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6 Seiten

Das Schiff

Fantastisches · Kurzgeschichten · Experimentelles · Sommer/Urlaub/Reise
Ein Schiff schnitt sich seinen Weg durch das pechschwarze Meer, über dem sich gerade lediglich eine der drei Sonnen zeigte. Es war ein düsteres Schiff, ein Schiff, das so aussah, als sei es vor langer, langer Zeit schon einmal gesunken gewesen, irgendwann dann wieder aufgetaucht und hätte anschließend seinen Weg zu seinem eigentlichen Bestimmungsort einfach fortgesetzt, so als sei dies das selbstverständlichste in dieser Welt.
Insgesamt strahlte das Schiff mit seinem Kapitän eine interessante Form von Gleichgültigkeit aus, fast so, als hätten sie vor nichts und niemandem mehr Angst, ganz einfach deshalb nicht, weil sie ihr Scheitern schon lange hinter sich hatten.
Der Kapitän stand an Deck, ganz vorne am Bug seines Schiffes. Sein langes, schwarzes Haar zauste im Wind. Er starrte mit seinen blauen Augen auf das Meer hinaus. Sein Blick war eiskalt, so als könne ihn nichts und niemand aus der Ruhe oder gar aus der Fassung bringen. Es sah irgendwie so aus, als warte er auf irgendetwas.
Die anderen Männer waren entweder auf ihren Posten oder in ihren Kajüten. Sie alle waren jederzeit einsatzbereit. Sie kannten ihre Aufgaben sehr genau und es herrschte ein großes Pflichtbewusstsein auf diesem Schiff.
Plötzlich, weit in der Ferne, ein leises Grollen. Kein Muskel rührte sich im Gesicht des Kapitäns angesichts dieses offensichtlichen Zeichens eines herannahenden Unheils. Wahrscheinlich war er einfach auf alles vorbereitet, was da auch immer auf sie zukommen mochte.
Langsam, fast wie in Zeitlupe, drehte sich der Kapitän dann aber doch zu seinem ersten Offizier um und nickte diesem kurz zu. Der erste Offizier schien verstanden zu haben. Denn er gab daraufhin Befehle, die sofort ausgeführt wurden, woraufhin hektisch diverse Segel gestrichen, lose Sachen angeseilt und alle im Schiff auf das Offensichtliche vorbereitet wurden.
Das Grollen in der Ferne wurde lauter und dann auch erste Blitze gesichtet. Nun war den Meisten der Besatzung ziemlich klar, was ihnen da bevorstehen könnte.
Der erste Offizier stand direkt hinter seinem Kapitän. Er wartete, während das bedrohliche Grollen immer tiefer und auch immer lauter wurde, auf einen Befehl der Kursänderung, wie es auf jedem anderen Schiff in dieser Welt in solch einer Situation üblich gewesen wäre. Denn Donner, Blitze und Wolken waren jetzt ganz deutlich direkt vor ihnen zu erkennen. Und sie steuerten mit ihrem Schiff exakt darauf zu.
Einige der Matrosen rotteten sich nun zusammen, höchstwahrscheinlich um sich zu beraten, was denn jetzt zu tun sei. Jedermann, der dies bemerkte, konnte erahnen, um was es dabei eigentlich nur gehen konnte.
Nun wurde auch der erste Offizier sichtlich nervös, was er aber eigentlich niemals werden durfte. Denn eine strikte Hierarchie, und vor allem auch Loyalität, war eine der Grundvoraussetzungen für das Funktionieren eines derartigen Schiffes in dieser Welt. Allerdings war es auch gleichzeitig die Aufgabe des ersten Offiziers, die Zurechnungsfähigkeit des Kapitäns zu erkennen, zu bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten, die dem Schutz des Schiffes und der Mannschaft dienten. Mit ein paar unsicheren Schritten ging er deshalb auf seinen Kapitän zu. Allerdings wurde dies auch vom zweiten Offizier bemerkt, weshalb auch dieser jetzt etwas verunsichert wurde. Und dies wiederum blieb auch dem Untergebenen des zweiten Offiziers keines Wegs verborgen, weshalb sich in der Kulisse des immer lauter werdenden Unheils vor ihnen eine fatale Kettenreaktion zu entspannen begann. Denn sobald diese Unsicherheit zu dem untersten Rang, sprich den Matrosen, vorgedrungen sein würde, würde dies die eh schon angeheizte Stimmung, die jetzt schon auf dem Schiff vorherrschte, noch weiter verschärfen. Und ab einem gewissen Punkt war solch ein Prozess fast nicht mehr zu stoppen.
Plötzlich wurde sich der erste Offizier der Gefährlichkeit seiner derzeitigen Handlung bewusst, weshalb er abrupt stehen blieb und nun verzweifelt versuchte, wieder zu seiner alten Contenance zurückzufinden. Nur war die Botschaft an diesem Punkt schon längstens an die Kette der Hierarchie weitergegeben. Übertrug sie sich von einem Rang zum nächsten, veränderte sie sich jedes mal ein wenig, ganz ähnlich einer stillen Post. Es war noch gar nicht abzusehen, wie jene Botschaft aussehen würde, die dann letztendlich an der untersten Stelle, nämlich bei den Matrosen, ankommen sollte.
Gerade als das herannahende Unwetter so nah war, dass man jetzt erahnen konnte, dass dies eine sehr ungemütliche Sache für das Schiff und natürlich auch für die Besatzung werden könnte, fingen die Matrosen ganz offen zu meutern an. Angesichts dessen wurde die Unausweichlichkeit der Situation nun auch dem ersten Offizier klar, weshalb er jetzt ohne zu zögern zu seinem Kapitän herantrat. „Herr Kapitän!“. Er musste schreien, um sich durch den Lärm des Unwetters dicht vor ihnen verständlich machen zu können.
Der Kapitän rührte sich aber kein einziges Stück. Er hatte seinem ersten Offizier immer noch den Rücken zugewannt und starrte auch weiterhin voraus in Richtung des Unwetters.
Daraufhin trat der erste Offizier noch näher an seinen Vorgesetzten heran, so nahe, wie er es noch nie zuvor bei einem Kapitän gewagt hatte, und brüllte diesen noch lauter an. „Herr Kapitän!!“ Dieser drehte sich dann auch tatsächlich stoisch langsam zu seinem ersten Offizier um und schien diesen aus geradezu tot anmutenden Augen irgend so etwas wie anzusehen. Doch sagen tat er auch jetzt nichts.
„Wir sollten einen anderen Kurs in Erwägung ziehen!!“, brüllte daraufhin der erste Offizier seinen Kapitän in der Hoffnung an, dieser würde ihn durch all den Lärm vor ihnen erstens verstehen und zweitens hoffentlich endlich angemessene Befehle erteilen. Doch der Kapitän sah seinen ersten Offizier einfach nur an und sagte auch weiterhin nichts, während sie weiter auf das Getöse nun schon sehr dicht vor ihnen zusteuerten.
Derweil machten die Matrosen ihre schlafenden Kollegen in den Kajüten wach, um sie ebenfalls in die offensichtlich kurz bevorstehende Meuterei einzuspannen.
„Herr Kapitän, Sie müssen handeln! Sehen Sie nicht, was da gerade auf uns zu kommt?!“, brüllte der erste Offizier seinen Kapitän an. Dieser drehte sich aber einfach nur wieder um, und starrte wieder wie zuvor dem kommenden Unheil entgegen.
Dann brach die Meuterei vollends aus und erste Wachen wurden, während das Schiff heftig hin und her geschaukelt wurde, denn sie hatten mittlerweile die äußerste Zone des Unwetters erreicht, überrumpelt.
Während sich der Himmel über ihnen vom einen auf den anderen Augenblick schlagartig verdunkelte, wurden die ersten überrumpelten Wachen von der aufmüpfigen Meute in das nun heftig tosende pechschwarze Meer geworfen. Blitze peitschten um die letzten noch gesetzten Segel herum, während auf dem Schiff die Matrosen gegen die sich erbittert zu Wehr setzenden Wachen kämpften. Die Wachen konnten dies lediglich mit ihren langen und auch etwas krummen Säbeln tun, die einzigen in dieser Welt bekannten Waffen. Damit versuchten sie nun, dem Pöbel, dem lediglich als Waffen improvisierte Sachen, wie etwa Messern aus der Kombüse oder eiligst aus Teilen der Reling herausgebrochene Holzstangen, die ihnen als Art Spieße dienten, zur Verfügung standen, den Weg zu ihrem Kapitän zu versperren.
Die See wurde nun noch rauer, woraufhin das Schiff noch heftiger hin und her geschaukelt wurde. Viele Seeleute fielen dadurch über die Reling und fanden in dem pechschwarzen Meer den gefürchteten Tot des Ertrinkens.
Die Matrosen kämpften sich immer weiter an den kleinen Ring von Wächtern, der sich mittlerweile am Bug um den Kapitän und um die Offiziere gebildet hatte, heran, während ein erster der dreien Mäste brach, und auf ein paar kämpfende Matrosen fiel, von denen zwei sofort erschlagen wurden, und einer nun lebensgefährlich verletzt getroffen und blutend auf dem Boden lag.
Derweil stand der Kapitän auch weiterhin mit starrem Blick auf das tosende Meer gerichtet an seinem alten Platz. Er hielt sich krampfhaft an der Reling fest, um nicht, wie einige seiner meuternden Untergebenen, ins Meer geschleudert zu werden.
Plötzlich wendete sich der zweite Offizier an den Ersten. Er musste jetzt sehr laut brüllen, um den Lärm um sie herum übertönen zu können. „Wir müssen etwas unternehmen, sonst sind wir alle verloren!! Der Kapitän scheint verrückt geworden zu sein!!“
„Was sollen wir denn tun?!“, brüllte der erste Offizier zurück.
„Wir müssen den Kapitän auf der Stelle von seinem Amt entheben und Dich an seine Stelle setzen!! Vielleicht wird das die Mannschaft beruhigen, und mit viel Glück kommen wir aus diesem Unwetter wieder heraus!!“ Es war schon immer auf diesem Schiff so gewesen, dass in schwierigen Situationen eher der zweite als der erste Offizier die Initiative ergriffen hatte. Ein Umstand, der dafür gesorgt hatte, dass der erste Offizier ständig kurz vor seiner Degradierung und der zweite Offizier dementsprechend ständig kurz vor seiner Beförderung stand.
Ein zweiter Mast knarkste bedrohlich laut, sodass man es selbst durch den ganzen Lärm hindurch hören konnte. Es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch dieser brechen würde.
„Wir müssen zuerst die Wächter auf unsere Seite ziehen, sonst werden sie es verhindern wollen!!“, brüllte daraufhin der erste Offizier zu dem Zweiten zurück.
„Machst Du Witze?! Glaubst Du denn, dass die sich nicht das Selbe wünschen, wie wir?! Das ist jetzt deine Verantwortung und auch deine Pflicht!! Unternimm endlich etwas!!“
„Wir müssten lediglich den Matrosen irgendwie signalisieren, was wir vorhaben!! Das wird aber durch all den Lärm sehr schwierig werden!!“, brüllte der erste Offizier zurück.
Ein erster Wächter, der mit den Kreis um die Offiziere und den Kapitän bildete, wurde von einem der Matrosen mit einem Küchenmesser aus der Kombüse in den Bauch gestochen, woraufhin dieser zusammenbrach und auf den Boden fiel. Er starb in kürzester Zeit unter höllischen Schmerzen an seiner Verletzung.
Sofort reagierte einer der Wächter daneben auf diese Tat, indem er dem entsprechenden Matrosen mit seinem Krummsäbel gekonnt und gezielt eine tiefe Wunde von dessen Skalp aus, über dessen Gesicht den Hals herab, wo er seine Hauptschlagader traf, über dessen Brust bis hin zu dessen Bauchnabel schnitt. Der meuternde Matrose brach dann ebenfalls zusammen und fiel direkt neben den Wächter, den er zuvor erstochen hatte, zu Boden. Dort blieb er, während eine regelrechte Blutfontäne aus seinem Hals herausschoss, ziemlich heftig zuckend liegen.
Dieses Ereignis hatte Signalwirkung auf die anderen Matrosen. Ihr Kampfeswille wurde Angesicht des Schicksals ihres auf dem Boden liegenden Kameraden zumindest für den Moment ein wenig gebrochen, woraufhin sie sich, während Blitze über dem Schiff zuckten, der Wind um sie herum immer heftiger peitschte und es nun auch noch heftig zu regnen begann, von den Wächtern etwas zurückzogen.
„Jetzt oder nie!!!“, brüllte daraufhin der zweite Offizier seinen direkten Vorgesetzten an, während der zweite von dreien Mästen brach, und diesmal ganze fünf Matrosen unter sich begrub, die dabei alle auf der Stelle starben.
Der erste Offizier trat angesichts dieser neuerlichen Ereignisse entschlossen zu den Wächtern heran und versuchte ihnen nun klar zu machen, dass er im Begriff war, den Kapitän von seinem Posten zu entheben. Sie waren zu acht und fünf von ihnen zeigten sich sofort einverstanden damit, während die anderen drei noch unentschlossen zu sein schienen.
Nun bemerkten auch die anderen Offiziere, was hier offensichtlich im Gange war. Sie signalisierten sofort entschlossen und auch ge-schlossen, dass sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden waren, woraufhin sich auch die drei anderen Wächter dazugesellten. Damit war das weitere Vorgehen entschieden, während sich die Blitze, der Regen und der Wind dermaßen verschärften, dass es nun anmutete, als sei tatsächlich der Weltuntergang in dieser Welt im Gange.
Das Schiff wurde jetzt so stark hin und her geschleudert, dass weitere Matrosen über die Reling in das pechschwarze Meer fielen. Auch die Offiziere, die sich gerade daran gemacht hatten, den Kapitän von seinem Amt zu entheben, rutschten wild durcheinander zu einer Seite des Schiffes hin, weshalb aus ihrem Vorhaben vorerst nichts werden konnte.
Der Kapitän stand auch jetzt noch, sich an der Reling festkrallend, an seinem alten Platz und starrte mit seinen tot anmutenden Augen nach vorne, wo die Blitze und das Donnern immer heftiger und heftiger wurden. Es sah nun irgendwie so aus, als würde das Schiff von einer ganz bestimmten Stelle geradezu magisch angezogen werden.
Jeder sich noch an Bord befindliche Mann war jetzt davon überzeugt, dass dies ihr aller Ende sein würde. Keiner von ihnen, außer vielleicht noch der Kapitän, glaubte ernsthaft daran, dass sie das alles irgendwie überleben könnten.
Als sie die heftigste Stelle dieses Unwetters schließlich erreicht hatten, drehte sich das Schiff plötzlich einmal schnell um seine eigene Achse, wobei weitere Matrosen vom Schiff geschleudert wurden, und wurde dann zuerst einmal heftig nach vorne, und dann abrupt und blitzschnell nach unten gezogen. Es verschwand dabei einfach so mit der sich noch an Bord befindlichen Besatzung in dem pechschwarzen Meer und taucht Augenblicke später in unserer Welt wieder auf, von wo auch der Kapitän einmal vor langer, langer Zeit gekommen war. Allerdings jetzt in eine ganz andere Zeit hinein, eine Zeit, in der es auch ganz andere Schiffe gibt, als es damals der Fall gewesen war. So gibt es zum Beispiel in unserer Welt mittlerweile so genannte Ozeanriesen, von denen sich gerade zufällig eines dieser Monster der Weltmeere direkt vor ihnen befindet und von dem sie einfach so, ohne dass es von einem der dortigen Besatzungsmitglieder bemerkt wird, platt gemacht werden.
Keiner der Besatzungsmitglieder unseres Schiffes überlebt diese schwere Havarie, auch nicht der Kapitän.
 
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Kommentare  

Gelungen, er ist arg unheimlich, dein sonderbarer Kapitän, der wohl ein Geist ist. Hat sich schön spannend gelesen.

Petra (18.08.2011)

Auch dir vielen Dank für deinen Kommentar, Dieter.

Siebensteins Traum (18.08.2011)

Unheimlich und mysteriös. Schön gemachte Gruselstory.

Dieter Halle (17.08.2011)

Es freut mich immer, wenn eine Geschichte gefällt. Vielen Dank für deinen Kommentar, Jochen.

Siebensteins Traum (17.08.2011)

Na, das ist ja echt fantastisch und sehr unheimlich. Ein düsterer Schluss. Passt aber zu dieser Geistergeschichte. Gelungen.

Jochen (16.08.2011)

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