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30 Seiten

Unter Spielern und Manipulierern

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
Fortsetzungsgeschichte. Jede Fortsetzung ist mit einem Sternchen unterbrochen.
*
UNTER SPIELERN UND MANIPULIERERN.
"Haben Sie zufällig eine Pistole dabei?" fragte ich. "Könnte ich sie für einen Moment ausleihen...? Oder können Sie mir anderweitig eine Pistole beschaffen? Von Freunden oder Bekannten? Oder vielleicht kennen Sie jemanden bei der Mafia?!"
Ich hatte die Frau eine Weile beobachtet. Ihre nach außen getragene Selbstsicherheit schien mir nur Fassade zu sein, ihre unsteten Augen verrieten Unsicherheit. Also war sie für mein Spiel geeignet, obwohl ich mich bei meinen Einschätzungen natürlich auch einmal irren konnte. Kein Spiel ist ohne Risiko! Aber dafür hatte ich notfalls genügend Ausreden und Varianten auf Lager, um mein Gegenüber zu irritieren. Wer manipulieren will, muss frech und unverfroren sein. Also sprach ich die Frau mit einer Selbstverständlichkeit an, als würde ich sie nach der Uhrzeit fragen.
Sie sah mich an und in ihrem verblüfften Gesicht erkannte ich eine Mischung aus Erschrecken und Erstaunen und auch den unausgesprochenen Satz "Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank?!"
"Die Pistole müsste allerdings geladen sein", fuhr ich ungerührt fort. "Ich bräuchte sie wirklich nur für ein paar Minuten, dann würden Sie die Waffe zurückbekommen, gereinigt und ohne Fingerabdrücke..."
"Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?" fragte sie sichtlich irritiert.
"Mein Todernst!" betonte ich deshalb mit ruhiger, fester Stimme.
"Und wen wollen Sie...?" Ohne den Satz zu beenden, sah sie mich erschrocken an.
"Jemand der's verdient hat!" antwortete ich bestimmt.
"Aber..., was hat er denn angestellt? Warum hat er es verdient...? Sie können doch nicht einfach jemanden..."
"Was ich kann oder nicht kann, darüber diskutiere ich nicht..." erwiderte ich mit einem schroffen Unterton.
Die Frau zuckte zusammen und begann in ihrer Handtasche zu kramen...
*
Umständlich holte sie ein Handy heraus und ich sah, wie sie nervös die 110 tippte.
"Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun!" unterbrach ich sie bestimmt und nahm ihr das Handy aus der Hand. Als sie mich fassungslos anstarrte, sagte ich: "Warum komplizieren Sie eigentlich die Angelegenheit? Geben Sie mir einfach eine Pistole, und danach sind sie sauber aus dieser Geschichte heraus und ich lasse sie in Ruhe..."
"Aber Sie wollen doch jemand erschießen...?! Da kann man doch nicht einfach tatenlos zuschauen...!"
"Na und?!" warf ich ein. "Warum sollte das Ihre Sorge sein?"
"Ich werde schreien...!" drohte sie jetzt.
"Schreien Sie ruhig!" Ich blieb gelassen. "Dann wird es eben eine Menschenansammlung geben und vielleicht hat von denen dann endlich jemand eine Pistole dabei..."
"Na, Sie haben vielleicht Nerven!" sagte die Frau sichtlich entnervt und schüttelte beinahe verzweifelt den Kopf. Unterdessen waren drei oder vier Leute neben uns stehen geblieben...
"Gibt's hier irgendwelche Probleme?" fragte ein Mann. "Oder habt ihr nur Ehestreit? Dann tragt ihn zu Hause aus, aber nicht in der Öffentlichkeit!"
"Wir haben keine Eheprobleme!" antwortete ich. "Ich kenne die Dame überhaupt nicht! Aber sie will mich mit einer Pistole erschießen! Weiß der Teufel was in sie gefahren ist...!?"
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Der Mann schaute ziemlich irritiert. Zwei der Umstehenden liefen entsetzt eilig weiter. In diesem Moment klingelte das Handy der Frau. Ich meldete mich mit "Hallo!"
"Hier spricht die Polizei! Sie hatten eben gerade den Notdienst gewählt und dann aufgelegt..."
"Ja!" antwortete ich. "Ich werde von einer Frau mit einer Pistole bedroht. Sie scheint vollkommen verwirrt zu sein..."
"Wo genau befinden Sie sich?" fragte der Polizist. "Nennen Sie bitte ruhig und genau den Ort des Vorfalls! Wir veranlassen dann das Nötige...!"
Ich nannte die Straßenecke, an der wir standen. Am anderen Ende der Leitung fragte die Stimme: "Wie heißt die Person, die Sie bedroht? Ist sie Ihnen persönlich oder namentlich bekannt?"
"Nein!" sagte ich. "Sie ist einfach auf mich zugelaufen und hat gerufen: 'Ich erschieße Sie jetzt! Sie haben es verdient!'"
"Hmm! Versuchen Sie ruhig zu bleiben und die Frau nicht zu provozieren. Wir schicken einen Streifenwagen..."
In diesem Moment griff die Frau in meine Arme und wollte mir das Handy entreißen. "Jetzt sind Sie aber völlig übergeschnappt!" schrie sie beinahe hysterisch. Ich wisch ihr aus und ging zwei, drei Schritte zurück.
"Jetzt schlägt sie nach mir!" sagte ich zu dem Polizisten. "Kommen Sie schnell...!"
"Geben Sie mir bitte die Person!" unterbrach mich der Beamte. "Ich möchte einmal selbst mit ihr sprechen!"
Ich hielt der Frau das Handy hin und sage: "Hier! Die Polizei will mit Ihnen über die Pistole in Ihrer Tasche sprechen!" Wie verwandelt schaute mich die Frau mit nervösem Gesichtsausdruck an. Ihre Augen bekamen ein irres Flackern. "Nein!" schrie sie. "Keine Polizei...!" Und noch einmal: "Keine Polizei!" Ihre Stimme überschlug sich förmlich. Gleichzeitig drückte sie ihre Handtasche schützend unter ihren Mantel, als wollte sie etwas verbergen.
*
"Sie will nicht mit Ihnen sprechen", sagte ich zu dem Polizisten.
"Okay!" entgegnete er. "Die Kollegen sind schon unterwegs! Behalten Sie unterdessen Ruhe!"
'Na, wenn du meinst', dachte ich und sah auf die Frau, die sich resigniert auf den Bordstein gesetzt und das Gesicht in ihren Händen vergraben hatte. Sie schüttelte heftig den Kopf als wollte sie sagen: "Das darf doch wohl alles nicht wahr sein!"
"Man müsste die Polizei holen!" sage jemand aus der Menge, die sich angesammelt hatte. "Warum ruft denn niemand die Polizei?"
"Sie ist schon da!" rief ein anderer und trat zur Seite. Aus dem Streifenwagen waren eine Polizistin und ein Polizist gestiegen und kamen auf uns zu.
"Wer von Ihnen hat die Notrufnummer gewählt?" fragte die Beamtin.
"Ich!" sagte ich.
"Nein, ich!" rief die Frau dazwischen und stand auf.
Für einen Moment sahen sich die beiden Polizisten ratlos an. Dann sagte der Beamte mit energischer Stimme: "Also verarschen können wir uns alleine! Was wird hier gespielt? Sie..." damit deutete er auf mich, "erklären mir jetzt was hier los ist!"
Als ich mit der größten Ruhe und ohne eine Miene zu verziehen sagte "Also dann will ich die Geschichte mal aufklären", sprang die Frau plötzlich auf und lachte. Ihr befreites Lachen und ihr entspannter Gesichtsausdruck waren der Verkrampfung gewichen und hatten etwas Gelöstes an sich, gemischt mit Hoffnung und Verständnis. "Okay" rief sie. "Ich Dummerchen kapiere es endlich!" Sie schlug sich erkennend an den Kopf. "Der Spaß ist euch echt gelungen und ich bin darauf hereingefallen! Aber jetzt lasst es mal gut sein. Wo ist die versteckte Kamera?" Sie blickte die Fußgängerpassage entlang.
Die Umstehenden der ersten Reihe lachten und hielten bereits Ausschau nach dem Fernseh-Team mit dem bekannten Moderator, die jetzt sicher gleích auftauchen und alles in Wohlgefallen und Gelächter auflösen würden. Auch die Spannung in den Gesichtern der beiden Polizisten schien sich zu lösen. Trotzdem sagte der Mann: "Na ja, alles schön und gut, aber soweit sollte der Spaß nun doch nicht gehen..."
"Das ist auch weder Verstehen Sie Spaß, noch Versteckte Kamera", sagte ich. "Das ist bitterer Ernst! Diese Frau hat mich mit einer Pistole bedroht! Sie hält die Pistole in ihrer Tasche versteckt. Wenigstens behauptet sie das steif und fest! Schauen Sie doch nach!"
Die Frau erstarrte, wisch aber zurück und tatsächlich hielt sie ihre Handtasche wieder mit beiden Händen an sich gepresst unter den Mantel.
"Dann wollen wir mal einen Blick hineinwerfen! Darf ich mal bitte...". Die Polizistin ging auf die Frau zu und griff nach der Handtasche. Die Frau ließ die Tasche nicht los und es kam zu einem Handgemenge. "Heh!" schrien einige Umstehende. "Was soll'n das? Scheiß Bullen! Lasst die Frau in Ruhe!" Neben mir sagte ein Mann: "Aber wenn die tatsächlich eine Pistole hat..." und versteckte sich eilig hinter einer Litfasäule. Die Frau mit der Handtasche schrie: "Hiiilfe! Nein! Seid ihr hier denn alle irre geworden?" Dann ließ sie die Handtasche los, die Polizistin konnte sie an sich reißen, fiel aber dabei mit einem Schmerzensschrei hin und hatte sich anscheinend verletzt.
Die Frau nutzte die Verwirrung aus, rannte wie gehetzt im Zickzack durch die Menge und entkam gegenüber in der belebten Eingangstür eines großen Kaufhauses.
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Der Polizist kümmerte sich zunächst um die verletzte Kollegin und half ihr auf die Beine. Dann öffnete er die Handtasche und fand zwischen Lippenstift, Schlüsselbund und Geldbörse eine kleine handliche Pistole. Schließlich nahm er die Ausweispapiere der Frau, ging zum Funkgerät im Wagen und ich hörte ihn sagen: "Dringende Personenfahndung im Gebiet des Alexanderplatzes. Zur Festnahme gesucht wird..." Er nannte die Daten der Frau und erklärte die Lage des Kaufhauses. Dann fügte er hinzu: "Die gesuchte Person scheint geistesgestört oder zumindest stark verwirrt zu sein. Der Zugriff sollte mit Vorsicht und Zurückhaltung erfolgen. Vermutlich ist die Frau jetzt unbewaffnet...!"
*
Vom Eingang des Kaufhauses war Lärm zu hören. Menschen schrien durcheinander und ich sah gestikulierende Hände. Zwei oder drei übereifrige Passanten zogen und schoben die geflüchtete Frau an den Armen und dirigierten sie zum Streifenwagen. "Wir haben sie!" schrie einer genussvoll und ein anderer rief überheblich: "Schön hier geblieben, Verehrteste!" Die Bluse der Frau war aufgerissen, ihr Knie zeigte eine blutende Schürfwunde, ihre Frisur hatte sich gelöst und die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Die Polizisten nahmen sie in Empfang und die Beamtin drückte sie mit der flachen Hand an ihrem Kopf in den blauen Polizeiwagen. Sie wehrte sich nur noch schwach mit einer abweisenden Handbewegung, schien sich aber endlich in das Unvermeidbare zu fügen. Die Gaffer hatten das Auto eng umringt und wollten sich nichts entgehen lassen. Auch ich war neugierig, wie es nun weitergehen würde.
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"Sie müssen mit aufs Kommissariat! Wegen dem Protokoll und ihrer Zeugenaussage!" sagte die Beamtin zu mir und deutete auf den freien Sitzplatz neben der Frau. Ich stieg ein, die Polizistin schloss die Tür, ging schnell um den Wagen herum und setzte sich neben ihren Kollegen. Als der Wagen anfuhr, saß ich schweigend neben der Frau, die mich ebenso schweigend, aber mit einer Mischung aus Wut und irrem Unverständnis ansah. Nach einer Weile brachte sie mit leiser, hilfloser und beinahe quälender Stimme heraus: "Sie müssen doch völlig übergeschnappt sein! So ein absurdes Theater ...!"
"Im Gegenteil!" antwortete ich mit lauter Stimme, damit es beide Polizisten hören konnten. "SIE sind es, die übergeschnappt ist! Bei wem wurde denn die Pistole gefunden? Und wer hat wen bedroht? Und wer ist geflüchtet?"
In diesem Moment bog der Wagen auf den Parkplatz des Kommissariats ein und der Polizist sagte nach rückwärts zu uns gewandt: "Bitte schön, meine Herrschaften! Dann wollen wir den Fall mal klären...!"
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Etwa eine halbe Stunde später. Die Streifenwagenbesatzung hatte uns übergeben und die Situation in kurzen Worten erklärt. Ein Polizist tippte beinahe gelangweilt unsere Daten in ein Formular, bis eine Vernehmungsbeamtin in Zivil hinzukam und konkrete Fragen stelle.
"Stimmt es, dass Sie diesem Mann mit einer Pistole drohten ihn zu erschießen?"
"Aber das ist doch völliger Unsinn!" Die Frau brauste auf. "Ich kenne diesen..., diesen... Typen doch überhaupt nicht! Das Gegenteil ist der Fall..." Sie schien ruhiger zu werden und fügte beinahe sachlich hinzu: "ER hat mich einfach auf der Straße angesprochen, hat gefragt ob ich ihm eine Pistole leihen könnte, er wolle jemanden erschießen der es verdient hätte...!"
"Unsinn!" fuhr ich dazwischen. "Wurde die Pistole bei ihr oder bei mir gefunden?" Ich sah die Beamtin herausfordernd an.
"Das war reiner Zufall!" rief die Frau. "Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun...!"
"Aus welchem Grund tragen Sie denn eine Pistole mit sich herum?"
"Um..., um..., zum Selbstschutz! Heutzutage kann man ja nie wisen, was einem alles passieren kann..."
"Und da muss es gleich eine scharfgeladene Waffe sein? Gibt es da nicht andere, weniger gefährliche Mittel. Haben Sie überhaupt einen Waffenschein..?"
"Ich werde bedroht...!" sagte die Frau, kramte ein Stück Papier aus ihrer Manteltasche und reichte es der Beamtin über den Tisch. "Hier! Mein Ex schickt mir seit Wochen solche Drohbriefe! Wie würden Sie reagieren, wenn Sie jeden Tag einen solchen Brief erhalten würden! Von den nächtlichen Telefonanrufen ganz abgesehen! Das ist Terror, der mich zum Irrsinn treibt...!"

"Ja! Irrsinn ist der richtige Ausdruck für Sie!" rief ich. "Deshalb rennen Sie in Ihrer Paranoia durch die Stadt und bedrohen unschuldige Menschen!"
Die Beamtin las den Brief, runzelte die Stirn und fragte die Frau: "Und Sie sind sicher, dass Sie diesen Mann nicht kennen?!" Sie deutete auf mich. "Und dass er nicht das Geringste mit dieser Sache zu tun hat? Immerhin könnte es sein..."
Die Frau erbleichte und flüsterte fast: "Daran hatte ich noch nicht gedacht!" Erschrocken sah sie mich an. Auch bei der Vernehmenden bemerkte ich, wie sie mich mit angestrengtem Gesichtsausdruck aufmerksam musterte.
"Ist Ihnen der Ex dieser Frau persönlich bekannt?" fragte mich die Beamtin. "Stehen Sie mit ihm in irgendeiner Verbindung?"
Wahrscheinlich überlegte ich mir meine Antwort einen Moment zu lange, denn plötzlich fragte die Beamtin: "Wie heißt Ihr Ex und wo wohnt er?" Als die Frau Namen und Adresse ihres Ex genannt hatte, griff die Beamtin zum Telefon, drückte Knöpfe und ich hörte sie sagen: "Fahndungsabteilung? Hier K 24! Bitte überprüfen Sie folgende Personen...!" Sie gab die Namen, Daten und Adressen von mir und dem Ex der Frau durch und wartete.
"Was soll denn das...?" Ich sprang von meinem Stuhl auf.
"Bleiben Sie sitzen!" bellte die Beamtin scharf.
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Ich setzte mich wieder auf meinen Stuhl, auch weil ich bemerkte, dass mir die Geschichte zu entgleiten drohte und ich ein weiteres Abdriften in die falsche Richtung vermeiden musste. Wer hätte denn geahnt, dass die jetzt mit ihrer Verschwörungstheorie kommen?!
"Sie können überprüfen, was Sie wollen!" sagte ich so ruhig wie möglich. "Aber ich versichere Ihnen, Sie verlieren nur unnötig Zeit! Ich kenne weder ihren Ex, noch habe ich mit dieser Beziehungsgeschichte irgendetwas zu tun!"
"Das will ich ja gerade überprüfen!" sagte die Beamtin mit einem Zweifel in der Stimme. Sie legte einen Finger auf die Lippen, machte "Psst!" in meine Richtung und sagte dann ins Telefon: "Ja? Ich bin noch dran..." Sie hörte aufmerksam zu, runzelte zwischendurch die Stirn und ich hörte sie in Abständen sagen: "So so...", "Aha...", "Hmmhmm...!"
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Als sie aufgelegt hatte, sah sie uns beide aufmerksam an.
"Und?" fragte ich beinahe frech. "Haben Sie etwas herausgefunden?"
"Wenn Sie ein sauberes Gewissen haben, kann es Ihnen doch eigentlich egal sein, was ich herausgefunden habe!" sagte die Beamtin und setzte ein Pokergesicht auf. Dann wandte sie sich an die Frau: "Was mich einmal interessieren würde: Sie werden doch schon eine ganze Weile bedroht. Warum haben Sie sich nie an die Polizei gewendet? Ich habe das Gefühl, als hätten Sie regelrecht Angst vor der Polizei?!"
"Lesen Sie doch den Brief!" sagte die Frau entrüstet. "Er hat mir gedroht, wenn ich die Polizei einschalte, würde ich und mein Kind es zu spüren bekommen. Ich hatte einfach Angst..., jede Minute konnte unterwegs oder zu Hause etwas passieren. Ich bin so verunsichert, dass mir wahrscheinlich die Leute auf der Straße meine Angst angesehen haben. Ist das denn soo schwer zu verstehen...?"
Die Beamtin ging nicht auf das Argument ein, sondern sagte: "Sind Sie sich denn absolut sicher, dass die Briefe von Ihrem Ex stammen? Haben Sie das genau nachgeprüft? Die Briefe könnte auch jemand anders geschrieben haben...?!"
Die Frau blickte ratlos von einem zum anderen. "Aber ..., wer...? Wer sonst könnte ein Interesse haben, mir so zuzusetzen?"
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"Das herauszufinden ist nicht Aufgabe der Polizei!" stellte die Beamtin fest. "Es sei denn, Sie erstatten Strafanzeige gegen Unbekannt oder gegen Ihren Ex. Dann müssen wir tätig werden!"
"Es kann nur mein Ex gewesen sein", sagte die Frau leise. "Der Inhalt der Drohbriefe ist der gleiche wie die Telefonanrufe. Und seine Stimme erkenne ich hundertprozentig!"
"Entschuldigen Sie, wenn ich auch mal etwas sage," unterbrach ich die beiden. "Aber langsam wird mir das hier alles ein bisschen zu bunt und außerdem möchte ich nach Hause. Sagen Sie mir jetzt klipp und klar, ob gegen mich etwas vorliegt oder nicht! Andernfalls ist diese Angelegenheit für mich erledigt!"
"Ich dachte, Sie wollten Strafanzeige wegen Bedrohung gegen die Frau hier stellen?! Sie behaupten doch, diese Frau hätte Sie mit der Pistole bedroht, die wir ja tatsächlich in ihrer Handtasche gefunden haben. Wenn die Frau Sie wirklich mit einer geladenen Waffe bedroht hat, dann kommt eventuell auch eine Einlieferung und Beobachtung in einer psychatrischen Klinik in Frage...!"
"Wie oft soll ich es noch wiederholen?" fuhr die Frau erbost dazwischen. "ICH habe ihn nicht bedroht. Das mit der Pistole war reiner Zufall! Das ist ein Irrer!" Sie deutete auf mich.
"Werden Sie sich endlich einig!" Die Polizistin wurde ungeduldig. Zu mir gewandt fügte sie hinzu: "Gegen Sie liegt nichts vor! Wenn Sie keine Anzeige gegen die Frau hier erstatten wollen, dann können Sie jetzt gehen!"
Ich tat, als würde ich überlegen. "Nein!" sagte ich dann. "Die junge Dame ist ohnehin völlig im Wind und anscheinend hat sie schon genug Probleme. Von mir also keine Anzeige...!"
"Dann können Sie jetzt gehen!" sagte die Polizistin.
"Und ich?" fragte die Frau.
"Im Grunde könnten Sie auch gehen! Sie werden allerdings von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubtem Waffenbesitz bekommen! Und ich weiß nicht, ob meine Kollegen eine Anzeige gegen Sie wegen Widerstand gegen Vollzugsbeamte im Dienst und vielleicht auch wegen Körperverletzung machen. Aber wollten Sie sich nicht überlegen, endlich Ihren Ex anzuzeigen...?"
"Ich..., ich..., nein..., vielleicht ..., vielleicht finde ich eine andere Lösung!" Die Frau stand auf.
Ich erhob mich ebenfalls, wartete aber, bis die Frau das Protokoll unterschrieben hatte. Dann hielt ich ihr die Tür auf. Als wir im Flur alleine waren, blieb sie stehen und schaute mich ernst und durchdringend an, so als sei plötzlich eine ungewohnt große Ruhe, Selbstsicherheit und Erkenntnis über sie gekommen. Diesen Blick hatte ich bisher noch nicht an ihr bemerkt. Jetzt durfte ich nicht verunsichert werden.
"Wahrscheinlich werden Sie es nicht zugeben", sagte sie ruhig. "Aber ich würde trotzdem gerne etwas von Ihnen wissen, nämlich was hat Sie veranlasst, dieses Spiel mit mir zu treiben? Versuchen Sie wenigstens jetzt einmal ehrlich zu sein...!"
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"Nun!" sagte ich und versuchte sogar ein Lächeln, um die Situation wenigstens jetzt etwas zu entspannen. Denn ich hatte tatsächlich vor, ihr die Wahrheit zu sagen, zumindest ansatzweise. "Das will ich gerne tun! Aber das ist nicht in zwei Sätzen getan, dafür würden wir ein bisschen Ruhe benötigen. Was halten Sie davon, ich lade Sie in ein Café ein, da können wir in Ruhe reden...?!"
Ich will ganz ehrlich sein, ich hatte nicht erwartet, dass sie auf meinen Vorschlag eingeht. Eigentlich hatte ich gedacht, sie würde mich auf den Mond schießen und so schnell wie möglich loswerden wollen. Aber diese Fehleinschätzung sollte zu meinem Verhängnis werden.
"In Ordnung!" stimmte sie zu, berührte meinen Arm, dirigierte mich zu einem nahegelegenen Café und zeigte auf einen einsamen Tisch. "Dort hinten ist eine ruhige Ecke", sagte sie. "Dort sind wir ungestört...!"
Spätestens an dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich eine unbestimmte Zuneigung zu der Frau verspürte. Sie war attraktiv und auf eine gewisse Weise sogar verführerisch und eigentlich war sie genau mein Typ, Aufbauseminar hin oder her...
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Als die Bedienung an unseren Tisch kam, um die Bestellung aufzunehmen, sagte die Frau: "Nach den Schreckenserlebnissen dieses Tages sollte man sich etwas Gutes gönnen; für mich also einen doppelten Bourbon und einen Espresso mit drei Zucker!"
Eigentlich wollte ich nur eine einfache Tasse Kaffee bestellen, aber dann sagte ich: "Für mich das gleiche!" Worauf die Frau lächelnd sagte: "Gut gewählt! Keine halben Sachen! Wir wollen uns ja entspannt unterhalten. Schließlich wollen Sie mir verraten, mit welcher Motivation Sie dieses Spiel mit mir gespielt haben!" Dabei legte sie ihre rechte Hand wie unbeabsichtigt auf meinen Arm und ließ sie dort liegen. "Es war doch ein Spiel für Sie, oder?"
"Hat es Ihnen denn wenigstens ein bisschen gefallen?" fragte ich und rückte meinen Stuhl näher an sie heran. Sie bemerkte es lächelnd und trank ihren Whisky in einem Zug aus. Ich ließ mich nicht lumpen, kippte mein Zeug ebenfalls runter und rief zur Bedienung: "Noch einmal zwei Doppelte bitte!"
"Anfangs überhaupt nicht!" nahm die Frau das Gespräch wieder auf. "Im Gegenteil! Ich war mehr als verwirrt und total verängstigt! Die Drohungen von meinem Ex hatten aus mir bereits ein Nervenbündel gemacht. Und dann kamen Sie daher, na, den Rest kennen Sie ja. Aber dann im Laufe der Polizeivernehmung, da merkte ich, dass Sie kein Irrer sind, sondern von einiger Intelligenz..." Jetzt legte sie auch ihre zweite Hand auf meinen Arm und drückte ihn. Vorsichtig und noch zurückhaltend legte ich einen Finger auf ihre Hand und erwiderte den Druck. "Geben Sie's zu..." Sie schaute mir dabei lächelnd in die Augen. "Geben Sie's zu, Sie sind ein Spieler, ein notorischer Zocker! Sie brauchen das Spiel und die Manipulation genauso wie das Risiko, so wie andere Leute die Luft zum Atmen benötigen...!"
"Ich bewundere Ihren Scharfsinn!" sagte ich und bemühte mich, die Anerkennung nicht zu übertrieben wirken zu lassen. "Konnte ich Sie wenigstens ein bisschen beeindrucken?" fragte ich mit einem humorvollen Unterton.
"Jetzt, im Nachhinein, Ja! Aber gleichzeitig ärgere ich mich über mich, dass ich mich von Ihnen dermaßen manipulieren und dirigieren ließ. Mein Selbstbewusstsein ist in letzter Zeit ohnehin im Eimer, und jetzt das noch...!"
"Manipulation ist sozusagen das wesentliche Merkmal dieses Spiels", sagte ich. "Sie sollten es einmal ausprobieren! Es erhöht die eigene Selbstsicherheit, wenn sie bemerken, wie sehr Sie andere Menschen manipulieren und beherrschen und sogar unterwerfen können!" Ich verschwieg ihr die wahren Zusammenhänge: Das Spiel war Teil eines "Aufbauseminars", in welchem Manager lernten, wie man in bizarren Situationen durch Lügen, Tricksen und falsche Anschuldigungen die Oberhand über sein Gegenüber behält, wie man Menschen manipulieren und beeinflussen oder wenigstens irritieren kann.
Aber schon meine bisherige Erklärung schien Eindruck auf sie zu machen; sie rutschte noch näher an mich heran, unsere Knie berührten einander und sie bestellte für uns beide weitere Doppelte. Der Tag würde gut enden, dachte ich. Gleich zweimal an einem Tag als Sieger hervorgegangen, dass schaffe ich auch nicht immer...
"Prost!" sagte ich und bemerkte das wohlige Gefühl bei mir und den Glanz in ihren Augen.
Plötzlich setzte sie das Glas ab und wurde blass. Schrecken stand in ihren Augen und hatte das schöne Gesicht in eine Grimasse verwandelt. "Drehen Sie sich um Himmels Willen nicht um!" flüsterte sie mir zu. "Gerade ist mein Ex zur Tür hereingekommen...!"
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Diese Wende kam dermaßen überraschend für mich, dass ich mich trotz ihrer Warnung erschrocken umdrehte und im Eingangsbereich des Cafés einen Mittdreißiger erblickte, der sich alleine an einen kleinen Tisch setzte. Zwischen uns lag die halb offene Verbindungstür zum Hauptraum, so dass er uns nicht sehen, ich aber deutlich sein Gesichtsprofil von der Seite erkennen konnte. Geistesgegenwärtig tauschte die Frau den Platz mit mir, so dass sie jetzt mit dem Rücken zu ihrem Ex saß, ich ihn aber ganz genau im Visier hatte.
"Ich kann ihn nicht mehr sehen!" flüsterte die Frau und zitterte dabei. "Sein Anblick ist ein Horror für mich; seine krankhafte Eifersucht jagt mir Angst und Schrecken ein. Und jetzt auch das noch..., ich..., hier mir Ihnen...!"
"Besonders vertrauenserweckend sieht er auch nicht aus!" stellte ich fest. "Er hat etwas Brutales um den schmalen Mund herum und seine Augen scheinen kalt und gefühllos...!"
"Erinnere mich nicht daran", sagte die Frau und war plötzlich beim Du. Sie legte beide Hände auf meine Brust und knöpfte einen Knopf meines Hemdes auf; ihre Finger unter meinem Hemd erzeugten ein zärtliches und vertrautes Gefühl in mir. Sie schluchzte und eine Träne kullerte über ihre Wange. Beruhigend legte ich meine Arme um ihre Schultern, beobachtete aber weiter aufmerksam den Mann im vorderen Gastraum.
"Ich würde alles geben, um ihn aus meinem Leben verschwinden zu lassen", flüsterte die Frau. Ihre Lippen kamen nahe an meinen Mund und das Blut schoss durch meinen Körper. "ALLES...!" wiederholte sie. "Wenn ich nur wüsste wie ich es anstellen könnte...!?" Sie sah mich mit flehendem Blick an.
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"Vielleicht sollte man versuchen, in Ruhe mit ihm zu reden?" gab ich vorsichtig zu bedenken. "Wenn er die hoffnungslose Lage einsieht, dass du nicht mehr zu ihm zurückkommst, wird er vielleicht vernünftig..."
"DER wird niemals vernünftig und sieht niemals etwas ein! Und in Ruhe reden kann man schon überhaupt nicht mit ihm. Der flippt sofort aus, von einer Sekunde auf die andere; ein Choleriker vor dem Herrn. Glaube mir bitte!" Sie nestelte an ihrer zerrissenen Bluse herum und versuchte ihren Ausschnitt und die deutlichen Ansätze ihrer Brüste ein bisschen zu verdecken. "Wie ich nur aussehe", sagte sie. "Gerade so, als würden wir beide eben aus dem Bett kommen...!"
"Soll ich einmal mit ihm reden?" fragte ich, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. "Du weißt doch, ich kann gut mit Menschen umgehen und sie beeinflussen!" Ich erhob mich von meinem Stuhl.
"Bist du wahnsinnig?!" sagte die Frau erregt. "Er ist unberechenbar...!"
In diesem Moment sah ich, wie der Mann von seinem Stuhl aufstand. Für Sekunden hatte ich ihn aus den Augen verloren...
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„Ich gehe nur mal nachschauen", sagte ich. "Er hat das Café nicht verlassen. Wahrscheinlich ist er auf der Toilette!"
"Sei aber bitte um Himmels Willen vorsichtig!" sagte die Frau und strich mit ihrer Hand ängstlich über meinen Arm. "Und lass dich auf kein Gespräch ein...!"
"Ich werde ihn nicht ansprechen", beruhigte ich sie. "Will nur mal sehen was er macht und ihn aus der Nähe betrachten". Dann fügte ich hinzu: "Vielleicht fällt mir eine Lösung ein..."
Auf der Toilette stellte ich mich neben ihn. Wir schwiegen beide und schauten stur in die Pinkelbecken, wie zwei Männer eben in Pinkelbecken schauen, die sich nicht kennen und zufällig in einem Pissoir nebeneinander stehen. Als es zum Händewaschen ging, ließ ich ihm den Vortritt, machte eine Handbewegung und sagte: "Bitteschön! Ich hab's nicht eilig!" Von ihm hörte ich als Antwort nur ein unfreundliches "Hhmhmm" und dann stand ich hinter ihm und sah, wie er den Wasserhahn aufdrehte und seinen Kopf tief über das Waschbecken beugte...
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Nun, Sie werden jetzt vielleicht denken, dass ich diesen Augenblick und meine Chance genutzt, ihn vielleicht erwürgt oder mit dem Kopf auf den harten Beckenrand geschlagen, oder von hinten erdrosselt hätte. Aber ich bin nicht von der spontanen Truppe; meine Aktionen sind geplant und wohlüberlegt. Ich liebe zwar das Risiko, aber auch das ist kalkulierbar! Außerdem muss ich ihn sowieso nicht völlig ausschalten; mein Weg ins Bett mit dieser Frau war ohnehin frei...
Wie ein Schachspieler überlege ich mir vorher den nächsten und den übernächsten Schritt und habe auch Auswege parat, wenn ein Schritt einmal schiefgehen sollte. Das gehört zum Handwerkszeug. Nicht umsonst bin ich in meinem Beruf so erfolgreich. Langes Beobachten und schließlich geschickte Manipulation gehören dazu.
Also ging ich ruhig ins Cafè zurück und bemerkte, dass die Frau den Ausschnitt ihrer Bluse noch mehr geöffnet hatte und ihre langen Beine weit unter dem kurzen Rock sichtbar waren. Ihre hochgesteckten blonden Haare fielen jetzt lose und verführerisch über ihre Schultern. Sie lächelte neugierig und erwartungsvoll. Mein Spiel entwickelte sich noch angenehmer, als ich es heute Morgen vermutet hatte. Ich setzte mich dicht neben sie, legte meine Hand auf ihre Knie und flüsterte: "Wir müssen miteinander reden! Gehen wir zu dir oder zu mir...?"
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"Zu dir!" sagte sie ohne Umschweife, als hätte sie nur auf mein Angebot gewartet. "Wohnst du alleine und ungestört?"
"Aber natürlich!"
"Gut!" flüsterte sie. "Ich möchte nämlich mit dir ungestört sein!" Sie nahm meine Hand, legte sie auf ihre Brust, so dass ich die warmen Rundungen spürte, die sich aus den BH-Körbchen abhoben und fragte "Hast du Lust auf mich?"
"Ja sehr!" Ich stotterte fast vor Überraschung. Denn so schnell hatte ich die Entwicklung nicht erwartet. Mein heutiger Siegeszug schien sich lückenlos und ohne langes Drumherum fortzusetzen.
"Dann sollten wir gehen!" sagte sie. "Ich möchte dir ein paar Vorschläge machen..., aber nur wir beide alleine..., ohne Zuschauer um uns herum...!"
'Na', dachte ich. 'Liebes Mädchen, was glaubst du wohl, was ICH möchte...?'
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Ihr Ex war weit und breit nicht mehr zu sehen und so verließen wir das Cafè und liefen zum Taxistand. Ich hatte meinen Arm fordernd um ihre Taille gelegt, sie kuschelte ihren Kopf an meinen Hals und raunte mir zu: "Du bist der irrste Typ, den ich jemals kennengelernt habe! Ich stehe auf solchen irren Typen! Komm...!" Sie zog mich vorwärts und ich ließ mich bereitwillig ziehen. 'Die Kleine ist mir hörig!' dachte ich. 'Sie frisst mir förmlich schon aus der Hand. Ich habe die Situation wieder mal voll im Griff...'! Ich schmunzelte bei dem Gedanken, schob meine Hand von ihrer Taille ein Stück höher und spürte jetzt voll ihre üppigen Brüste. Sie ließ es geschehen und lachte.
Dann schaute ich hinter mich und sah ihn. Der Ex stand auf der anderen Straßenseite und hatte uns erblickt. Sein Gesicht zeigte erst Erstaunen, dann Kälte und Entschlossenheit...
*
Er zögerte einen Augenblick, aber dann kam er ohne Umwege über die Straße, und noch bevor wir ins Taxi einsteigen konnten, stand er vor uns, sah seine Ex an, deutete auf mich und schrie: "Das ist also dein neuer Stecher?! Das geht ja bei dir wie's Brötchenbacken!" Er spuckte vor ihr aus und sah mich herausfordernd an.
"Mein Herr! Sie irren sich!" sagte ich gestelzt, aber so ruhig wie möglich. "Ich bin nicht ihr neuer Stecher, wie Sie sich auszudrücken belieben, sondern ihr Anwalt! Hier..." Ich holte irgendeine fremde Visitenkarte aus der Brieftasche und hielt sie ihm vor die Nase. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er beeindruckt und verunsichert. Dann aber kehrte der wütende Ausdruck in sein Gesicht zurück. Er zog die ausgestreckte Hand zurück und sagte: "Anwalt? Ich bekomme einen Lachanfall! Seit wann läuft ein Anwalt knutschend mit seiner Klientin durch die Stadt, du Arsch?!"
Für einen Moment hatte ich keine Antwort parat und der Mann setzte frech nach: "Dann hat sie dir wohl auch erzählt, wie sie Männer ausnimmt und ihre Schulden nicht zurückbezahlt, heeh?" Er lachte höhnisch. Ich sah die Frau an, die den Mund aufmachte und zu einer Antwort ansetzte...
*
"Ich habe mir nur zurückgenommen, was ohnehin mir gehörte!" Die Stimme der Frau zitterte zwar, aber der Mann schien für einen Augenblick beeindruckt. "Ich habe zwei Jahre lang für dich geblutet", fuhr sie fort, "bevor endlich meine Stunde schlug und ich dich zum Teufel jagen konnte...!"
"Du, für mich geblutet?" Der Mann lachte höhnisch. "Es hat dir doch gefallen, wie ich dich behandelt habe! Du wolltest es doch nicht anders! Du stehts doch auf sowas! Erst hast du geiles Stück gefleht und gebettelt nach mir, und dann, nachdem du deine paar Euro zurück und einen neuen Stecher hattest, hast du mich kalt abserviert! Aber nicht mit mir! Das sage ich dir: NICHT MIT MIR!"
"Aber...!" Mit dem Versuch der Beschwichtigung hob ich beide Hände. "Darüber kann man doch in Ruhe reden! Deswegen müssen Sie Ihre Ex doch nicht dauernd verfolgen...!"
"ICH und diese dumme Gans dauernd verfolgen?" schrie der Mann und schaute mich herausfordernd an. "Ihnen piept's wohl, Herr Anwalt! Was hat die Alte dir denn für eine Scheiße erzählt...?"
*
"Ich hab' nur die Wahrheit gesagt!" rief die Frau dazwischen und klammerte sich wie eine Hilfesuchende an meinen Arm. "Ich hab' alle deine Drohbriefe...!"
Schützend legte ich meinen Arm um die Frau und sagte zu dem Kerl: "Mäßigen Sie sich!" Mit fester Stimme bemühte ich mich um Glaubwürdigkeit. "Ihre Wortwahl lässt zu wünschen übrig! Das zeugt nicht gerade von einer gelungenen Kinderstube...!" Ich war mir nicht sicher, ob diese gewundene Sprache überhaupt bei dem Typen ankommt, muss aber zugeben, dass ich mit seiner ordinären Gossensprache auch nicht zurecht kam. Jedenfalls war er auf meine Art nicht manipulierbar und ich musste wohl oder übel umschalten und mich auf sein Niveau begeben.
"Meine Kinderstube geht dich einen Scheißdreck an!" schrie er. "Wer sich mit solchen Huren wie der da abgibt...", er zeigte auf die Frau, "... der kommt mit Sicherheit auch nicht aus dem besten Stall...!"
"Sie sprechen von Ihrer Ex, mit der SIE immerhin zwei Jahre zusammen waren...!" warf ich ein.
"Komm! Spar dir deine gesalbten Worte!" schrie er mich an. "Ihr feinen Pinkel wollt was besseres sein, aber ihr seid alle für'n Arsch...!"
Ich ließ in schreien und schob die Frau zum Taxi, denn ich bemerkte, dass mir die Situation entglitt und ich nicht Herr des Geschehens war. Also musste ich ausnahmsweise die Flucht antreten. Er hielt uns nicht zurück, sondern stand nur mit wutverzerrtem Gesicht herum und noch bevor ich die Wagentür zugeschlagen hatte, hörte ich ihn rufen: "Ja, hau doch ab! Hau doch endlich ab, du...!"
Sie saß kreidebleich neben mir im Taxi und nach einer Weile Schweigen sagte ich: "Wie konntest du es nur bei einem solchen Kerl aushalten? Was hat dich an dem fasziniert? Wie bist du überhaupt auf einen solchen Primitivling gestoßen? Das ist doch weit unter deinem Niveau, oder...?!"
*
Zuerst schwieg sie und ich wollte ihr auch Zeit lassen und nicht pausenlos unter Druck setzen. Wenngleich mir einige Ungereimtheiten natürlich aufgefallen waren. Aber am Ende legte ich auf eine Erklärung von ihr eigentlich keinen Wert mehr, - die Geschichte war mir zu anstrengend geworden -, ich wollte das Mädchen nur noch zu Hause bei mir ins Bett bringen und meinen Tag erfolgreich und befriedigend abschließen. Seit der Ex uns in die Quere gekommen war, lief mir das Spiel aus dem Ruder; ich hatte das Interesse verloren, wollte das Spiel nicht noch mehr komplizieren, sondern nur noch meine Belohnung einsacken und damit Basta und Schluss! Gefühle dürfen sich andere leisten; ICH nicht!
Dann begann sie zögernd, während der Taxifahrer mit angestrengt gelangweiltem Gesichtsausdruck unserem Ziel näher kam. "Du hast Recht mit deinen Fragen! Aber um mich zu verstehen, müsstest du die ganze Geschichte im Zusammenhang kennen", sagte sie leise, "von damals, als ich alleine mit dem Kind dastand und nicht mehr weiterwusste..."
*
Zugegeben, es war eine jener beeindruckenden Geschichten, bei denen sogar hartgesottene Herzen weich werden oder zumindest Mitleid bekommen. Was weiß unsereins von solchen Situationen, wenn eine Schwangere von ihrem Kerl mit dem Balg sitzengelassen und gleichzeitig arbeitslos und von den Eltern verstoßen wird. Wenn das Geld nicht mehr für die Miete reicht und eine junge Frau nach jedem sich bietendem Strohhalm zum Überleben greift?! Dann haben selbst die miesesten Typen wie dieser Ex Erfolg und die Chance, den letzten Stolz einer Frau zu brechen und ihr mit lächerlichen Liebesphrasen und vorgegaukelten Zärtlichkeiten zu imponieren und einen zweifelhaften Halt zu geben. Wenn man einer Frau sagt "Ich liebe dich!" und außerdem im Bett eine brauchbare Figur abgibt, dann schaltet bei vielen Frauen der Verstand ab. Männer sind da ganz anders...!
"Dann zog er bei mir ein und es stellte sich heraus, er war arbeitslos, trieb sich nur in Wettbüros, Spielhallen und beim Pokern herum, gewann selten, aber lebte von meinem Harz-Vier und als ich endlich als Model Fuß fasste und plötzlich eine ansehnliche Menge Geld verdiente, da nahm er mich aus wie eine Weihnachtsgans und ich war für viele Monate sein Dummerchen und seine Melkkuh..."
"Aber er sprach doch davon, DU hättest ihm SEIN Geld weggenommen...?"
"Das stimmt nur bedingt...!" Sie zögerte. "Eines Tages gewann er beim Pokern ein paar Tausend und ich verlangte, dass er sich endlich mal am Haushalt und den laufenden Kosten beteiligen soll. Wenigstens fifty-fifty! Pustekuchen! Er ging weiter zocken! Aber bevor er wieder alles verspielte, habe ich mich an seiner Schatulle bedient und mir meinen Anteil genommen. Es kam zum großen Krach und da habe ich ihn endlich rausgeworfen, beziehungsweise das Türschloss ausgewechselt. Den Rest kannst du dir denken. Jedenfalls kam danach für mich die Hölle...!"
Ich machte "Hmmhmm" und sie fragte: "Du glaubst mir doch, oder...?" Bevor ich nachdenken und antworten konnte, hielt das Taxi vor meiner Haustür und der Fahrer sagte "So, das macht dann Neunundzwanzigachtzig bitte...!"
*
Nachdem ich meine Wohnungstür aufgeschlossen hatte und wir in der engen Diele dicht beisammenstanden, drehte sie sich um, legte ihre Arme um meinen Hals und flüsterte: "Willst du mich überhaupt noch nach diesem ganzen Theater?" Während ich noch mit der Antwort zögerte, fügte sie hinzu: "Ich könnte dir nicht verdenken, wenn dir die Lust vergangen ist, jetzt wo du fast meine ganze Lebensgeschichte kennst...?!"
Ich spürte die Wärme ihres Körpers, spürte ihre Brust an meiner Brust, ihren Mund an meinem Mund, umklammerte mit meinen beiden Händen erst ihren Rücken, glitt dann zu den verführerischen Rundungen ihres ausgeprägten Hinterns, erkundete das winzige Dreieck eines Tangas von der Größe eines Schnürsenkels und als ich schließlich fordernd meine spür- und sichtbare Erektion gegen ihren Unterleib presste und sie Richtung Sofa drängen wollte, sagte sie: "Wo ist dein Badezimmer? Ich möchte mich erst ein bisschen frisch machen". Sie küsste mich mit einer mir unbekannten Zärtlichkeit, streichelte mit ihren schlanken Fingern über mein Ohrläppchen und flüsterte: "Dann können wir besser genießen und ich werde dir das Paradies zeigen ..!"
*
Während ich noch in der Küche saß und überlegte, ob ich Kaffee kochen und die Whiskyflasche daneben stellen, oder mich gleich ausziehen und ins Bett legen sollte, hörte ich im Badezimmer die Dusche rauschen und als ich die Badezimmertür öffnete, sah ich schemenhaft durch die Milchglasscheibe die nackten Rundungen der Frau. Als sie sich bewegte, erkannte ich ihre Brüste und einen kräftigen Büschel schwarzer Haare im Dreieck zwischen ihren Beinen. "Brauchst du noch lange?" rief ich etwas verunsichert. "Soll ich Kaffee kochen oder im Bett auf dich warten...?"
"Ich habe einen Bärenhunger!" rief sie zurück. "Warum machst du uns nicht eine Kleinigkeit zu essen? Ich möchte sowieso erst noch ein bisschen mit dir zusammensitzen und das eine oder andere besprechen...!"
"Ich dachte, wir...?!" Unsicherheit lag in meiner Stimme.
"Du kommst schon nicht zu kurz!" rief sie lachend. "Du wirst mit mir eine Nacht erleben, wie du sie noch nie erlebt hast! Aber alles zu seiner Zeit! Gönne uns doch ein bisschen Vorfreude! Kurbele unterdessen deine Fantasie an!"
Irritiert schloss ich die Badezimmertür...
*
Langsam beschlich mich das Gefühl, als hätte ich das Zepter nicht mehr vollständig in der Hand. Und DAS in meinen eigenen vier Wänden! Dabei hätte ich noch vor zehn Minuten schwören können, die Frau frisst mir aus der Hand und sie sei so leicht manipulierbar wie eine dumme Göre von Vierzehn, egal von wem. Ich begann mich darüber zu ärgern, dass ich mich von ein paar läppischen erotischen Verführungen verführen ließ. Aber gleichzeitig muss ich gestehen, dass ich bei sexuellen Reizen mitunter den sonst so gut funktionierenden Verstand auf Sparflamme schalte. Welchem Mann würde es anders ergehen? Besonders bei einer verführerischen Frau wie dieser!? Sie hatte das - wie soll ich sagen? - das gewisse Etwas..., eine Mischung aus sinnlicher Kindfrau und durchtriebener Hure, fast wie Marlene Dietrich im Blauen Engel. Mein ganzer Spielplan purzelte durcheinander. Ich musste jetzt irgendwie die Notbremse ziehen oder notfalls auch einmal mit der Faust auf den Tisch schlagen und meine Dominanz wieder herstellen. Ich lasse mir doch von einer Frau nicht die Kontrolle aus der Hand nehmen! Egal wie erotisch sie ist...
Als sie aus dem Badezimmer trat, bemerkte ich, dass sie nachlässig mit Rock, Bluse und Stöckelschuhen bekleidet war. "Du bist ja wieder angezogen?" fragte ich und versuchte einen leicht schärferen Unterton in meine Worte zu legen, um sie an meine Erwartungen zu erinnern. "Eigentlich dachte ich..."
Sie lächelte geheimnisvoll und hintergründig wie Mona Lisa, kam auf mich zu, stand vor mir, öffnete zwei Knöpfe an ihrer Bluse und zog den ohnehin kurzen Rock noch etwas weiter nach oben. "Dummerchen!" flüsterte sie. "Schau mal richtig hin: Ich hab' doch überhaupt nichts drunter! Gefällt dir das...!?"
*
Zugegeben, ich bin ohnehin kein braver Chorknabe, was meinen sexuellen Umgang mit Frauen betrifft und habe bestimmt schon etliche angenehme Überraschungen erlebt, aber was dann nach ihrem "Gefällt dir das?" passierte, stellte alle meine bisherigen Erfahrungen in den Schatten. Nachdem sie sich über mich gebeugt und ich bemerkt hatte, dass sie tatsächlich nichts außer nackter Haut unter Rock und Bluse trug, waren alle Schranken gefallen; wir fielen übereinander her, wälzten uns stöhnend, kratzend und beißend über den Teppich, landeten keuchend auf dem Küchentisch und schließlich in Schweiß gebadet, erschöpft und ausgelaugt in einer Ecke des Wohnzimmers und unsere Kleidungsstücke lagen verstreut in der Wohnung herum.
"Du bist ein Monster!" keuchte ich und versuchte mich aus der Umarmung zu lösen, aber sie hielt ihre Arme um mich geschlungen.
"Du aber auch!" sagte sie lachend und beschwingt, jedoch mit einer Spur von Ernsthaftigkeit. "Wir beide sollten zusammenbleiben! Wir passen zueinander! Oder...?" Sie sah mich an und ich dachte, 'Diese verdammte Hexe ist einmalig! So etwas habe ich noch nie erlebt!' Dann keuchte ich erschöpft: "Wir haben uns gesucht und gefunden!" Aber gleichzeitig dachte ich 'Du lieber Himmel, wie soll das nur enden?'
Lächelnd löste sie die Umarmung, setzte sich auf mich und als sie meine erneute Erektion bemerkte, sagte sie schelmisch: "Noch einmal? Oder wollen wir erst etwas essen...?"
*
Von nun an sahen wir uns fast täglich und landeten dann auch immer im Bett, ohne uns lange bei der Vorrede aufzuhalten. Wir fielen einfach wortlos übereinander her, wie zwei Besessene, als wären wir gegenseitig voneinander abhängig in unseren wilden und zügellosen Umarmungen.
Es geschah immer in meiner Wohnung, niemals bei ihr. Sie hatte mir zwar eine Adresse genannt, aber ich war noch nie bei ihr gewesen. "Bei dir fühle ich mich wohler!" sagte sie, sobald das Gespräch darauf kam. "In meiner Wohnung bin ich unruhig und unkonzentriert..., auch weil dieses Scheusal von einem Ex immer wieder plötzlich auftauchen kann. Am liebsten würde ich die Wohnung wechseln!" Und dann: "Wollen wir nicht zusammenziehen oder irgendwo eine gemeinsame Wohnung suchen? Das Kind bleibt sowieso bei meiner Mutter!? Nur wir beide alleine! Wir würden ein neues Leben beginnen!"
Auch ich hatte schon an diese Möglichkeit gedacht. Zwar ist in Berlin, und hier besonders in Charlottenburg, Dahlem und Zehlendorf, der Wohnungsmarkt angespannt und teuer, aber in meinem derzeitigen Beruf als selbstständiger Bank- und Unternehmensberater verdiente ich genug, zumal da viel Steuerersparnis schwarz auf mein Schweizer Bankkonto abfloss, und auch sie wurde ausreichend als Model gebucht, jedenfalls hatte sie mir das erzählt, denn ab und zu flog sie zwischendurch für zwei oder drei Tage nach München, Mailand oder Paris und ich erwartete jedesmal ungeduldig ihre Rückkehr.
Als echtes Problem entpuppte sich tatsächlich ihr Ex. Er ließ nicht locker, rief dauernd bei ihr an, bedrohte sie und sie zeigt mir fast täglich neue Briefe von ihm, in denen er sie unflätig beschimpfte und ihr unbeschreibliche Angst einjagde. "So lange wir dieses Problem nicht gelöst haben", sagte sie seit Tagen immer wieder, "so lange können wir nicht in Ruhe leben!" Und dann fügte sie hinzu: "Ich habe Angst um dich! Wenn er erst herausbekommt, dass wir beide glücklich miteinander sind, dann bist auch du in Gefahr! Der Kerl ist einfach unberechenbar. Du hast ihn ja erlebt..."
"Ich denke darüber nach!" sagte ich. "Wir werden eine Lösung finden...!"
"Ich kann dir seine Adresse geben!" warf sie wie zufällig ein. "Und ich weiß auch, in welchen Spielhallen und Wettbüros er sich herumtreibt...!"
"Ja!" sagte ich und ließ mich in ihre ausgebreiteten Arme fallen.
*
Und dann passierte, was ich in meinem ganzen Leben vermeiden wollte: Ich betrat zum ersten Mal ein Wettbüro, wo ich auf ihren Ex treffen sollte. Nun könnte man meinen, die Banken und Unternehmen, mit denen ich sonst beruflich zu tun habe, seien auch nichts anderes als Zockerbuden, schön und gut, aber ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich mich tatsächlich einmal in die Niederungen einer prolligen Spielhalle oder eines banalen Wettbüros begeben würde. Okay, gespielt wird überall, aber in einer Bank wohl doch auf einem weitaus höherem Niveau als in diesen primitiven Gefilden.
Jedenfalls erkannte mich der Ex sofort wieder und rief ungeniert teils abfällig, teils amüsiert: "Ach, sieh mal einer an! Der Liebeskasper von meiner Ex! Was treibt dich denn in diese geheiligten Hallen?"
"Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten!"
"Mit mir unterhalten? Über was denn? Vielleicht über Zuhälterei, zum Beispiel?" Er füllte weiter seinen Wettschein aus und fragte wie beiläufig: "Auf welches Pferd würdest du setzen? Oder hast du keine Ahnung von Pferdchen?"
"Warum sollte ich mich mit Ihnen über Zuhälterei unterhalten?" fragte ich mit einigem Erstaunen.
"Na...!" Der Ex schaute mich jetzt belustigt an. "Hat dir die Kleine denn nicht erzählt, was sie so treibt, wenn sie immer für ein paar Tage unterwegs ist? Oder glaubst du etwa die Geschichte mit dem erfolgreichen Fotomodell...?"
*
"Wir haben keine Geheimnisse voreinander!" log ich in meinem Bemühen, gerade noch die Kurve zu kriegen und meine Verblüffung zu verstecken. "Sie sagt mir alles! Ich weiß über ihre beruflichen Aktivitäten Bescheid!"
"Also bist du ihr Zuhälter!" grinste der Kerl frech. "Und wahrscheinlich lebst du jetzt von ihrem Geld, so wie ich das gemacht habe, als wir noch zusammen waren. Aber ich verstehe nicht, warum du jetzt mit MIR reden willst? Oder willst du mir einen Geschäftsvorschlag unterbreiten? Sollen wir unsere Pferdchen zusammenlegen und im größeren Rahmen auftreten? Vielleicht einen Escort-Service mit Internet und Webseite und so...?""
Ich ignorierte sein dummes Gerede und sagte so sachlich wie möglich: "Ich möchte Ihnen keinen Geschäftsvorschlag unterbreiten, sondern an Ihre Vernunft appellieren..."
"Was willst du...?" Das war Sarkasmus pur.
"...an Ihre Vernunft appellieren, das Mädchen endlich in Ruhe zu lassen, sie nicht mehr anzurufen, ihr keine Drohbriefe mehr zu schicken. Sehen Sie doch ein, was vorbei ist, das ist vorbei! Sie sind doch ein vernünftiger Mensch...", versuchte ich zu schmeicheln.
"Was redest du Schmock denn für eine Scheiße...?" fuhr er mir beinahe wütend ins Wort. "Wer ruft hier wen an? Und wer schreibt wem Drohbriefe? Pass mal auf mein Kleiner, ich scheuere dir gleich eine, dass dir Hören und Sehen vergeht! Ich glaub' es hackt!" Er schaut mich herausfordernd an. "Umgedreht wird ein Schuh daraus: SIE ruft MICH dauernd an! SIE läuft MIR nach! Will mich sehen! Will von mir gevögelt werden! Soll ich dir das Hotel nennen, in dem sie nicht nur ihre Freier trifft, sondern auch mich übermorgen um Vier treffen will?" Er nannte den Namen eines bekannten Hotels in Charlottenburg.
"Ich glaube Ihnen nicht!" sagte ich und versuchte meine Zweifel zu kaschieren. "Sie sind nur ein kleiner Zocker und versuchen mich zu manipulieren. Nicht ganz ungeschickt, aber es wirkt bei mir nicht...!" Ich ging einfach weg und ließ einen höhnisch grinsenden Mann zurück.
*
Natürlich war das von mir gespielt. Denn die Möglichkeit, von der Frau an der Nase herumgeführt und manipuliert worden zu sein, traf mich ziemlich unvorbereitet. MICH manipuliert man nicht! Das kann ICH viel besser! Obwohl, ich muss es zugeben, in den letzten Wochen war ich allzu gutgläubig und blind und hatte - gegen meine sonstigen Gewohnheiten - versäumt, die Frau und die Situation zu kontrollieren. Und ich wusste: Kontrollverlust kann sich furchtbar rächen...
Aber noch wollte ich die Anschuldigungen nicht glauben und überlegte, wie ich das in den nächsten beiden Tagen geschickt überprüfen könnte, ohne sie direkt darauf anzusprechen. Notfalls werde ich übermorgen in das Hotel fahren, wo sich die Frau mit ihrem Ex angeblich treffen wird. Ich ging nicht davon aus, dass man sich in einem Hotelzimmer verabredet, um Händchen zu halten oder über das Wetter zu reden. Doch die Frechheit eines perfiden Doppelspiels traute ich ihr auch nicht zu. Wahrscheinlich hat diese Nulpe von einem Ex nur großmäulig angegeben, um herauszufinden, wie weit man mich provozieren kann.
Doch am nächsten Morgen blieb überhaupt keine Zeit, mich um mein Privat- und Sexualleben zu kümmern. Beruflich zogen Gewitterwolken auf. Und am Nachmittag kam es sogar knüppeldick...
Morgens rief mich ein im Ruhestand befindlicher Arzt an, dem ich vor einigen Monaten eine Investition in eine Immobilie angedreht hatte, und diese Immobilie hat sich - wie der Arzt behauptet - als "faul" herausgestellt. Es ging um mehrere Eigentumswohnungen in den neuen Bundesländern, Spekulationsobjekte, die jetzt weder zu verkaufen noch zu vermieten sind und die von mir geangelten Investoren hatten eine knappe Million verloren. "Sie haben mich nicht nur falsch beraten!" schrie der Arzt, "Sie haben mich regelrecht belogen und mir Renditen versprochen, die niemals zu erreichen sind! Ich werde Sie auf Schadenersatz verklagen!"
Aber ohne Risiko laufen solche Geschäfte eben nicht und ICH habe nur die altbekannte Gier der Investoren ausgenutzt. Wie kann ein normaler Vernunftsmensch glauben, man könne im Handumdrehen aus einem Euro das Zwanzigfache an Rendite herausholen? Wenn das so einfach wäre, würde ich selbst in windige Immobilien investieren, statt andere Dumme zu suchen. Mit solchen Rückschlägen muss man in unserem Gewerbe rechnen; deshalb machte ich mir auch noch keine wirklichen Sorgen, als der Arzt ins Telefon schrie: "Ich werde Sie verklagen! Sie hören von mir! Dann wird eine ganze Lawine ins Rollen kommen. Ganz sicher bin ich nicht Ihr einziges Opfer...!"
Am Nachmittag kam dann tatsächlich eine Lawine ins Rollen, wenngleich von einer ganz anderen Seite. Ich hörte es in den Nachrichten: "Neue Steuer-CD der Schweizer Bank 'Uni-Credit' von deutschen Behörden aufgekauft! Zweihunderttausend Steuersünder müssen mit Entdeckung und Anklage rechnen! Rechtzeitige Selbstanzeige wird nicht mehr akzeptiert...!"
Die 'Uni-Credit' war meine Schwarzgeld-Bank! Ich hätte es ahnen müssen: Irgendwann werde auch ich daran glauben. 'Der Krug geht so lange zum Brunnen...'
Eventuell kommt jetzt nur noch eine schnelle Flucht ins Ausland in Frage, bevor mein potemkinsches Dorf völlig zusammenbricht. Mit dem Geld irgendwo ein neues Leben beginnen! Bahama? Brasilien? Südsee? Die Seele und die Beine baumeln lassen und das Leben genießen!? Ausstieg und Rente mit Mitte Dreißig? Aber alleine...? Die Frau hatte es mir angetan. Ich war ihr bereits mehr verfallen als ich wahrhaben wollte. Ich werde in Ruhe mit ihr reden. Sie wird erkennen, dass wir gemeinsam ein unschlagbares Team sind...
Aber sie ließ sich den ganzen Tag nicht blicken, war weder telefonisch noch unter ihrer angegebenen Adresse erreichbar und auf meinem Handy kam die SMS: "Wurde überraschend gebucht! Muss für zwei Tage nach Zürich! Ich umarme dich!" Was meine Zweifel noch steigerte und so fuhr ich zu jenem Hotel, wo sie sich möglicherweise mit ihren Freiern trifft und an diesem Tag um Vier angeblich mit diesem Zocker von Ex verabredet ist. Meine berufliche Situation sah seit heute morgen nicht besonders rosig aus und mein Gemütszustand war - gelinde gesagt - angespannt; jetzt wollte ich retten, was zu retten war. Vorausschauend packte ich das Richtmikrofon, die Wanzen und die anderen technischen Utensilien ein, die ich normalerweise zum Ausspionieren meiner Kunden benötige, und fuhr los...
*
An der Hotelrezeption klappte der Trick wie in allen renommierten Hotels mit großem Namen. Es ist eine Frage des selbstsicheren Auftretens und des Outfits. Ich fummelte an meiner Boss-Krawatte und legte das Armani-Köfferchen sowie den üppigen Blumenstrauß auffällig sichtbar auf den Empfangstisch. Zuvorkommend lächelnd kam mir der Empfangschef entgegen.
"Guten Tag", sagte ich freundlich und lächelte weltmännisch zurück. "Ich bin Herbert von Bergström!" Damit legte ich eine Visitenkarte auf das Köfferchen. "Ich bin mit meinen Freunden hier im Haus verabredet". Ich nannte die Namen der beiden. "Hat einer von beiden schon eingecheckt? Dann lassen Sie die Blumen aufs Zimmer der Dame bringen und geben Sie mir nach Möglichkeit das Zimmer gleich nebendran. Und..." Ich zögerte einen Augenblick. "Ich möchte dann auch gleich für heute Abend drei Plätze im Restaurant reservieren...". Der Empfangschef tat beeindruckt und blätterte geschäftig im Reservierungcomputer.
"Die Dame hat bereits eingecheckt und die Herrschaften sind auf dem Zimmer. Soll ich Sie anmelden, Herr von Bergström?" Er griff zum Telefon.
Ich tat, als überlegte ich einen Moment und sagte dann: "Ach lassen Sie mal. Ich überrasche sie selbst! Und die Blumen nehme ich am besten auch mit. Sie wissen ja...!" Ich lachte ein verschmitztes Lausbubenlächeln und er lächelte verständnisvoll, aber diskret zurück.
"Wie Sie wünschen, Herr von Bergström!" Der Mann reichte mir meine Zimmerschlüssel mit einer Pokekerface-Miene, wie ich es nicht anders in einem solchen Hotel erwartet hatte. Ich nahm mein Armani-Köfferchen und den Blumenstrauß vom Empfangstisch und fuhr mit dem Aufzug in den zehnten Stock. Im Zimmer überprüfte ich die Fenster und den Ausgang zum Balkon, untersuchte das Badezimmer und machte mich ohne Verzögerung an die Installation meiner Präzisionsgeräte.
*
Noch wusste ich nicht, wer der Kerl auf ihrem Zimmer war. War es ihr Ex, dann hing meine Reaktion vom Inhalt ihrer Unterhaltung ab. Vielleicht hat sie nur eine Art Abschlussunterredung mit ihm und wollte die Situation mit einer endgültigen Aussprache bereinigen?! Das würde mir viel Arbeit ersparen und der Weg wäre frei für eine gemeinsame Zukunft im Ausland.
War es aber ein Freier, dann stimmte die Andeutung ihres Ex, sie würde nicht als Fotomodel arbeiten, sondern als Edelnutte durch die Lande und die Hotels ziehen. Aber was hätte ich ihr in diesem Fall vorzuwerfen? Sie hätte mich schließlich nicht betrogen, wenn sie sich das Geld bei den Geldköpfen holt, die ohnehin zu viel davon haben? Ich mache es doch auch nicht anders! Wir sind eben alle Spieler!
Ich konnte der Geschichte sogar eine positive und für mich angenehme Seite abgewinnen: Auch in Brasilien oder auf den Bahamas würde es Geld-Adel geben, der sich eine Liebesstunde mit einer attraktiven blonden Deutschen eine Kleinigkeit kosten lassen würde. Bei IHREN erotischen und MEINEN organisatorischen Fähigkeiten wären wir das ideale Gespann. Und bei diesen Gedanken sah die Zukunft bei weitem nicht mehr so trübe aus wie heute morgen. Ich setzte die Kopfhörer auf, betätigte die Feinabstimmung meines Empfängers und vernahm im Nebenzimmer Geräusche...
*
"Nein!" hörte ich ihre Stimme sagen. "Nein! Ich werde mich von niemanden mehr manipulieren und beherrschen lassen! Auch von dir nicht mehr! Entweder du akzeptierst in Zukunft meine Bedingungen, oder wir gehen endgültig getrennte Wege! Ich brauche niemanden mehr!" Ihre Stimme klang sachlich und bestimmt und hatte jede Unsicherheit verloren. Es lag noch nicht einmal eine Drohung in ihrer Stimme; es war einfach nur eine nüchterne Feststellung, die keinen Zweifel aufkommen ließ.
Ihr Gegenüber schwieg noch immer. Angespannt achtete ich auf jedes Nebengeräusch. Dann hörte ich ihr Lachen. Sie war es unverkennbar. "Und wenn du dir einbildest, du hättest hier noch das Sagen", warnte sie katzenfreundlich, "nur weil du ab und zu mal mit mir ins Bett darfst, auch da hast du dich getäuscht! ICH sage dir, wann ich Lust auf dich habe! Nicht umgedreht! Wenn du Macho das nicht einsiehst, solltest du lieber dich gleich anziehen und dieses Zimmer verlassen!" Dann schien sie ihn freundlich zu umgarnen, denn ich hörte wie sie sagte: "Komm' mein Lieber! Zieh' nicht so eine Schnute! Man kann nicht immer zu den Siegern gehören! Jetzt bin ich einmal dran...!"
Welcher Film lief hier ab, überlegte ich. Und wer war die andere Person in dem Zimmer? Meine Schläfen begannen zu hämmern. Warum hatte ich plötzlich das Gefühl, als würde mir Sand durch die Finger rinnen...
*
"Du bist ganz schön frech geworden...!" sagte eine Männerstimme. Jetzt erkannte ich den Ex. Endlich war das wenigstens geklärt. Aber die Geschichte blieb verworren, denn ich durchschaute noch nicht das anscheinend von der Frau eingefädelte Spiel. Hatte ich in den vergangenen drei Monaten geschlafen? Oder war sie die bessere Spielerin?
"Ich hatte in den letzten Wochen gute Lehrmeister!" hörte ich sie sagen. "Verdammt gute Lehrmeister...!"
"Und wer oder was gibt dir die Gewissheit, dass du damit bei mir durchkommst?" fragte der Ex mit einem warnenden Unterton. "Du weißt, dass ich sehr, sehr ungemütlich werden kann...!"
Für einen Moment war Schweigen. Dann sagte sie langsam und fast so leise, dass ich es nur schwer verstehen konnte: "Weil ich mich nicht mehr erpressen lasse! Und weil du zwar nur ein kleiner Zocker, aber trotzdem nicht ganz auf den Kopf gefallen bist. Du wirst den Ast nicht absägen, auf dem du sitzt, und die Henne nicht schlachten, die dir ab und zu ein paar Eier legt! Denn letzten Endes ist dir der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach! Oder? Hinter deinem Macho-Gehabe verbirgst du nur deine Schwächen! Du wirst mir ab heute zur Verfügung stehen, wenn ICH dich brauche!"
"Du willst also, dass ich den Aufpasser für dich spiele, ohne dass ich die üblichen Rechte eines Beschützers habe?" Die Stimme des Ex klang ungläubig. Bei dem Gedanken an eine neue Zuhälterrolle musste ich für eine Sekunde schmunzeln, hörte aber weiter aufmerksam zu.
"Die üblichen Rechte?!" fragte sie mit einer Mischung aus Spott und Ironie. "Wovon träumst du eigentlich nachts? Dein einziges Recht besteht darin, mich dann zu befriedigen, wenn MIR danach ist. Und ansonsten bist du gelegentlich für meinen Schutz zuständig, wenn ich einmal jemand benötige, der heikle Angelegenheiten für mich erledigt! Dafür bezahle ich dich! Das ist eine klare geschäftliche Vereinbarung! Kapito?"
"Und was ist mit dem anderen...?" Wahrscheinlich meinte er mich damit. "Welche Rolle spielt der in deinem Spiel?"
Jetzt spitzte ich die Ohren. Selbst in meinem Kopfhörer hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
"Der?" Sie lachte. "Das weiß ich noch nicht!" Ihre Stimme klang jetzt langgezogen und ruhig. "Ich habe viel von ihm gelernt! Wahrscheinlich brauche ich ihn noch eine Weile, aber dann werde ich ihn abservieren! Möglicherweise kannst du mir dabei helfen! Beruflich steht er auf wackligen Beinen und er wird eines Tages abstürzen! Aber ich brauche keine Verlierer mehr in meinem Leben!" Ihre Stimme klang kalt, nüchtern, sachlich und ohne Emotionen. Ich glaube, es war diese unerwartet nüchterne Kälte, die mich ausrasten ließ. Wie kann ein Mensch nur so unverschämt kalt und berechnend sein? MICH abservieren...? ICH, ein Verlierer...? Gerade jetzt in dieser delikaten Situation, wo ich mein Geld, meine Hoffnung und meine gesamten Zukunftspläne wie niemals zuvor auf diese Frau gesetzt habe?! Die spinnt wohl, diese Tussi...
Ich warf meine Gerätschaften hin, stürzte aus dem Zimmer, klopfte an die Nebentür und als jemand "Jaa?" rief, zwang ich mich für eine Sekunde zur Ruhe und sagte "Room-Service" und mit pochenden Schläfen und voller Wut wartete ich, dass jemand die Tür öffnen würde...
*
Als der Kerl dann nur mit einer Unterhose bekleidet in der halboffenen Tür stand, erkannte ich seine erstaunten Augen; ich gab ihm einen wütenden, kräftigen Stoß, stürmte mit den Worten "weg da, du Schwein!" an ihm vorbei, direkt auf den Balkon, an dessen Geländer die Frau im strahlenden Sonnenschein stand und mir mit aufgerissenen Augen entgegen sah. Sie trug schwarze Desous und über den Schultern ein durchsichtiges Negligé. Sie hatten es also bereits vor der "Aussprache" miteinander getrieben. Sozusagen als Vorschusszahlung. Diese Heuchlerin! Wutentbrannt stürzte ich mich auf die Frau und griff nach ihren Schultern. Unter uns gähnten zehn Stockwerke...
*
Bevor ich sie zu fassen bekam, schrie sie auf, duckte sich unter mir weg und ließ sich auf den Boden fallen. Als ich erneut nach ihr greifen wollte, spürte ich in meinem Rücken die Fäuste des Kerls; sie trommelten wild auf meinen Hinterkopf, dann hörte der Schmerz auf, der Kerl riss mich mit beiden Armen hoch, nun standen wir auf gleicher Höhe keuchend und umschlungen vor dem Balkongeländer, blickten in die Tiefe, er bekam mich am Hals zu fassen, würgte mich, ich bekam kaum noch Luft zum Atmen, beide hingen wir über dem Geländer und ich hatte nur noch den einen Gedanken: "Er oder ich..."
*
In Bruchteilen von Sekunden geschah dann, was auch die besten Kriminalermittler und Gerichte nicht mehr hundertprozentig aufklären können: Ich konnte mich befreien und wegducken und der Kerl bekam das Übergewicht; ich hörte Marions Schrei und konnte mit aufgerissenen Augen sehen, wie der Kerl die zehn Stockwerke nach unten segelte und unten gekrümmt auf den Gehwegplatten lag. Die ersten Zeugen hatten sich sofort angesammelt und schauten gestikulierend nach oben.
"Bist du denn völlig irre geworden?" Die Frau sah mich an und ihre Stimme zitterte. "Das war Mord!" zichte sie und wiederholte laut: "MORD!"
"Aber", stotterte ich verstört. "Aber..., es war ein Unfall! Ein Unfall! Das hast du doch gesehen! Das kannst du doch bezeugen...!?"
"Ich habe nur gesehen, wie du erst mich angegriffen und dann ihn vom Balkon heruntergestoßen hast, als er mir zu Hilfe kam. Versuchter Mord und Mord...!"
"Aber..., das kannst du mir doch nicht antun...?!"
"Was ich kann oder nicht kann, darüber diskutiere ich nicht!" sagte sie schroff, ging ins Zimmer, griff zum Handy und wählte...
*
Am nächsten Tag lauteten die dicken Schlagzeilen der Boulevard-Zeitungen: "Eifersuchtsmord in Nobel-Hotel!" und "Affekthandlung oder geplanter Mord im Zuhältermilieu?" Am Tag darauf kamen gefährliche Einzelheiten: "Täter ist polizeibekannt! Seltsame Dreiecksbeziehung endete mit Mord!" Die Vorverurteilungen waren schon schlimm genug, aber noch hatten die Geier nicht alles herausgefunden. Doch bereits zwei Tage später kam die Lawine ins Rollen: "Eifersuchtsmörder jetzt auch unter Betrugsverdacht! Er nutzte nicht nur Frauen aus, sondern ist auch in Immobilienbetrug verstrickt! Geschädigte erheben Vorwürfe!" Dann der Hammer am nächsten Tag: "Hat Hotel-Mörder Schwarzgeldkonten auf Schweizer Bank?" Jetzt war die Kacke erst richtig am Dampfen.
Mit Marion konnte ich nicht reden. Was hätte es auch genutzt? Bei den Polizeiprotokollen war sie ohnehin bei ihren Aussagen geblieben: "Mordanschlag aus Eifersucht!"
Im Hotelzimmer, kurz bevor sie die Polizei anrief und das aufgeschreckte Hotelpersonal bereits im Zimmer stand, hatte ich zu ihr gesagt: "Du hast ein perfides Doppelspiel inszeniert! Und uns gegenseitig ausgespielt! Du bist echt ein Monster!"
Sie hatte lächelnd und flüsternd geantwortet: "Ich hatte einen guten Lehrmeister! Kannst du dich noch an deine Erläuterungen über 'Manipulation und Beherrschung' erinnern? Nicht schlecht, deine Theorie! Ich wollte sie einmal in der Praxis erproben. Es hat geklappt..!"
Aber vom Hotelpersonal kann sich niemand an diesen Satz von Marion erinnern. Und so sitze ich jetzt hier in der Untersuchungshaftanstalt Moabit in meiner Einzelzelle und denke über die Schlechtigkeit der Menschen nach. Ich habe mir Papier und Stift geben lassen und versuche alles aufzuschreiben und meine Verteidigung vorzubereiten. Wahrscheinlich wird es einen Geschworenenprozess geben, und dann will ich noch einmal mein ganzes Können aufbieten, die Geschworenen zu manipulieren und von meiner Unschuld zu überzeugen. Denn eigentlich bin ich unschuldig und nur Opfer geworden, oder...?
*
 
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Ja, Doska, zu der Zeit als die "Pistole in der Handtasche" auftauchte, wäre es noch möglich gewesen, eine Spielzeug-Pistole und Kinder in die Handlung einzubauen. Das wäre dann zwar eine völlig andere Geschichte geworden, wäre mir aber egal gewesen, so lange die Story weitere Überraschungsmomente beinhaltet hätte. Nachdem sich die Geschichte aber mit einer "richtigen Pistole" entwickelt hatte, wollte ich auch keine Kinder mehr, sondern "ambivalente Charaktere", die in Folge ihrer Manipulationen zum Spielball werden (und es in ihrer Überheblichkeit und Selbstüberschätzung nicht bemerken). Wobei sich jede Lebenssituation ins skurrile Gegenteil des eigentlich Erwarteten entwickeln kann, wie ja die einzelnen Handlungsstränge aufzeigen.

Übrigens: Ich habe das Ende erst heute Abend in letzter Minute "erfunden". Vorher war mir jedes nächste Kapitel und jeder nächste Handlungsstrang unbekannt bis zum Moment des Schreibens. Es war also keine langfristige "Gesamtplanung", sondern jede Idee und jede Wandlung kam mir erst unmittelbar beim Schreiben. Das zeigt, wie sehr man eine Geschichte so, oder so, oder noch ganz anders schreiben und entwickeln könnte.
Danke für deine Anmerkung.
Michael


Michael Kuss (25.11.2012)

Habe deine Story nun erst zu Ende gelesen und muss sagen spannend, sehr lebendig und mit einem Augenzwinkern geschrieben. Hat mir sehr gefallen. Da du sie erst als Weiterschreibstory veröffentlicht hattest, kann ich dir nun verraten, wie ich sie fortgesetzt hätte: Bei mir hätte die Frau eine Spielzeugpistole in der Handtasche gehabt, die man auf den ersten Blick natürlich nicht als solche hätte erkennen können. Ich hätte versucht meinen Teil der Story so zu gestalten, dass schließlich erklärt würde, weshalb sie eine solche Spielzeugpistole besitzt und Kinder hätten schließlich dabei mitgewirkt.
Ich glaube, eine solche Wendung hätte dir nicht gefallen. Gut, dass du sie alleine weitergeschrieben hast.


doska (25.11.2012)

Da einige Lebensabschnitte etlicher Menschen aus "Spiel" und "Manipulationsversuchen" bestehen, könnte man natürlich auch diese Geschichte weiterschreiben und immer wieder neue Handlungsstränge einbauen. Denn eigentlich endet eine Geschichte niemals, sondern geht in neue Geschichten über. Ich habe aber bewusst diese Geschichte über "Spiel und Manipulation" und über die "Schuldfrage" hier enden lassen und werde sie nicht weiterschreiben.
Michael


Michael Kuss (25.11.2012)

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