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19 Seiten

Vergeltung - Kapitel 1 (Historisch)

Romane/Serien · Romantisches
© Lilly
England ; 28. April 1241

Die laut knallende Tür riss Elisabeth aus ihrem tiefen und traumlosen Schlaf. Fürchterlich erschrocken sprang sie hoch und blickte sich verwirrt im Zimmer um. Da erkannte sie im seichten Licht einer wild flackernden Kerze ihre Kammerzofe, die sich atemlos gegen die Tür stemmte, als wolle sie mit aller Macht verhindern, dass jemand eindrang.
„Agnes … Himmel Herr Gott, was zum Teufel geht hier vor sich? Was ist in dich gefahren, mich so zu erschrecken und warum in Gottes Namen hältst du meine Tür zu, als wollte der Teufel höchst persönlich hier eindringen?“
„Oh Gott, Mylady … sie …“, Agnes bekam kaum Atem, ihr Herz raste und alles es in ihr zitterte vor Panik, während sie sich an ihre Brust fasste:“ Sie stürmen die Burg, es sind so viele … Himmel … ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht des Teufels wahrhaftige Reiter sind, die Vorboten seiner Zeichen.“
„Was …? Verflucht, welch Unsinn redest du denn da?“
Alarmiert über die augenscheinliche Angst ihrer Zofe und der aufkommenden Wut über ihr seltsames Verhalten, stieg Elisabeth aus ihrem mittlerweile erkalteten Bett. Nur mühsam konnte sie sich in ihrer aufgebrachten Bewegung aus ihren Laken befreien und auf einmal nahm sie das erschreckende Knistern von Flammen wahr und sie roch den Rauch, der langsam durch ihre beiden Fenster drang. Für eine Sekunde hielt sie wie versteinert inne und blickte nur schwerfällig aussehend zum verhangenen Fenster. Etwas bizarr flackerte es wie wild zwischen dem dicken roten Stoff hindurch, das den kühlen Wind der Nacht abhalten sollte und Elisabeths Atem stockte. Sofort rannte sie hin, schob die schweren Vorhänge beiseite und sah die kleine Wehrmauer brennen. Erst jetzt hörte sie auch das Geschrei ihrer Bediensteten und sah ihre wenigen Soldaten, fast schon verzweifelt wirkend, gegen unbekannte Angreifer kämpfen. Selbst von ihrem Fenster aus, konnte sie die Verzweiflung sehen, die sie diesen Fremden entgegen brachten.
Zum ersten Mal in ihrem sonst immer so ruhigen Leben, bereute sie es, so weit weg von allem und jedem zu leben und das in einer kleinen und baufälligen Burg, die kaum Schutz zu bieten hatte.
„Oh … mein … Gott.“,stammelte sie fast tonlos und konnte ihre Augen nicht von diesem Szenario nehmen. Alles an ihr war steif und verharrte an Ort und Stelle.
„Wer …“, brachte sie kaum hörbar hervor und schon hörte sie Agnes hinter sich verzweifelt sagen:“ Schotten, Mylady, es sind die barbarischen Schotten … Wir sind verloren! Das ist unser aller Ende, Gott hat uns nun endgültig verlassen!“
Elisabeth sah sie fassungslos und voller Unverständnis vom Fenster aus her an.
Was wollten die Schotten von ihnen, sie lebten nicht in der Nähe der Grenze und sie machten keine unrühmliche Geschäfte mit ihnen?
Nach einer Sekunde des qualvollen Nachdenkens durchdrang sie ein schmerzvoller Geistesblitz. Ihr wurde die Tragweite des allen so schnell bewusst, dass ihre Knie nachgaben und sie zu Boden sank.
„Mylady“, rief Agnes mit ihre schrillen Stimme erschrocken aus und eilte besorgt zu ihr hin.
Noch immer hielt sich Elisabeth mit einer Hand am Fenstersims fest und rang mit ihrer Fassung. Sie kämpfte mit all ihrer Macht gegen das Schwachsein an, dass es in ihrem Hals unangenehm schmerzte. Alles in ihrem Magen zog sich zusammen, das Atmen viel ihr unglaublich schwer und sie spürte wie Tränen in ihre Augen stiegen. Sie bebte und besaß einfach nicht die Kontrolle dies zu unterbinden.
„Mylady“, es war wieder Agnes, die auf einmal besorgt einen Arm um ihre Schultern legte und glaubte, dass ihre Herrin gleich das Bewusstsein verlieren würde. Die Angst schien sie aufzufressen. Wer wusste auch schon, was sie ihnen antun würden, wenn man sie fand. Wahrscheinlich würde es mit ihrer Jungfräulichkeit schneller zu Ende sein, als mit ihrem Leben, dachte sich Agnes. Jetzt stieg ihre Angst noch mehr, kannte sie die Geschichten über diese Barbaren doch genau und nun waren sie hier, aus welchem Grund auch immer. Das durfte sie nicht zulassen, sie musste sich verstecken oder fliehen! Ihre Herrin musste sich endlich erheben und davon laufen, bevor sie die Burg erreichten.
Doch Elisabeth atmete zitternd einmal ganz tief durch um die Kontrolle zurück zu gewinnen und meinte erschreckend mit tonloser Stimme, sich an ihr schmerzendes Herz fassend:“ Vater … Gott steh uns allen bei.“
Sie ahnte, nein sie wusste, dass er tot war, dass er nie wieder kommen würde und dass dies nun die Rache seiner hier rühmlichen Taten war. Taten die er nur begann, weil der König, die Krone und das Land, es von ihm verlangten.
Was sollte sie noch alles ertragen? Erst den dummen und unnötigen Tod ihres jüngeren Bruders, bei einem unsinnigen Jagdspiel mit Freunden und kurz darauf folgte ihm ihre Mutter, von alledem ihr Vater bisher nichts erfuhr. Wie auch, hatte Elisabeth ja keine Ahnung wo er sich in Schottland befand und kein Bote, der sich bei Verstand befand, würde, nur um eine Botschaft des Todes zu überbringen, in dieses feindliche Land reisen und sein Leben damit riskieren.
Über ein Jahr war er nun schon fort, ohne eine Nachricht und ohne ein jegliches Lebenszeichen. Bis jetzt!
Sie hoffte immer auf seine Rückkehr.
Und jetzt würde sie sterben müssen, für etwas das sie nicht verstand, was nicht ihr Krieg war. Sie war eine Frau, all dies wurde nicht von ihr gemacht, nicht einmal ihre Meinung durfte sie laut darüber äußern und doch würde sie nun für das, was geschehen war, zur Verantwortung gezogen werden. Es war einfach unverständlich und nicht richtig!
Langsam erhob sie sich wieder auf ihre wackeligen Beine und blickte noch einmal hinaus. Ihr Herzschlag verlangsamte sich wieder etwas, ihre Muskeln begannen ihr wieder zu gehorchen und fast schon trotzig rieb sie sich einmal kräftig über ihre tränennassen Augen. Mutig reckte sie ihren Rücken gerade, hob ihr Kinn an und schloss für nur eine Sekunde ihre Lider, denn sie schwor sich, kampflos würde sie nicht untergehen.
Vor ihrem Bett stand eine Truhe, mit wunderschönen handgeschnitzten Ablaktationen darauf. Dort bewahrte sie die wenigen Dinge auf, die ihr etwas bedeuteten. Hastig, Agnes fast umrennend, eilte sie zu ihr hin, hob den schweren Deckel an und griff hinein. Ihre Zofe konnte nur mühsam einen verzweifelten Aufschrei unterdrücken, als sie sah, dass ihre Herrin ein Schwert hervor holte.
Schon viel zu lange hatte Sophie es nicht mehr in Händen gehalten und im ersten Augenblick war es schwerer als in ihrer fernen Erinnerung. Es riss schmerzvoll ihren Arm nach unten und die Spitze der Klinge schlug laut auf dem Boden auf, was Agnes erneut etwas zurückschrecken ließ.
„Oh nein Mylady …“, begann diese, als sie verstand was ihre Herrin vorhatte und rief entsetzt aus:“ Ihr müsst Euch verstecken. Solch ein Kampf ist nicht der Platz für eine Frau und schon gar nicht für eine Eures Standes. Sie dürfen euch nicht finden.“
Kraftvoll, Agnes für einen Moment nicht beachtend, hob Elisabeth es wieder an, pendelte es fachgemäß in ihrer Hand hin und her und ließ es einige Male gekonnt durch die Luft gleiten. Ganz langsam erinnerte sich ihr Arm wieder an das Gewicht, die Muskeln spannten sich an, als hätten sie nie etwas anderes getan. Da meinte sie unmissverständlich zu ihrer Zofe:“ Für Geschlechterfragen ist jetzt keine Zeit, Agnes! Ich bin anscheinend die …“, Elisabeth zögerte eine Sekunde und kämpfte um ihre Trauer – von der sie in den letzten Monaten zu viel verspürte, bevor sie weiter sprach:“ Die letzte meiner Familie, ich muss bewahren was das meine ist. Das ist meine Pflicht, so wurde ich erzogen! Ich lasse mir nicht das Letzte nehmen, das mich an meine Familie erinnert.“
Sanft schob sie die hysterisch wirkende junge Zofe, die sich ihr hastig in den Weg stellte, beiseite und sagte zu ihr im strengen befehlerischen Ton:“ Verstecke dich in der Truhe und sei um Gottes willen endlich still.“
Zuerst schüttelte sie ihren Kopf, doch Elisabeth meinte eindringlich:“ Entweder du gehst freiwillig, oder ich sperre dich darin ein. Du hast die Wahl.“
Gehorsam nickte Agnes und stieg zögerlich in die Truhe hinein. Noch einmal blickte sie zu ihrer Herrin auf, doch die war schon längst aus ihrem Zimmer verschwunden und so schloss sie, ein leises Gebet vor sich her murmelnd, den Deckel.

Angespannt rannte Elisabeth den langen dunklen Gang entlang und ihr Nachtgewand wehte im kühlen Wind, der unaufhaltsam durch das kalte Gemäuer blies. Sie verließ die Burg durch eine kleine Luke von der Küche aus, durch die man immer das Holz gab. Schmutz zierte nun das weiß ihres Hemdes und auch etwas ihr Gesicht. Doch dies war nun nicht von Belang.
Sie schlich sich an der Steinmauer entlang, leise, mit erhobenem Schwert, bereit sofort zu kämpfen.
Ihr weißes Hemd leuchtete trotz des Schmutzes unglaublich hell im vollen Mondlicht der Nacht und sie sah ihren nervösen Atem, der eine kleine feuchte Wolke vor ihrem Mund bildete, während sie angespannt ausatmete. Lautes aufeinander schlagendes Metall flog ihr zu und sie blieb stehen. Als sie vorsichtig um eine Ecke blickte, sah sie den getreuen Ritter ihres Vaters, Marcus Westen, der wild und treu ergeben um die Eingangsstufen ihres Heimes kämpfte und verloren schien gegen diesen monströsen und um einiges jüngeren Krieger.
Noch einmal legte sie sich zurück an die harte Wand und ihre erhitzte Stirn berührte das kalte Metall ihres erhobenen Schwertes. Durch ihren warmen Atem bildete sich eine feuchte Schicht darauf, die für eine Sekunde das Metall beschlagen ließ. Sie hatte Angst und fühlte sich nun doch irgendwie fürchterlich fehl am Platz. Aber dafür war es jetzt zu spät und sie war noch nicht bereit aufzugeben und zu sterben. Sie war eine stolze Engländerin, stolz auf ihr Land, auf ihre hochgeborene Herkunft und nicht gewillt, alles durch diese Barbaren und deren fehlgeleiteten Hass zu verlieren. Sie hatten verdammt noch mal nicht das Recht hier zu sein!
Westen lag mit dem Rücken auf dem Boden und sein Schwert flog weit durch die Luft. Hastig kroch er auf seine Knie und wollte aufspringen um es sich zurück zu holen, doch dafür musste er ihm den Rücken zukehren.
So schwang sich Elisabeth in einem ungesehenen Moment energisch um die Ecke und stürmte barfüßig auf den Krieger zu, der gerade von hinten auf Ritter Westen einschlagen wollte. Leider sah er sie im letzten Augenblick aus seinem Augenwinkel heraus und wehrte gewaltsam ihren Schlag ab.
„Mylady … nein“, rief ihr der Ritter atemlos zu, sich nur schwerfällig noch wehren könnend, doch Elisabeth konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Gegner.
Überrascht hielt dieser inne, als er erkannte, dass er gerade dabei war, gegen eine kleine und zierliche Frau zu kämpfen. Abwegend blickte er sie von Kopf bis Fuß an, sein Schwert aber keinesfalls senkend, und raunte ihr zu:“ Claidheamh mòr aon bean (Großes Schwert für eine Frau).“
Elisabeth verstand kein Wort von dieser Sprache, die in ihren Ohren schmerzte, ließ sich dadurch aber nicht aus der Ruhe bringen.
Ein verteufelt gut aussehendes Weibsbild, dachte er unweigerlich und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Er wollte sie nicht töten, nein, dafür war sie viel zu hübsch. Er würde etwas mit ihr spielen, sie reizen und sich ihr dann auf andere Weise bemächtigen. Seine Lenden schmerzten unangenehm bei dem Gedanken daran, sie bald besitzen zu können. Ein unglaublich erschreckendes Lächeln legte sich auf einmal auf seinen schmalen Mund und Elisabeth konnte dies nicht deuten, aber eine Ahnung flog ihr geschwind zu, als er ihr auch noch zu zwinkerte.
Davon ließ sie sich jedoch auch nicht beirren und brachte sich in feste Position. Fester Stand, klarer Blick und solider Griff. Jetzt zeichnete sich ein sanftes Schmunzeln auf ihren Lippen ab, denn er schien sie nicht ernst zu nehmen. Sie erkannte seine lockere Haltung, seinen Hochmut und da griff sie ihn überraschend an und er konnte kaum dagegenhalten. Sie parierte, täuschte an und schlug kraftvoll und zielgerichtet zu.
Es war ihm, als hätte er zum ersten Mal ein Schwert in Händen, denn es viel ihm unglaublich schwer zu reagieren, er war viel zu perplex über das was ihm da gerade wiederfuhr. Eine kleine zierliche Frau, kämpfte gegen ihn, einem Krieger, wie ein Mann und sie bewehrte sich hervorragend. Sie hatte zwar nicht seine Kraft, aber sie war wendig und schnell, er kam mit seinem massigen Körper kaum hinterher.
Da hatte sie ihn auf einmal, ein gezielter Angriff, eine Unachtsamkeit seinerseits und schon durchbohrte sie seinen Bauch. Laut klirrend fiel sein Schwert zu Boden und bald darauf lief dunkles Blut aus seinem offenstehenden Mund. Er packte sich an seine Wunde und hielt diese verzweifelt wirkend zu, während er erstickend hustete. Hart fiel er auf seine Knie und blickte Elisabeth noch einmal verwundert an, bevor er leblos nach hinten umkippte.
Atemlos und schockiert schaute sie auf ihn herab und konnte nicht glauben, was sie gerade getan hatte. Sie hatte einen Menschen getötet! Sie, die normalerweise keiner Fliege etwas zu leide tun konnte, die immer alles versuchte zu retten was man retten konnte, hatte getötet und das ohne mit der Wimper zu zucken.
Der Himmel würde ihr nun wahrlisch verwehrt bleiben.
Ob es in der Hölle wirklich so heiß war, wie man ihnen in der Kirche erzählte? Waren die Qualen wirklich so schrecklich und endlos? Müde schüttelte sie ihren Kopf und versuchte damit diese wirren Gedanken abzuschütteln.
„Mylady, was in Gottes Namen tut Ihr da?“
Ritter Westen kam fast schon panisch auf sie zu gerannt und schien außer sich vor Sorge. Er riss sie aus ihren unwirklichen Gedanken und sie wandte sich ab von ihrem ersten toten Menschen den sie jäh sah und den sie umgebracht hatte.
„Ich tue das, was mich mein Vater lehrte, nämlich um das zu kämpfen, was einem gehört und was man liebt.“,gab sie mit harter Stimme wieder, mit ihrer Fassung ringend.
Er wusste, dass sie sich wehren konnte. Allem Widerstand und Regeln der Gesellschaft zum Trotz, lehrten sie ihr Vater und ihr Bruder das Kämpfen mit einem Schwert. Sie sollte sich in diesen schweren Zeiten verteidigen können und nicht ein hilfloser Klotz von einem Weib sein, käme es einmal darauf an. Jedoch glaubte er nicht, dass der anscheinend letzte Nachkomme dieser ehrbaren Familie, sein Leben so leichtfertig aufs Spiel setzen sollte und schon gar nicht gegen diese Barbaren.
Hastig glitt sein Blick über sie und er sah, dass sie zitterte. Egal wie sehr man sie das Kämpfen lehrte, ihr zeigte wie man überlebte, war sie doch eine schutzbedürftige Frau und die gehörten nun mal nicht an diesen kriegerischen Schauplatz.
„Mylady, es wäre besser ihr versteckt Euch irgendwo … bis es vorüber ist.“
In dem Moment griff erneut ein Schotte die beiden aus dem Schatten heraus an und Elisabeth reagierte blitzschnell, denn beinahe rollte der Kopf des alten Ritters auf dem Boden zu ihren Füßen. Doch ihr Schwert glitt gekonnt gegen das des Gegners und wehrte dessen Schlag ab. Elisabeth war es so, als würde diese harte Vibration, der beiden aufeinander scheppernden Schwerter, ihren Arm und ihre Schulter in Stücke reisen, doch sie ignorierte diesen Schmerz rigoros. Sie dachte nur an das, was das ihre war und dies war ihr lieb und teuer.
Der Westen duckte sich reflexartig darunter hinweg und sein Schwert glitt vor Schrecken aus seinen Händen.
Elisabeth drückte den Krieger kraftvoll von ihrem Ritter fort. Schwankend, nur schwer sein Gleichgewicht haltend, trat er einige Schritte rückwärts und nun starrte auch er sie perplex an. Er hatte nicht gesehen, dass sie ein Schwert in Händen hielt, damit hatte er nicht gerechnet. Diese Überraschung dauerte aber nur eine Sekunde an, dann stürmte er wild brüllend auf sie zu. Elisabeth drehte sich in letzter Sekunde gekonnt beiseite, doch sie verlor ihre Balance und fiel rückwerts mit voller Wucht auf die Stufen der Freitreppe. Ein unbeschreiblich dumpfes Ziehen durchzog ihren Rücken und sie hielt vor Schmerz für einen Augenblick den Atem an.
Ritter Westen ergriff sein zu Boden gefallenes Schwert und wollte ihr zur Hilfe eilen, doch der Krieger begann einen kopflosen Fehler. Wieder wie wild schreiend rannte er auf Elisabeth zu und wollte sie auf den Stufen liegend töten, doch sie hob in letztet Sekunde ihr Schwert wieder an und er lieferte sich dem selbst aus. Der junge Krieger zuckte sichtbar auf, blickte skeptisch auf das Metall das aus seinem Bauch ragte und dann schauten seine blauen Augen in die ihren, die weit aufgerissen waren. Dann sackte er aber auch schon leblos in sich zusammen. Hastig kroch Elisabeth unter ihm hervor, bevor sie ihr Schwert, das noch immer aus seinem Körper ragte, zusammen mit dem Toten fallen ließ.
Entsetzt starrte Westen auf den leblosen Schotten, dessen Blut sich mit dem Sand unter ihm rasend schnell vermischte und dann seine überaus bleiche Gräfin an, bevor er stotterte: „Danke … ich danke Euch, Mylady.“
Geisterhaft ausschauend nickte sie, erhob sich wie eine alte Frau ganz von den Stufen und wandte sich nun auch von diesem Leichnam ab, nachdem sie ihr Schwert kraftvoll aus dem leblosen Körper gezogen hatte. Sie blickte nach unten auf ihr Nachtgewand und sah, dass es über und über mit dem Blut ihrer Opfer besudelt war.
Dies war nun ein Zeugnis ihrer Schande, das Ende ihrer überall gepriesenen liebenswürdigen Frömmigkeit. Sie war kaltblütig und hemmungslos, sie war in ihren eigenen Augen ein Monster.
Ein schwerer Atemzug durchzog sie, währen sie ihre unbeschreiblich bleiernen Lider schloss und sie flüsterte verzweifelt zu sich selbst:“ Entweder sie … oder ich, entweder sie … oder … oder ich ... Himmel, vergib mir.“
Westen verstand ihre gestammelten Worte nicht, fragend und besorgt blickte er auf sie herab. Ihr sonst immer so ordentliches Haar war zerzaust, das Nachtgewand, das sie trug war besprenkelt mit Blut und ihr Gesicht schien im Mondlicht so bleich wie der Mond selbst.
Sie musste sofort hier weg, er musste sie beschützen, das hatte er ihrem Vater versprochen. Er konnte schon nicht ihren Bruder vor einer Dummheit bewahren und bei ihrer Mutter hatte Gott selbst seine Hände im Spiel, und keiner kann sich mit Gott messen. Doch bei ihr würde er nicht versagen!
„Ich werde mich nicht verstecken.“, unterbrach sie seine Gedanken und er sah sie wieder aufgeregt an. Konnte sie etwa seine Gedanken lesen oder war sein Gesichtsausdruck so verräterisch?
„Aber Lady Elisabeth, ich habe es Eurem Vater versprochen. Bitte Mylady.“, entgegnete er ihren tollkühnen Worten, während er sie an einem Handgelenk packte und bestimmend um eine Ecke zog. Weg aus dem Sichtfeld aller Angreifer, fort von allen Gefahren. Denn würden sie seine Herrin erhaschen, ihre seltene Schönheit erkennen, dann würden sich diese Barbaren an ihr auslassen. Sie wäre entehrt, geschändet und vielleicht später sogar tot.
Nein, das konnte er nicht geschehen lassen, niemals.
Gekonnt riss sich Elisabeth jedoch unerwartet los, fing ihn mit ihrem wütenden Blick ein und erklärte ihm überaus überzeugt klingend:“ Mein Vater ist tot, Sir Westen, deshalb sind sie wahrscheinlich hier, sie rächen das, was er getan hat. Ich kann mir diese Abscheulichkeit sonst anders nicht erklären.“
Er wusste, dass sie Recht hatte und blickte bestürzt zu Boden.
Warum konnte sie nicht so sein wie all die anderen gehorsamen Frauen, warum musste ihr Geist nur so teuflisch frei sein? Weshalb wollte sie ihren Hals in einem aussichtslosen Kampf riskieren? Sie war doch keines dieser Trossweiber, die sich mit in den Kampf stürzten, kopflos und dumm. Sie war von adeliger Geburt, rein und jungfräulich – bis heute.
Gerade wollte er ihr einen Grund nennen, warum es besser für sie und für ihn wäre, sich zu verstecken – zu fliehen, da hallte auf einmal ein greller, markerschütternder Schrei hinter ihnen aus der Burg und holte beide in die Wirklichkeit zurück. Erst jetzt fiel ihnen auf wie still es doch um sie herum geworden war. Kein Weinen, kein Flehen und keine Kampfgeräusche verdunkelten mehr die Nacht. Nur die alles fressenden Flammen um sie herum und dann dieser Schrei, der in seiner Länge eine unbeschreibliche Angst widerspiegelte, dass Elisabeth ein Schauer fast überrollte. Sie schwankte kurz und ergriff Westens Arm. Ihre Finger krallten sich durch den dünnen Stoff seines Hemdes und er blickte besorgt darauf.
„Agnes.“
Sie hatten ihre Zofe, ihre unschuldige, hilflose, kleine Zofe, die wahrscheinlich vor Angst gerade zugrunde ging.
Sie hörten lautes Gelächter aus der Burg hervordringen und der Admiral stellte entsetzt und beschämt zugleich fest:“ Wir haben versagt, Mylady. Vergebt mir.“
„Wie viele Männer haben wir noch? Wisst Ihr das vielleicht?“, wollte Elisabeth sofort wissen, seine Entschuldigung nicht beachtend. Seine Mine veränderte sich besorgniserregend und er erklärte ihr leise:“ Ich weiß nicht so genau, Mylady, aber ich denke … dass sie alle tot oder geflohen sind. Lady Elisabeth“, seine Stimme wurde eindringlicher:“ Es waren viele … zu viele für unsere kleine Truppe die Euer … Euer Vater für uns zurück ließ. Sie überraschten uns und noch bevor wir überhaupt bemerkten was los ist, hatten sie schon das vordere Tor eingeschlagen und einen Großteil der Wachen gemeuchelt. Sie ließen keine Gnade walten, zündeten die Häuser an und manch einer erschlug sogar das Getier. Ich sah nur von der Wehrmauer aus, wie sich einige Frauen mit ihren Kinder über die Felder stehlen konnten.“
Elisabeth war für einen Augenblick vom Schock seiner Worte wie gelähmt. So viele tote werden sie begraben müssen. Kinder, Frauen, Männer und die wenigen Soldaten. Noch lange wird der Schmerz und die Angst sie alle begleiten. Viele Nächte werden sie nicht mehr ruhig und mit sicherem Gefühl schlafen können und die, die vielleicht überlebt haben, werden diesen unheilvollen Ort verlassen oder nie wieder von ihrer Flucht zurückkehren.
Etwas zögerlich, diese Tatsache schlichtweg hinnehmend, nickte sie. Leise schniefte sie ihre Verzweiflung weg und meinte hochmütig, mit dafür viel zu dünner Stimme:“ Dann müssen wir verhandeln.“
Sie wollte sich umdrehen und die Stufen hinauf steigen, doch er packte sie schmerzvoll am Arm und überrascht blickte sie ihn über ihre Schulter hinweg an. Noch niemals zuvor hatte er sie so grob angefasst und jetzt tat er ihr sogar richtig weh. Sein Gesicht verdunkelte sich und der sonst immer so gutmütige alte Ritter Westen, verlor mit einem Mal seinen warmen Ausdruck.
„Das ist Selbstmord, Mylady“, presste er durch seine Zähne hindurch:“ Schotten verhandeln nicht, niemals.“
Kraftvoll riss sie sich los, sah ihn mahnend an und meinte belehrend:“ Es kommt immer nur darauf an, wer den Vorteil hat.“
Hastig trat sie wieder um die Ecke, sprang über die Leiche am Ansatz der Treppe, sie konzentriert nicht ansehend und lief mit schnellen, aber leisen Schritten die Stufen nach oben. Herrisch deutete sie Westen an, still zu sein, als sie bemerkte, dass er ihr folgte.
Als sie oben ankamen, verharrte sie kurz und bat Gott um Hilfe. Nur dieses eine Mal, sollte er sie unterstützen und ihre Sünden für einen kleinen Moment vergessen, bevor er sie für das alles bestrafte.
„Das ist Selbstmord, Mylady. Ihr könnt bei diesem Spiel einfach nicht gewinnen.“,flüsterte er dich an ihr Ohr und war vollkommen überrascht, als sie sagte:“ Dessen bin ich mir bewusst – doch wenn ich damit auch nur ein Leben retten kann …“, durchdringend blickte sie nun in seine mit Fältchen umrandeten Augen und murrte:“ Und jetzt schweigt endlich still.“
Ganz sachte drückte sie die schwere Eingangstür etwas auf und blickte durch den kleinen Spalt hinein. Die große Halle wurde von wenigen Fackeln etwas erleuchtet und sie erkannte alles was sie sehen musste, während die Tür im sicheren Schatten der Nacht lag. Gott schien ihr in diesem Augenblick gnädig.
Sofort sah sie Agnes, die man gewaltsam die Stufen nach unten zog. Sie wand sich in den festen und unerbittlichen Griffen zweier Krieger wie ein Hase, der gleich die Haut abgezogen bekommen soll. Bestimmt über zwanzig schottische Soldaten befanden sich in der großen Halle und lachten laut über dieses ängstliche und hysterisch wirkende Weibsbild. Sie glaubten dies sei typisch für ihre Herkunft und machten sich über ihre augenscheinliche Schwäche lustig.
Postwendend erspähte Elisabeth den vermeintlichen Anführer.
Er stand mit gespreizten Beinen, mit dem Rücken ihr Zugewandt, ganz in der Nähe der Tür und seine Hände waren gebieterisch in die Hüfte gestemmt. Er brüllte überaus gereizt in ihrer Sprache, damit ihr Opfer es ja auch verstehen konnte:“ Schafft sie endlich hier herunter, ich will es endlich hinter mich bringen. Dieses Land macht mich krank.“
Elisabeth schwante nichts Gutes. Ihr Herz rast und in ihren Gedanken, entbrannte ein selbstmörderischer Plan … der einzige Weg.

Agnes musste vor ihm stehen bleiben und man konnte ihre Angst regelrecht riechen. Der Schweiß stand auf ihrer blassen Stirn und ihr rundlicher Leib zitterte so stark, dass man glauben konnte, er bräche gleich auseinander. Ihr Nachttuch war verrutscht und zerzaust stand ihr aschblondes Haar, um ihr ängstlich bleiches Gesicht herum, ab. Sie starrte den Krieger vor sich mit aufgerissen Augen und in den Nacken gelegten Kopf an, als würde sie wirklich dem Teufel höchst persönlich gegenüberstehen und vielleicht entsprach dies sogar der Wahrheit. Sie konnte kaum klar denken.
„Sie hatte sich in einer Truhe versteckt, wie eine ängstliche Maus.“
Spottete einer seiner Männer, der sie unnachgiebig fest hielt und schüttelte sie dabei etwas unsanft umher. Dabei flog ihr Kopf vor und zurück, als gehöre er gar nicht auf ihre Schultern und das Tuch glitt nun vollends von ihrem Haupt. Das abwertende Gelächter aller Anwesenden folgte dessen Worten, was Agnes ängstlich umherblicken ließ. Sie fühlte sich wie ein Tier, dessen Leib gleich auf den Opfertisch gespannt werden würde. Agnes spürte schon beinahe das kalte Messer an ihrer Kehle und Übelkeit schoss durch ihren ganzen Körper hindurch. Sie glaubte es nicht mehr lange bei sich behalten zu können, denn es bemächtigte sich all ihrer Sinne. Gleich würde sie ihren Mageninhalt vor diesen Männern ergießen und sich noch mehr ihrem Spott aussetzen.
„Wie ist Euer Name?“
Doch Agnes schwieg auf seine ungeduldige Frage hin. Verstört und immer noch am ganzen Leib zitternd, blickte sie hastig zu Boden, nicht in der Lage auch nur einen Laut von sich zu geben. Ihr Mund bewegte sich zwar etwas, aber ihre Stimme gehorchte nur ihrer Angst und die schrie: Schweig!
„Sagt schon Euren Namen, verdammt noch mal?“
Sie zuckte zusammen, als er sie unglaublich laut anbrüllte, blieb aber noch immer stumm, dagegen nahm das Beben ihres Körpers weiter zu.
Langsam trat er etwas näher an sie heran und meinte herablassend kühl:“ Ihr wollt also schweigen? Bitte … das ist mal wieder typisch für dieses Land und ihre Ratten, dann werden wir uns wohl anstrengen müssen um Eure Zunge zu lockern.“
Agnes sah, dass er sich umblickte und dann seine Männer fragte:“ Wer will denn zuerst diese zarte Blüte pflücken?“
Seine Augen wanderten nun zurück auf ihr blutarmes Gesicht und er meinte weiter zu seinen Kriegern, ohne von ihr auf zu blicken:“ Und ich denke mir, diese Blüte wurde noch nie gepflückt.“
Sofort trat einer nach vorne. Er war riesig und unglaublich breit. Sein Gesicht war fast vollkommen von einem roten Vollbart verdeckt, der unglaublich ungepflegt zu sein schien. Sein schmutziger Körper war mit englischem Blut beschmiert und er rief:“ Aye, lass mich Kincaid, ich opfere mich zu deinen Ehren – ich werde ihre Zunge schon lockern.“
Das Beben wurde noch schlimmer, es schien, als würde sie gleich zusammenbrechen oder in tausend Teile zerspringen.
Ihr Anführer lachte und meinte zu seinem Mann:“ Das glaube ich dir gerne Brow“, nun stierte er erneut Agnes an und meinte eindringlich:“ Wissen wir doch alle, wie du mit diesem Otterngezücht verfährst. Gnadenlos, nicht wahr?“
„Aye.“, rief Brow grölend aus und klopfte sich dabei siegreich auf die Brust.
„Zerbrich sie aber nicht, wir brauchen sie noch.“, meinte er noch zu seinem Krieger, während dieser schon auf dem Weg zu Agnes war. Die blickte hinter sich und schien vor schmerzlicher Panik gleich zu sterben. Flehend starrte sie wieder nach vorne, ihr trockener Mund bewegte sich und sie wollte gerade ihren Namen nennen, da erstarrte sie auf einmal. Sie wurde hart wie Stein in den unnachgiebigen Händen seiner Männer und er sah fragend in ihr blasses Gesicht und in ihre aufgerissenen blauen Augen, die nun starr an ihm vorbei gingen.
Sein Blick wanderte zu den Soldaten, die sie fest hielten und er erkannte sofort, dass auch diese grau wurden und sich nicht mehr rührten. Auch deren Augen sahen nicht mehr ihn an. Selbst Brow blieb wie angewurzelt stehen und fixierte etwas hinter ihm. Erst jetzt bemerkte er diese ungewöhnliche Stille im Raum und ihm war nicht klar, wann diese auf einmal eingesetzt hatte. Das kalte Metall an seinem Hals nahm er just in dieser Sekunde wahr. Sein Blick wanderte ganz langsam nach links und er sah am Ende des blutigen Schwertes eine wunderschöne junge Frau stehen, deren leuchtend helle Augen, ihn furchtlos anblitzten. Er konnte in diesem Moment noch gar nicht sagen, welche Farbe diese hatten. Hinter ihr stand ein englischer alternder Soldat und hielt seinen jungen Krieger Sam in Schach. Dieser englische Bastard schien mehr Angst zu haben als das Weib mit der Waffe, was ihn dazu veranlasste, überrascht eine Braue an zu heben.
„Lasst sie sofort los!“
Ihre sanfte Stimme, die ihm einen Befehl erteilte, erzeugte bei ihm ein seltenes Schmunzeln auf seinen Lippen. Er war wirklich verwundert über das was gerade geschah.
„Warum sollte ich das tun?“,fragte er ungerührt und Elisabeth erklärte ihm schonungslos, ihre Schultern kurz anhebend:“ Hm … vielleicht, weil sonst Euer Blut einen fürchterlichen Flecken auf diesem wunderschönen Boden hinterlässt und dann dieser Geruch wenn es trocknet …“
Sein Gesicht erhellte sich durch ein seltsam schiefes Lächeln, aber er schwieg trotz ihrer unverschämten Drohung
„Was wollt Ihr hier, so weit fort von Eurem Zuhause?“,fragte Elisabeth kühl und sah einer Antwort erwartungsvoll entgegen.
„Nun“, er hob seine Hände etwas an und wandte sich ihr ganz langsam ganz zu. Ließ sich aber ausgiebig Zeit damit, ihre Frage zu beantworten. Viel lieber bewunderte er für einen kurzen Moment ihre außergewöhnliche Schönheit. Er sah ihre nackten Füße, die unbeeindruckt dessen auf dem kalten Gestein standen. Dann sah er ihre Knöchel, die sie unbedacht zur Schau stellte. Eine Öse ihres Nachtgewands hatte sich gelöst und es fehlte nicht mehr viel und es wäre über ihre rechte Schulter gerutscht. Nur ihre erhobenen Arme, mit dem Schwert an ihrem Ende, verhinderten, dass sie unabsichtlich noch mehr ihrer Weiblichkeit preis gab. Was wohl jeder seiner Männer erhoffte, das konnte er sich vorstellen.
Sie war jung und ihr glänzend langes, rotbraunes, flüchtig gewelltes Haar umspielte ihr zartes, von der Sonne leicht gebräuntes oval geschnittenes Gesicht. Ihre rosa lieblich geschwungenen Lippen waren starr und völlig ausdruckslos.
Sie schien wirklich keine Angst zu haben, ihre Hände zitterten nicht und mit Leichtigkeit hielt sie das schwere Langschwert damit erhoben.
Auch das Blut an ihr fiel ihm auf und er fragte sich, was sie getan hatte, um dies an sich kleben zu haben. An das offensichtlichste wollte er erst gar nicht denken, denn das würde bedeuten, dass er noch mehr Männer verloren hätte. Treu ergebene Männer, die für seinen Hass ihr Leben ließen.
„Ich bin hier um mich zu rächen“, begann er nach einem fast endlosen Moment in dem er sie unschicklich begutachtet hatte. In ihren Ohren klang es, als würde er sich nur flüchtig mit ihr unterhalten:“ Ich werde diese Familie hier auslöschen, so wie diese Familie versuchte die meine zu zerstören.“
Als er das Wort auslöschen sagte, zeigte er auf die angsterfüllte Agnes. Dabei zuckte Elisabeth unweigerlich etwas zusammen und verstand langsam, dass er sie mit ihr verwechselte. Ein fataler Fehler. Aber ihre Vermutung, warum dies alles geschah, war richtig, auch wenn sie sich insgeheim etwas anderes erhofft hatte. Denn dies bedeutete nun wahrhaftig und unwiderruflich, das ihr Vater tot war und sie nun eine Waise. Jetzt galt für sie nur noch des Königs Gnade, was ihre Zukunft anbetraf und diese Gnade war nur selten das, was man sich vielleicht erhoffte, von seiner Zukunft. Elisabeth war sich nicht sicher, ob sie dies wollte – stand ihre Zukunft doch eigentlich schon geschrieben und es hatte sie viel gekostet, sich daran zu gewöhnen.
Jetzt erkannte er plötzlich Emotionen in ihrem Gesicht und neigte etwas seinen Kopf, um dieses ausgiebig zu betrachten. Er sah tiefe Trauer und glaubte eine seltsame Zerrissenheit zu spüren, doch Angst war nicht dabei, eher ein Schrecken über eine Erkenntnis, die ihm jetzt gerade nicht geläufig werden wollte.
„Ihr kommt hier her“, meinte sie wütend und sich nur schwer im Zaum haltend:“ Zerstört kopflos alles was euch im Weg ist. Tötet unschuldige Menschen, für Dinge die ein einzelner aus diesem Hause getan hat? Welch einen idiotischen Sinn hat dies?“
„Welch ein Sinn hatte sein Tun? Meine Brüder, meine …“, er unterbrach seinen Wutausbruch plötzlich und schluckte schwer:“ Meine unschuldige Schwester, mein Vater, Freunde, unzählige Familien und ihre Kinder, ehrenvolle Krieger … Sie kamen, ohne dass wir uns etwas zu Schulden hatten kommen lassen … Ich kenne nur den einen Sinn, den meinen, er ist einfach und unmissverständlich … Rache.“
Raunte er ihr tödlich klingend entgegen und erklärte nach einem kurzen Augenblick des fassungslosen Schweigens weiter:“ Niemand wird mich aufhalten, schon gar nicht solch ein herrisches Weibsbild, wie Ihr eines anscheinend seid. Ihr solltet das Schwert herunter nehmen, bevor Ihr noch jemanden verletzt.“
Elisabeth sah an der Klinge entlang und sagte mit gespielt übertrieb weiblichem Entsetzen:
„Oh, wirklich? Dann weiß ich jetzt wenigstens woher das Blut an mir und meiner Klinge stammt, oh mein Gott … ich komme bestimmt in die Hölle und schmore dort neben Euren toten Kriegern.“
Er wurde unwahrscheinlich zornig über soviel Arroganz, zeigte auf Agnes, ohne Elisabeth aus den Augen zu lassen und rief seinen Männern zu:“ Tötet sie, sofort!“
Agnes schrie verzweifelt auf und in diesem Moment drückte Elisabeth das Schwert fester an seine Kehle. Wütend hob nun sie eine Augenbraue an und schüttelte sacht ihren Kopf. Schnell erkannte sie, dass seine Männer inne hielten, sie glaubten tatsächlich sie wäre in der Lage ihm etwas anzutun. Wahrscheinlich war es das Blut an ihr und ihre Augen, die voller Überzeugung ihren Laird ansahen.
Das ließ Elisabeths Mut etwas wachsen, bestärkte sie in ihrem Tun und das ließ seinen Ärger noch mehr steigen. Hatten sie denn kein Vertrauen in sein Können?
Mit wutentbranntem Blick reckte er sein Kinn etwas mehr, denn er spürte wie die scharfe Klinge langsam seine Haut aufzuritzen begann. Er würde doch jetzt nicht durch so ein einfältiges englisches Weibsbild sterben? Hatte er doch erst einen kleinen Krieg gewonnen, als letzter Überlebender seiner Familie. Nein, er könnte sie überwältigen, mit nur einem Schlag seines Schwertes, doch wusste er nicht, warum er es nicht einfach tat. Natürlich, es steckte noch immer in seiner Scheide, aber seine Hand war nicht weit weg – aber dennoch zögerte er. Vielleicht bemerkten gerade das seine Männer auch und jedes Verhalten hielt sie davon ab, seinen Befehlen Folge zu leisten.
Ihre Augen fixierten die seinen und er sah pure Entschlossenheit darin. Sie schien für ihre ängstliche Herrin sterben zu wollen, sie war vollkommen loyal, etwas, das er von diesem Pack bisher nicht kannte.
„Ihr begeht einen schrecklichen Fehler, wenn Ihr sie tötet.“
Erklärte Elisabeth auf einmal mit ruhiger Stimme und er verstand den Sinn ihrer Worte nicht. Fragend legte er seine Stirn in Falten und neigte wieder seinen Kopf und sie erklärte ihm, etwas triumphierend klingend:“ Ihr habt in diesen Hallen nicht die gefunden nach der Ihr sucht … Mein Name lautet Lady Elisabeth Ane von Sullvyn und ich denke, ich bin die, die Ihr wollt.“
Starr sah er sie an, jetzt konnte er einfach nichts mehr sagen. Vor ihm stand, bewaffnet mit einem Langschwert, Blutverschmiert, schmutzig und unglaublich mutig, eine englische Lady, deren Ahnentafel wohl länger war, als sein Stammbaum. Sie wirkte klein und zerbrechlich, doch dies war ein Trugbild der Natur, denn das war sie auf keinen Fall.
„Und jetzt lasst gefälligst meine arme Zofe los, sie stirbt ja gleich vor Angst unter euren groben Händen.“
Fauchte sie ihn wütend an. Ihre hellen Augen durchdrangen die seinen und es war ihm, als würde sie in seinem Gehirn herumstöbern wollen.
„Und was bekomme ich dafür?“
Er schien keine Angst vor ihrer Klinge zu haben und er schien auch nicht zu versuchen, sie zu überwältigen, was ihm höchstwahrscheinlich gelingen würde, dachte Elisabeth und so gab sie ihm das, was er unweigerlich bekommen würde.
„Mich.“
Meinte sie abrupt kühl und Agnes rief entsetzt aus:“ Mylady, nicht.“
Keine beachtete mehr die Zofe, alle Augen waren nun auf die Frau gerichtet, die einfach so zugab, die Tochter ihres Feindes zu sein, obwohl sie doch wissen müsste, was ihr jetzt wiederfahren würde, nur um eine niedere Zofe zu beschützen. Der Krieger sah sie erstaunt an und sagte:“ Ich stelle fest, Ihr gebt ziemlich schnell auf.“
„Das wundert Euch wirklich?“
Er zuckte etwas gelangweilt wirkend mit seinen Schultern. Natürlich verwunderte es ihn nicht, war sie doch eine Engländerin, wenn auch nicht gerade feige, jedoch trotzdem von deren dünnem Blut.
„Ich habe doch keine Wahl, Sir ... So oder so würde ich verlieren und somit schlage ich zumindest vielleicht noch etwas heraus.“
Sein Lachen hallte laut durch die große Halle, bevor er amüsiert fragte:“ Ihr wollt tatsächlich mit mir verhandeln und das in Eurer Situation?“
Elisabeth nickte stumm, ihm noch immer tief in die Augen blickend und dabei fiel ihr nun auf, dass seine leuchtend grün waren. Sie blitzten seltsam feindselig, hinterlistig – sie war sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich beim Wort nehmen konnte. Und doch war er hübsch … irgendwie … aufregend, dachte Elisabeth ungewollt und sein unrasiertes Gesicht ließ ihn unglaublich verwegen auf sie wirken. Er war dazu auch noch groß und muskulös gebaut. Sie sah die Sehnenstränge seiner Arme, die immer angespannt waren, obwohl seine Worte fast schon unbeschwert aus seinem Mund flossen, doch sie straften ihn lügen. Er hatte schwarzes, kurz geschnittenes Haar, das für einen Schotten höchst ungewöhnlich war. Und auch an ihm klebte Blut von Menschen, die sie mit Sicherheit kannte, vielleicht sogar liebte.
Sofort wunderte sie sich über sich selbst, denn da stand ein Mann, der sie wahrscheinlich – nein, mit Sicherheit töten würde und sie dachte daran wie gut er doch aussah. Es musste der Schock sein, über ihre eigenen Taten, über das was geschehen würde, dass sie alles verloren hatte, der sie nun ganz langsam heimsuchte und ihre Gedanken verwirrte und vor der Realität vernebelte.
Da befahl er plötzlich laut, sie aus ihren Hirngespinste reißend:“ Lasst das Mädchen los.“
Sofort gehorchten seine Männer und die unsanft zur Seite geschubste Agnes rannte zu dem englischen Soldaten, der hinter ihrer Herrin stand. Ängstlich verkroch sie sich hinter seinem Rücken.
„Eines noch“, sagte sie mutig, ohne ihr Schwert zu senken:“ Es gibt niemanden mehr außer mir, mein Bruder und meine Mutter sind verstorben, was mein Vater leider nie erfuhr. Da Ihr hier seid, gehe ich davon aus, dass ich …“, sie schluckte schwer:“ Dass ich die letzte meiner Familie bin und so müssen nicht noch mehr Menschen sterben.“
Er legte etwas seinen Kopf schräg und fragte:“ Welchen Beweis habt Ihr dafür? Woher soll ich wissen, dass Ihr die Wahrheit sagt und dass es nicht noch mehr von Eurem Gesindel gibt?“
„Ihre Gräber befinden sich oberhalb der Burg, seht nach, wenn Ihr mir nicht glaubt und unser beider Geburtsurkunden findet ihr in der privaten Truhe meines Vaters in seinem Schlafgemach.“, antwortete sie kühl und er versprach nickend:“ Wir werden es prüfen und dann so schnell wie möglich abziehen.“
Somit senkte Elisabeth sofort ihr Schwert und laut hallend knallte es auf den Steinfußboden, etwas von ihr entfernt. Sie war froh, denn langsam begannen ihre Muskeln zu brennen und sie konnte kaum noch ein seltsames Zittern unterdrücken.
Elisabeth nickte ihrem letzten Ritter bittend zu. Dieser sah sie noch einmal skeptisch an, doch ihr immer eindringlich werdender Gesichtsausdruck, brachte ihn endlich dazu auch sein Schwert etwas zögerlich davon zu werfen.
Die Augen des Schotten verengten sich nun und er schien nach zu denken, bis ihm ein Gedanke kam, der ihm anscheinend gefiel. Langsam trat er auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. Ein ihr unbekanntes Unwohlsein erklomm ihren ganzen Körper und sie erschrak fast zu Tode, als er urplötzlich an ihren Hinterkopf packte, in ihr volles Haar griff und ihren Kopf gewaltsam zurück in ihren Nacken riss. Ein seltsamer Schmerz begann durch ihre Haut zu pulsieren. Aber Elisabeth verzog keine Mine, auch wenn es sie eine ungewohnte Anstrengung kostete. Er aber konnte sich ein undurchschaubares Lächeln nicht verkneifen und sprach mit belustigter Stimme zu ihr, dicht an ihrem Gesicht:“ Und Ihr, Mylady, werdet uns begleiten.“
Westen wollte zu ihr stürmen, sie schützen, doch der junge Schotte, den er eben noch bedroht hatte, hielt ihm nun die Spitze seines Schwertes entgegen und er hielt abrupt inne, seine Hände ergebend in die Luft haltend.
Entsetzt sah Elisabeth die Krieger vor sich an, sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Sie war bereit zu sterben, oder sogar gequält -oder vergewaltigt zu werden, doch das war etwas, woran sie beim besten Willen nicht gedacht hatte. War das nun besser, oder schlechter für sie? Sie hatte keine Ahnung.
Vielleicht wollte er sie bei sich zu Hause vorführen wie einen Hund, sie foltern um sie dann zum Schluss aller Demütigungen töten. Ihren Kopf würde er wahrscheinlich dann an die englische Krone schicken, um damit seine Botschaft zu bekräftigen.
Er verstand ihren Schock, beugte sich noch etwas mehr zu ihr herab, verstärkte noch einmal seinen unangenehmen Griff und fragte überheblich flüsternd, von seinem Sieg beflügelt:
„Oder wollt Ihr lieber sterben?“
Schwer ging ihr Atem, fest war ihr Blick in seine nahen Augen, als sie ihm mutig antwortete: „Ich denke, das ist etwas, das sich auf gut oder lang nicht vermeiden lässt, Sir. Also … warum warten?“
Mit solch Worten hatte er nun nicht gerechnet. Abrupt ließ er endlich von ihr ab, trat kaum merklich etwas von ihr fort und sagte, insgeheim hoffend, sie endlich schocken zu können: „Ich genieße lieber den Moment, Lady Elisabeth Ane Sullvyn und der ist leider noch nicht gekommen. Ich habe zuerst noch etwas anderes mit Euch vor.“
Er nickte zwei seiner Männer kaum merklich zu, die sie dann schmerzvoll an ihren Armen packten und etwas nach hinten verdrehten. Doch sie verzog keine Mine, obwohl es in ihren Schultergelenken zu brennen begann.
„Geht, zieht Euch etwas anderes an, etwas das Euch mehr bedeckt, sonst kann ich für Eure Sicherheit nicht garantieren.“
Ihr Nachtgewand war nun über ihre rechte Schulter gerutscht und gab ihre weiße Haut und den Ansatz ihres Busens frei, auf dem sein Blick hing. Elisabeth sah an sich herab und bemerkte schnell was er meinte, doch konnte sie sich nicht bedecken, weil man sie ja nicht los lies. So fragte sie gelassen, sich im Innern fürchterlich schämend und hoffend, nicht zu erröten:“ Muss ich mich vor Euch schützen, oder vor Euren Männern? Mein Gesicht befindet sich nämlich etwas weiter oben.“
Fast schon erschrocken schoss sein Blick hinauf und er wusste nicht was er über soviel Dreistigkeit sagen sollte und so maulte er seine Männer an, die sich ein Lachen nur schwer verkneifen konnten:“ Schafft sie mir endlich aus den Augen“, und schon zerrte man sie unsanft die Stufen hinauf. Während sie kaum deren Schritten folgen konnte und mehr stolperte als lief, hörte sie den Laird brüllend rufen:“ Durchsucht die Zimmer, nehmt nur mit was von Wert ist und plündert die Vorratskammer, wir brauchen essen.“
 
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Kommentare  

Danke für diese lieben Kommentare (ich werd ja rot), das animiert doch schon zum weiter schreiben.
Vielen lieben Dank an euch alle

GLG


Lilly (14.10.2010)

wir frauen können echt wild werden, da müssen die männer schon in deckung gehen :)

Heartless Heart (13.10.2010)

Oh, welch eine wilde Frau. Du schilderst sehr gut, wie unmöglich es ist, dass eigentlich Kriege geführt werden. Gut die Charaktere ausgebaut. Gefällt mir.

Jochen (13.10.2010)

ich muss jingizu recht geben. sehr spannend und atmosphärisch geschrieben.

Petra (12.10.2010)

Weiter, weiter, weiter!

Jingizu (11.10.2010)

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