellen wie schrecklich seine Erlebnisse gewesen sein müssen?”
Ich sehe den Engel ernst an und dieser neigt betrübt den Blick den Boden zu. Als er seine Augen wieder hebt und mich ansieht, spiegelt sich darin Mitleid wieder und Verständnis. Langsam nickt er.
“Ja ich verstehe,” meint er leise, “aber trotzdem muss ich ihn fragen. Es gibt da etwas, dass ich herausfinden muss. Ich würde dir gerne erzählen was ich vermute und hoffe dass du dann verstehen kannst, warum es so wichtig ist.”
Ich nicke langsam und nicht gerade glücklich, doch bevor der Engel beginnen kann erspüre ich die Resonanz einer traurigen Seele. Da das in letzter Zeit nicht mehr so oft passiert überrascht es mich ein wenig. Offenbar spiegelt sich dieses auf meinen Zügen wieder, denn der Engel hält inne, noch bevor er begonnen hat. Sein Blick ist aufmerksam, als er mich mustert.
“Eine traurige Seele?” Seine Frage klingt neutral und ich nicke nur.
Dann wende ich meinen Kopf und blicke zu Reyarak, der wieder mit Missa spricht, hinüber. Die Leopardenfrau reicht ihm gerade einen neuen Becher und der Dämon nimmt ihn dankend an. Offenbar hat es der Berserker nicht sonderlich eilig damit sich wieder in die Nähe des Erzengels neben mir zu begeben. Meine Brust dehnt sich in einem lautlosen Seufzen. Der Mann ist auf keinen Fall schon so weit, dass er mich wer weiß wohin zu einer traurigen Seele begleiten kann, doch alleine hier lassen will ich ihn auch nicht. Ich frage mich jedoch, ob Missa da mitmachen wird, da ja auch Tamoran nicht da ist um mich zu begleiten. Ich drehe mich wieder zu den Engel um.
“Ich will Reyarak nicht alleine hier lassen,” meine ich zu Uriel, “aber begleiten kann er mich im Moment auch noch nicht, dafür ist er noch viel zu erschöpft.”
Uriel, der begriffen hat worauf ich hinaus will, nickt bereits.
“Ich begleite dich!”
Die Stimme des Engels klingt bestimmt.
“Außerdem,” fügt er leise hinzu, “trifft sich das ganz gut. Es gibt da einen Ort, von dem ich möchte, dass du ihn kennst und den du über den Schritt erreichen können solltest. Naja,” er lächelt kurz, “eigentlich sind es sogar zwei Orte.”
Neugierig lege ich den Kopf schräg, aber der Engel schüttelt den Kopf.
“Nicht hier und nicht jetzt,” meint er, “ich erkläre dir alles, wenn wir dort sind. In Ordnung?”
Ich nicke langsam und lasse mir von ihm aufhelfen.




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Uff...das war jetzt aber eine schwere Geburt. Hat sich dass jetzt gesträubt und dabei habe ich gar nicht viel überarbeitet...
Na nun bin ich aber bisher ganz zufrieden damit.

Liebe Grüße
Anariel
 
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Kommentare  

Hallo Jochen,

wie schön,dass auch du noch Gefallen daran findest.
Hmm...ja, das werden immer mehr, die sich da um Hoffnung sammeln und auch wenn ihr das nicht wirklich passt, wird sie doch als Anführerin von den übernatürlichen Wesen angesehen.
Es freut mich, dass Uriels Zwiespalt schon jetzt zu erahnen ist, das wird aber im Laufe der Geschichte noch viel deutlicher.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (01.06.2010)

Inzwischen besitzt Hoffnung ja direkt eine kleines Heer, um gegen die Kreaturen der Schattenwelt anzukämpfen. Mehr und mehr übernatürliche Wesen versammeln sich in der Nähe des Flusses mitten im Urwald und es wird immer klarer, dass sie nicht auf die Engel hören wollen, sondern eher auf sie. Im Gegensatz zu ihnen ist Uriel nicht so ganz von Hoffnungs bisherigen Handlungen überzeugt. Zwar schwankt er in seinem Denken, aber im Grunde ist er wohl doch der Meinung, dass nur einer richtig denken kann und das ist der Schöpfergott. Diesem ist er nämlich gerazu sklavisch ergeben. Auf der anderen Seite aber möchte er Hoffnung doch vor allem Leid bewahren und ist ihr sehr zugetan. Bin gespannt, was sich noch ereignen wird.

Jochen (31.05.2010)

Huhu Doska,

schön, dass es dir immer noch gefällt.
Ja zwischen Engel und Dämon, da gibt es wohl des öfteren Reiberein... -grinst-
Nun das nächste Kapitel wird wohl noch ein wenig dauern, das muss ich völlig neu schreiben...

Liebe Grüße
an dich


Tis-Anariel (30.05.2010)

Engel und Dämon passen wohl nicht so recht zusammen. Klar, dass da schnell die Gefühle hochkochen. Gut dass Hoffnung noch das Schlimmste zwischen Uriel und dem Berserker verhindern konnte. Zumindest kann Missa ihre Vorurteile gegenüber Reyarak abbauen. Von nun an hat Hoffnung einen treuen Freund an ihrer Seite, doch welche Geheimnisse belasten Uriel? Das wird uns wohl erst das nächste Kapitel verraten.

doska (29.05.2010)

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