Es war fast fertig. Ich musste nur noch einen oder zwei Striche sprayen, dann wäre es perfekt. Das heist, so perfekt, wie die anderen Graffiti, die ich mit der Zeit alle wieder übermalt habe.
Der Mond schien wunderbar hell in dieser Nacht und die Sterne funkelten, als hätte jemand kleine Diamanten an den schwarzen samtigen Nachthimmel gehängt, die dort im Mondenschein nun ihren ganz eigenen, funkelnden Tanz vollführten.
Ich summte leise irgendeine Melodie vor mich hin, während die letzten Details dem Bild hinzugefügt wurden. Sobald ich fertig zu sein glaubte, machte ich ein paar Schritte nach hinten, um alles in Gänze betrachten zu können.
Da hörte ich sie. Die Schritte. Anfangs Nur ganz leise, doch sie kamen deutlich auf mich zu. Direkt auf mich. Und sie kamen aus der Wand. Hinter dieser wand war seit dieser beschissenen Mutprobe, bei der ich mein linkes Auge, so wie die Erinnerung an alles, was in diesem Haus passiert war, verlor, dafür jedoch eine 13 Centimeter Lage Narbe, die quer über mein Gesicht verläuft, bekommen habe, keiner mehr gewesen.
Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass es doch jemand wagen würde, sich dort hinein zu begeben. Alle im Dorf kannten die Geschichte. Und außerhalb hieß es, ich wäre bei dem Autounfall, bei dem meine Eltern umkamen so sehr verletzt worden. Seit diesem einen Tag hasse ich Mutproben.
Die Schritte wurden immer lauter, bis sie von der Kirchenuhr unterbrochen wurden. In dem Moment, in dem der zwölfte Schlag sein Ende fand, schob sich eine Wolke vor den Mond und es wurde schlagartig stockdunkel. Und totenstill. Keine Schritte. Absolute Stille umgab mich. Langsam machte sich eine klamme Kälte in meinem Rücken breit und befiel innerhalb weniger Sekunden meinen gesamten Körper. Ich hatte ohne es zu merken, die Luft angehalten und wollte soeben erleichtert ausatmen und mich mit dem Gedanken anfreunden, dass ich mir das mit den Schritten nur eingebildet hatte, als ein markerschütternder Schrei aus der Wand drang. Ich ließ vor Schreck die Dose fallen und wollte sofort wegrennen, doch meine Füße schienen am Boden festgeklebt zu sein und rührten sich keinen Millimeter von der Stelle.
Ich entsann mich meiner Taschenlampe und hielt damit auf die Wand. Was sich mir dort offenbarte, war nicht weniger gruselig. Die neu aufgetragene Farbe veränderte ihre Form und wurde zu bunten Buchstaben. Insgesamt sah es so aus:
Rot: I, T, B, E und T
Gelb: I, M und R
Schwarz: I, D, A, L und N
Blau: F, I, L und H.
LINDA, HILF MIR! BITTE! Das war zu viel. Irgendwie schaffte es mein restlicher Körper, meine Füße zur Flucht zu überreden und das Taten sie dann auch. Leider etwas zu schnell und unbedacht, weshalb ich den Boden unter den Füßen verlor und in die Tiefe stürzte. Eigentlich müsste ich nach etwa einem Meter auf den Gleisen landen, doch da war nichts. Absolut nichts. Ich stürzte immer weiter in die Tiefe und es wurde immer und immer dunkler um mich herum.