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4 Seiten

Abgefangen

Fantastisches · Kurzgeschichten
Das Triebwerk meines Schiffes heulte auf, als ich den Hebel vorwärts bewegte. Ich hatte vor kurzem meine Mission mit einem Bilderbuchstart vom internationalen Raumhafen der neuen Vereinigten Welt-Organisation begonnen. Mein Raumschiff war das erste von zwei Schiffen, die sich auf den Weg gemacht hatten, ein vor kurzem geortetes unbekanntes Raumschiff abzufangen. Man sagt heute nicht mehr zerstören, heute nennt man so etwas "Abfangen". Egal, das Ergebnis ist das Gleiche. Das Schiff, das nach mir startete war eine Art Ernter, im Stande, ein flugunfähiges Schiff in Schlepp zu nehmen oder auch Trümmer eines zerstörten Schiffes zu bergen.
Ich saß in einem bewaffneten, wendigen Kriegsschiff, mit den neuesten Waffen an Bord. Von den Waffen waren einige noch in der Erprobung. Welche Auswirkungen das Abfeuern einer dieser Waffe haben konnte, darüber existierten zum Teil nur theoretische Hinweise einiger Gelehrter. Gelehrte, pah. Ich mit meinem Erbsenverstand sehe die Probleme der Welt deutlicher, als das diese "Gelehrten" tun. Sie versuchen jedes Problem nur durch neue und effektivere Waffen in den Griff zu bekommen. Aber, warum wir auf der Erde in Glaskuppeln hausen, warum Wasser teurer ist als jedes Edelmetall, warum die Weltbevölkerung Jahr für Jahr kleiner wird, warum es fast einmal die Woche gewaltige Stürme und Unwetter gibt, warum das Leben ausserhalb der Glaskuppeln nicht mehr zu kontrollieren ist und die Lebewesen außerhalb der Kuppeln mutieren, DAS interessiert die Gelehrten doch nicht. Und die Politiker der neuen Welt-Organisation auch nicht.
"Unbekanntes Schiff jetzt in Scanner-Reichweite" meldete sich der Bordcomputer zu Wort. Ich schaltete die Scanner ein. Das fremde Schiff war immer noch sehr weit entfernt. Auf einer Konsole vor mir blinkten ein paar nebensächliche Meldungen auf. "Scanner-Abtastung beendet" meldete sich der
Bordcomputer wieder. "Ergebnis der Abtastung: keine Anzeichen von Leben an Bord, keine waffenähnlichen Strukturen entdeckt". Ich meldete das Ergebnis des Scans an die Kommandozentrale. Es kratzte in meinem Kopfhörer: "General Kronn hier, eliminieren Sie das fremde Raumschiff. Das die Scanner keine Waffen gefunden haben bedeutet noch lange nicht, dass nicht doch Waffen an Bord sind, die nur nicht zu den uns bekannten Strukturen passen. Ich wiederhole, eliminieren Sie das Schiff." Ich schaltete die Waffenphalanx ein und wählte die guten, altmodischen Space-to-Space-Raketen aus und aktivierte die automatische Zielerfassung. Mein Head-Up-Display veränderte sich in den Angriffsmodus und ein Fadenkreuz tauchte auf. Das leise Piepen in meinem Kopfhörer signalisierte mir, fremdes Schiff in Waffenreichweite. Ich drückte vier mal kurz hintereinander auf den Auslöser auf dem Bedienfeld. Rechts und Links von meiner kleinen Glaskanzel schossen vier Raketen vorbei. Das sollte mehr als ausreichen, um das kleine Schiff in tausend Stücke zu zerreißen. Kurz bevor die Raketen bei dem fremden Schiff hätten Schaden anrichten können, meldete sich der Bordcomputer wieder: "Raketen wurden zerstört". Ich mochte den Bordcomputer mit seiner künstlichen Stimme und den nüchternen Mitteilungen nicht besonders. Jetzt hasste ich ihn. Es kratzte wieder in meinem Kopfhörer: "General Kronn nochmal, Sie sollen das Ding zerstören, egal wie. Das ist ein Befehl!". Ich wählte die Nuklear-Rakete aus. Das sollte das andere Schiff doch schon eher beeindrucken. Ich hörte wieder das Piepen im Kopfhörer und drückte wieder den Auslöser. Die Nuklear-Rakete zog, etwas langsamer als die Space-to-Space-Raketen, an meiner rechten Seite vorbei. Wieder meldete sich der Bordcomputer, kurz bevor die Rakete im Ziel hätte einschlagen sollen: "Rakete wurde zerstört. Achtung, nukleare Trümmer rasen auf uns zu." Ich schalte den Defensiv-Computer zu, der Ausweichmanöver leitet und ein kleines Lasergeschütz über der Pilotenkanzel automatisch steuert. Ich merkte plötzlich, wie Schweiß an meinem Körper herunterlief. Wenn eines dieser Trümmerteile die Glaskanzel trifft, bin ich ein Fall für die Spätnachrichten. Der Defensiv-Computer machte seine Arbeit hervorragend, es
war zwar ein ziemlich heißer Ritt, als das Schiff nach links Ausbrach, dann einen Schlenker nach unten vollzog, um Sekundenbruchteile später wieder einen Haken nach oben zu machen. Ohne meine Sicherungsvorrichtungen, die mich zuverlässig in meinem Sitz gehalten haben, hätte ich nach diesem wilden Ritt nur noch Ähnlichkeit mit Geschnetzeltem gehabt. Während des gesamten "Rittes" feuerte das Lasergeschütz über der Pilotenkanzel kleine, häßliche, giftgrüne Todesstrahlen auf Trümmer ab, die in kleinen Explosionen pulverisiert wurden. Ich schaute auf mein verbliebenes Waffenarsenal. Hm, nur noch ein paar kleine Raketen und zwei unerforschte Waffen: eine Energyzer-Rakete und eine Weltensturm-Rakete. Die kleinen Raketen konnte ich vergessen. Die große Ausführung dieser Rakete hatte schon nicht gefunzt. Dann konnte ich mir die kleinen erst recht schenken. Also, welche der beiden unerforschten Waffen? Mir lief ein Schweißtropfen ins Auge. Mist! Ich entschied mich dafür, jetzt die Energyzer abzufeuern. Die Energyzer ist eine energieverzehrende Waffe. Trifft sie auf einen energetischen Schutzschild, wird dieser Schild geschwächt und im Idealfall zerstört. Wie ich bereits sagte, so lautet die theoretische Spezifikation dieser Waffe. Getestet hat sie bis jetzt noch niemand. Wieder das Piepen, wieder der Auslöser, wieder schoß eine Rakete an meiner Glaskanzel vorbei. Und wieder meldete sich kurz vor dem Einschlag der Rakete der Bordcomputer: "Rakete hat den Schutzschild zerstört". Meine innere Anspannung löste sich etwas - also war das fremde Schiff doch nicht unzerstörbar. Es kratzte in meinem Kopfhörer: "General Kronn hier. Geben Sie dem fremden Schiff den Todesstoß."
"Womit, Sir?" fragte ich in mein Sprechgerät.
"Laut Computer haben Sie doch noch die Weltensturm-Rakete. Feuern Sie sie ab."
Meine Hand glitt zum Terminal, um die Weltensturm-Rakete als nächste Waffe zu aktivieren. Ich bemerkte, dass meine Hand zitterte. Dreck! Laut theoretischer Spezifikation dieser Waffe, löst eine Weltensturm-Rakete eine Druckwelle wie ein kleiner, explodierender Planet aus. Ich überlegte. Sollte ich die Rakete wirklich abfeuern? "Schießen Sie, schießen Sie endlich!" drang die Stimme des Generals aus dem Kopfhörer. Reflexartig zuckte meine Hand zum Auslöser und die Rakete schoß an mir vorbei. Nein! Was hatte ich jetzt gemacht? Es war zu einfach zu sagen, ich wäre einem Befehl gefolgt. Ich hatte mich durch das jahrelange Training zu einer funktionierenden Maschine entwickelt. Wenn mir jemand sagte, ich solle eine Rakete abfeuern, tue ich das, ohne darüber nachzudenken. Was für ein Mensch bin ich geworden? Was hatte ich getan? Der Schweiß lief mir aus allen Poren. Ich hatte das Gefühl, ich hätte die Rakete auf mich selbst abgefeuert und erwarte jetzt mein Ende. Mein Herz pochte, es dröhnte überlaut in meinen Ohren. Tränen liefen mir übers Gesicht. Was hatte ich nur getan? Wieso? Der Bordcomputer vermeldete nüchtern: "Schiff wurde zerstört". Warum hatte ich das getan. Ich hasste mich. Ich hasste unser System. Ich hasste den General. Ich hasste die Gelehrten. Ich hasste die Politiker. Ich ... wurde durch den Borcomputer unterbrochen: "Achtung: Druckwelle breitet sich aus". Das Schiff vollführte Bocksprünge, der Bordcomputer fiel aus, ich schlug mit meinem Kopf zweimal hart gegen Teile der Schiffsverkleidung. Nicht hart genug, denn ich überlebte diese Druckwelle.
Ein Triebwerk war hin, die Elektronik war ausgefallen und das kleine Lasergeschütz über der Pilotenkanzel war abgerissen. Die Steuerung bekam ich mit dem Notstrom wieder in Gang. Der Bordcomputer war aber nicht mehr zu aktivieren, worüber ich nicht ernsthaft enttäuscht war. Der Ernter zog, ebenfalls angeschlagen, an mir vorbei und versuchte, Trümmerteile des fremden Raumschiffes zu bergen. Aus den Trümmern ließen sich sicher Rückschlüsse auf fremde Technologien ziehen. Vielleicht konnte man damit noch bessere Waffen entwickeln. Der Ernter fand nur wenig brauchbare Teile. Bei der Explosion, die ich ausgelöst hatte, war das fremde Schiff nahezu vollständig pulverisiert worden. Die wenigen Teile, die der Ernter einsammelte, wurden sofort von einem Computer untersucht und ausgewertet. Es kratzte wieder in meinem Kopfhörer: "Hier ist der Pilot des Ernters. Wir haben in den Trümmern Hinweise darauf gefunden, dass uns die Fremden mit Technologien versorgen wollten, mit denen wir unsere Erde hätten retten können." Ich lachte laut auf. Sie wollten uns helfen und wir haben sie zerstört. Nein, ich habe sie zerstört. Wir sind der Abschaum des Universums. Das einzige, was wir wirklich gut können, ist andere zu vernichten. Wieder liefen mir Tränen übers Gesicht. Es kratzte wieder im Kopfhörer: "General Kronn hier: eine gigantische Druckwelle rast auf die Erde zu! Was haben Sie getan? Wenn Sie je lebend zurückkommen, stelle ich Sie vor ein Kriegsgericht."

Die Druckwelle traf die Erde. Die Umlaufbahn der Erde wurde verändert. Es gab kürzere Sommer, dafür wurden die Winter kälter, länger und härter. Die Zahl der Menschen auf der Erde reduzierte sich weiter. Die Mutationen nahmen zu. Einige Glaskuppeln wurden zerstört. Die Abschußrampen für die Raketen wurden vollständig zerstört. Es gab viele, viele Tote und Verletzte auf der Erde.

Als ich zurückkam, zeichnete man "meine hervorragende Leistung", mit einem Orden und einer besseren Bezahlung aus und feierte mich als internationalen Retter der Welt.

General Kronn, der den Abschuß der Rakete befohlen hatte, musste sich vor einem Gericht für den Tod unschuldiger Menschen verantworten. Er bekam eine Geldstrafe und wurde degradiert, woraufhin ich meinen Job gekündigt habe.
 
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Kommentare  

Der Hammer! Diese Geschichte ist wirklich spannend aber sie regt auch zum nachdenken an. Da kann ich nicht mithalten, irgendwie sind meine Beschreibungen von Raumschlachten nicht so bildhaft und das Niveau meiner Story bleibt eher unteres mittelmaß. Vielleicht kannst Du mir ein paar tipps geben was ich tun soll um meine Fantasy-Reihe spannender und besser zu machen. Füe einfach menem Beitrag:
Aufruf zum Einsenden von Vorschlägen und Wünschen für zukünftige Teile der Story um "Sebastian und seine Abenteuer auf dem Raumschiff Far Horizon" einige Vorschläge hinzu wenn Du welche hast. Vielen Dank im Voraus und für die spannende Geschichte.


Andreas Kretschmann (03.12.2012)

Feine Geschichte !
Sarkasmus, Zynismus, Gesellschaftskritik verpackt in ein futuristisches Szenario.
Japp, das ist es.
Goil !!


schwaen (27.12.2001)

bist du nicht der aus dem c64 PHUN magazin?

rotzbengel (27.12.2001)

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