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5 Seiten

Der Bogen der Zeit (1f)

Romane/Serien · Spannendes
© Hanim
Es war ihr zu schwer auf das Pferd zu steigen. Der Hund sprang wedelnd an ihr hoch, als sie mit schweren Schritten weiterging. Was sie gestern getan hatte konnte ein Fehler sein, jetzt wurde ihr das bewusst, denn sie hatte sich gerade dort einen unversöhnlichen Feind geschaffen. Aber wie wollte er ihr Schaden, sie würde ohnehin nicht dorthin zurück kehren wo sie herkam.

Sie hatte Briefe an ihre Familie geschrieben weil sie nicht wollte, dass man sie für tot hielt. Und sie hatte Briefe zurück erhalten. Man hatte ihr angeboten zurück zu kommen und sie nicht zu bestrafen, das war schon lange her.
Sie wußte, dass man das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, dass Akay in irgendein Provinznest verheiratet worden war, in einer Nacht und Nebel Aktion, da sie ja so ungehorsam gewesen war.
Das wenigstens stimmte, Akay war nie gehorsam gewesen.
Müde schritt Akay über das Pflaster. Ohne darüber nachzudenken, wo sie sich befand, wo ihre Schritte sie hinführten. Sie hatte gute und schlechte Jahre gehabt. Sie war weit gereist, weiter als mancher Mann. Sie wäre ein paar mal fast umgekommen, aber Allah hatte immer seine schützende Hand über sie gehalten. Doch es hatte ihre Sehnsucht nicht stillen können.
Jetzt zurück an dem Ort an dem sie aufgewachsen war, nur mit dem was sie am Leib trug, wußte sie einfach nicht mehr wie es weiter gehen sollte. Auf dem Weg hatte sie noch ein Ziel vor Augen gehabt, und nun? Fast 7 Monate dauerte der Rückweg. Sie hatte alles Geld verbraucht und von ihrer Ausrüstung wollte sie nichts mehr verkaufen. Ein gutes Pferd, ein Jagdhund, ein Säbel, das Kettenhemd, ihr Helm, ihr Bogen, nur etwas davon hätte gereicht um genug Geld für ein Jahr zu haben. Aber was wäre sie ohne diese Dinge, ein Frau in Männerkleidern ... wäre sie noch Koray - der Dunkelmond? Die letzten Jahre verbrachte sie in Persien, als Militärberater, keine gute Ausgangsposition seit sich das Reich und Persien ständige Gemetzel lieferten. Aber wer sollte davon erfahren?

Koray hatte sich nie verliebt, nicht weil sie es nicht gewollt hätte, es ging einfach nicht. Da war niemand den sie so lieben konnte, wie er es verdient hätte. Und da war auch niemand dem sie so vertraut hätte wie es nötig gewesen wäre.

Peri Nur, dachte Koray, ob sie noch lebt? Sicher lebt sie noch, in ihrer Welt wäre sie niemals alt geworden. Hier hatte sie fast 400 Jahre gebraucht um so zu altern...Peri. Nur wer ihr den Namen gegeben hatte wusste nicht, wie nahe er an der Wahrheit war. Ob sie zurück möchte? Oder ob sie hier sterben möchte. Sie war aus Neugier gekommen und aus Liebe geblieben. Wie war das wohl, fast alterlos zu sein und seinen Geliebten sterben zu sehen...war sie wirklich eine Peri, eine Fee? Waren das alles nicht doch nur Geschichten, die Brücke am Berg ein Märchen, eine Illusion, was hatte sie wirklich erlebt...? Im nachhinein war es wie Fragmente eines Traums. Nur der Schatten der ihr folgte blieb. Sie wandte sich unwillkürlich um. Da war nichts und sie konnte ihn auch nicht spüren. Vielleicht war auch das eine Illusion, vielleicht sogar ihr ganzes Leben...
Seit sie den Weg am Berg gefunden hatte, war es so, dass alles angefangen hatte, sich zu verändern. Zuerst bemerkte sie es nicht, nur ihre Träume waren anders. Dann aber war es ein immer stärker werdendes Gefühl, die Ahnung einer Bedrohung, etwas das sich unaufhörlich in ihr Leben schlich und sich ihr anhängte. War es zuerst nur wie eine leichte Wolke welche an einem schönen Tag das Licht der Sonne nur wenig schwächt, so glich es nun einem Schatten, der sich über sie legte, während alles drum herum in Helligkeit verblieb. Es griff nach Ihr, von Tag zu Tag mehr und mehr. Nachts krochen die Schatten an ihr Lager, drangen in ihre Träume ein, belagerten ihre Seele. Und seit einiger Zeit spürte sie ein Locken, einen unhörbaren Ruf der sie hinüber leiten sollte. Hinüber...wohin …? Sie wußte nicht was das war. Sie glaubte verrückt zu werden und doch war sie bei klarem Verstand und etwas in ihr ahnte, was es sein könnte. Und diese Ahnung ließ sie bis ins Mark erschauern. Wenn es so wäre, wenn es so wäre, was hätte sie dem noch entgegen zu setzen? Und was, wenn es noch viel schlimmer war, wenn es nicht nur sie beträfe, wenn es die Welt beträfe..?
Diesen Gedanken hatte sie gewagt zu Ende zu denken. Die mögliche Schuld, die sie dann auf sich geladen hätte, wäre nie abgegolten, niemals, nicht in Ewigkeiten. Und alles nur, weil sie neugierig war...

Unbemerkt von Koray lag der Schatten auf der Lauer und legte seine Schlinge aus. Er legte Traurigkeit und Zweifel in ihr Herz, er verstärkte ihre tiefe Mutlosigkeit und wartet auf seine Stunde...die war nicht mehr weit...Bald würde sie in dem Zustand sein, auf den er schon so lange wartete....Oh er würde ein leichts Spiel mit diesem Menschen haben...

Koray bemerkte nicht mehr wohin ihre Füße sie trugen. So sehr sie in ihre Gedanken versank, um so weniger bemerkte sie, was um sie herum geschah. Es legte sich ganz heimlich über sie, berührte ihre Seele, was ihm vorher verwehrt war. Es erforschte sie, tastete sich vor und dann ließ es sie leiden..
Koray riß den Kopf herum und lauschte entsetzt. Das Geräusch der Schmieden war für sie nicht mehr das gleiche, es wurde zum Lärm der Schlachtfelder. Entsetzt starrte sie um sich, was sie sah verschwamm zu neuen unklaren Bildern. Wo Häuser gestanden hatten waren rauchende Ruinen. Sie hörte die Schreie der Verwundeten, sie roch das Blut, den Dampf, das Pulver!Ihre Instinkte sprangen an ohne das sie etwas dagegen tun konnte. Die Hand glitt an die Waffe, sie wollte fliehen oder kämpfen aber es ging nicht, sie stand wie angewurzelt da und musste wie gelähmt, das Grauen, dem sie schon mehr als einmal begegnet war, sehen. Sie konnte den Blick nicht wenden, die Augen nicht schliessen...alle Bilder stürmten ungehindert und seltsam verstärkt auf sie ein. Blut und Knochen, sterbende zerfetzte Körper, Dinge, die sie längst hinter sich gelassen glaubte. Koray stockte der Atem vor Entsetzten. Wer sie sah, sah einen Mann mit wildem Blick und gezückten Säbel mitten auf einer Strasse stehen und schüttelte bedauernd den Kopf. Koray wußte irgendwie, dass das was sie sah nicht real wahr, aber sie konnte dennoch nicht aus dem Geschehen ausbrechen.
Der Schatten legte sich über sie, verstärkte die Illusion, hielt sie darin fest und wurde zum Spiegel ihrer Ängste.
Der Hund mit eingekniffenem Schwanz hinter ihr, wohl spürend, was sich näherte, knurrte und bellte voller Wut. Dann, so plötzlich wie er gekommen war, ließ er von Akay, ab. Es war gut, es war leicht sie zu täuschen und zu verführen, es würde eine bessere Gelegenheit geben..sie wurde schwächer..nicht mehr lange und er würde sie eingeholt haben.

In dem Augenblick, in dem er von ihr glitt, brach Koray in die Knie. Der Säbel rutschte polternd über das Pflaster und sie barg ihr Gesicht in den Händen. Voller Furcht drängte der Hund sich an sie und versuchte tröstend ihre Hände zu lecken. Koray wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen und strich dem Hund sanft über den schmalen Kopf. „Was war das“ stöhnte sie leise wohl wissend, dass der Hund ihr keine Antwort geben konnte. Warum wurde alles nur schlimmer und nicht besser? Hatte der Hunger sie schon so weit gebracht, dass sie phantasierte?
Sie blickte auf, als ihr ein Vorbeikommender den Säbel mit einem mitleidigen Blick reichte. Beschämt steckte sie ihn zurück an den Sattel und zog den Kopf zwischen den Schultern ein.
Zwei ältere Frauen blickten ihr nach:“Der Krieg hat sich verändert...es ist schlimm wie unsere jungen Männer zurück kommen. Hussein, der Sohn vom alten Schuster, kam auch so wieder. Er hat es nie mehr geschafft, die bösen Geister loszuwerden. Jetzt muß sein Vater ihn füttern wie ein kleines Kind!“

Das Pferd, ebenso leise schnaubend, voller Furcht folgte ihr, während sie fast taumelnd die Gasse hinab ging. Sie hatte keine Ahnung mehr, wo sie sich gerade befand. Also war der Weg abwärts der einzig richtige. Der Schatten folgte ihr lauernd. Die engen Gassen öffneten sich zum Ufer hin. Sie stolperte über das unebene Pflaster. Wie schwer war es, das Leben. So grau die Stadt, so fremd, so feindselig. Eine furchtbare Beklemmung legte sich über sie, machte ihr das Atmen schwer. Traurigkeit umschloß sie wie ein Gewand.

An den Ufern schaukelten Bote und Nachen, die Stimmen der Fischer und Männer auf den Lastkähnen verhallten über dem Wasser und brachen sich an den Wänden der Häuser.
In der Ferne glitzerte das Marmara Meer. Ohne Gedanken lief sie in diese Richtung am Ufer entlang.
Wer sie ansah und wirklich hinschaute konnte den Schatten sehen, der sich an Ihre Fersen geheftet hatte.

„Akay wir dürfen das nicht“, flüsterte sie und das Rascheln der Seide war das einzige Geräusch. „Schau nur wie schön er ist.“ „Nicht Akay, fass es nicht an...es ist doch nur ein Kieslstein und es gehört Peri Nur!“ Ihre Hand griff nach dem Stein, der von innen her leuchtete wie ein Stern. Er war flach rund und warm. So angenehm...helles Licht...dunkle Nacht. Sie ritt vor der Karawane, den Bogen vor sich, griffbereit am Sattel, den Köcher geöffnet....das Gras wie weites Meer, Wellen, die entfernten Hügel, ein Duft nach Sommer, endlos reiten, reiten....Er stürmte auf sie zu. Erschrocken schlug sie zu. Der Schlag traf ihn ins Gesicht...Das Blut...Was für ein Triumpf, als ihr Pfeil das Herz der Gazelle traf. Nur hier in der Weite war sie zuhause.... “

Nur das Meer war noch zu hören, es gurgelte leise wenn es sich an den Kais brach. Weiches Wasser steinhöhlend, doch mit sanfter Stimme...“Sei vorsichtig Akay, sei vorsichtig Koray..“

Sie blickte auf, über das grüne Meer, das sich hier öffnete zur Weite. Was sie sah war etwas anderes. Die unzähligen Fischerboote leicht schaukelnd wie grasende Tiere in der Steppe. Das Wasser wie Gras, die Wellen wie Wind, im hohen Steppengras. Ihr Herz zersprang fast vor Sehnsucht...Zurück in die Steppe, heraus aus der grausamen Stadt....zurück ….
"Komm Koray, komm, hier bist du zuhause, hier bist Du frei"
"Ich kann nicht. Wer bist Du?", stöhnte sie und er wußte, dass dies der Augenblick sein konnte, auf den er viele Jahre gewartet hatte. Sein Herr würde zufrieden sein...
"Komm folge mir Koray, ich bin mächtiger als du, wie willst du mir widerstehen... Folge mir. Ich bringe Dich in das weite Land, das du so liebst...."
Wer bist du?" …
"komm Koray, es vergeht keine Zeit mehr...!Komm....ich nehme dich auf. Du wirst vergessen....Ich bin du, Ich bin Vergessen, die Erfüllung dessen, was du suchst...komm..."
Er war sanft, er war süß. Sie empfand die grüne Kühle als angenehm während sie hinein sank...alles verlor an Bedeutung. Licht wurde bedeutungslos, atmen wurde bedeutungslos...ein goldenes Glänzen glitt bedrohlich über tiefes schwarz. Woher kannte sie das...?





"Was willst Du von mir?", selbst die Frage wurde bedeutungslos.
"Koray- mein Herr wartet schon so lange auf Dich...komm mit mir!“
„Dein Herr---?“Und für einen Augenblick überschlugen sich die Erinnerungen. Sie konnte es so deutlich spüren, wie an dem Tag auf der Wolkenbrücke am Berg...Da war es, das Böse, Dunkle, das Fremde, das nach ihr griff...
“NIEMALS—niemals---nie...ya Allah“, schrie sie und wand sich aus seinen Versprechungen...
 
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Kommentare  

Gut dargestellt. Zum Teil sehr real, dann wieder fantastisch. werde gleich das nächste kapitel lesen.

Jochen (18.03.2011)

Der Text hier gefällt mir bislang am besten. Ich finde er ist sehr gefühlvoll und teilweise märchenhaft geschrieben und du machst es einem leicht sich sofort in die Protagonisten hineinzuversetzen.

Einziger Vorschlag zur Verbesserung wäre nach der direkten Rede einer Person in einer neuen Zeile mit der direkten Rede einer anderen Person zu beginnen und nicht alles hintereinander wegzuschreiben - rein der Lesbarkeit und Verständlichkeit halber.


Jingizu (24.08.2010)

So habs noch mal überarbeitet, war mir zu pragmatisch. Ich hoffe das es jetzt besser heraus kommt wie Koray immer mehr in ihrer Verzweiflung und Mutlosigkeit versinkt.

Hanim (24.08.2010)

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