42


4 Seiten

Das Gesetz

Experimentelles · Erinnerungen
Weißes Haus, Washington D.C., 2. April 2002, später nachmittag. Präsident George W. Bush hat ein Treffen mit seinen Beratern einberufen. Die Berater des Präsidenten sitzen bereits um den großen Tisch in einem der Sitzungs-säle herum, als 'Mr. President' den Raum betritt. Die Bodyguards bleiben an der Tür stehen, während sich der Präsident rasch zu seinem Platz begibt und sich in den großen, schweren Ledersessel setzt.

"Meine Herren, guten Tag. Ich sehe mit erschrecken, dass sich ein Großteil der Bevölkerung gegen die Verrohung unserer Kinder und die zunehmende Gewaltbereitschaft quer durch alle Bevölkerungsschichten ausspricht. Wenn wir nicht rasch Gegensteuern, besteht die Gefahr, dass wir nicht wiedergewählt werden." sagt Mr. Bush. "Ich bitte um Vor-schläge, wie wir unsere Kinder besser schützen können und wie wir wieder mehr 'Miteinander' unter den Menschen unseres Landes erreichen können. Ich bitte dabei zu bedenken, dass wir keine schärferen Waffengesetze durch-setzen können. Unsere Partei ist, wie sie alle wissen, von den Spendengeldern der Rüstungsindustrie abhängig. Auch darf jede Maßnahme, die wir zu diesem Thema entwickeln, kein Geld kosten. Der Haushalt ist bereits durch unser Raketenabwehrsystem, die in der Vorbereitung befindlichen Missionen zum Mars und die Bekämpfung des internationalen Terrors überstrapaziert."

"Wie wäre es, wenn wir die Strafen für Gewaltverbrechen heraufsetzen würden ?" fragt Mr. Campbell.

"Die Gefängnisse sind schon überfüllt. Höhere Strafen würden mehr Sträflinge bedeuten. Und das würde den Neubau weiterer Gefängnisse nach sich ziehen. Weder der Bau, noch der Unterhalt, geschweige denn die Personalkosten sind zur Zeit in unserem Budget vorgesehen. Ich bitte um andere Vorschläge." schmettert der Präsident den ersten Vorschlag ab.

"Wir könnten eine Werbekampagne für mehr Toleranz im Fernsehen senden." schlägt Mr. Brown vor.

"Zu teuer." wiegelt der Präsident ab.

"Nein, Sir, nein!" widerspricht Mr. Brown. "Dies könnten wir so drehen, dass diese Kampagne zu einem bedeutenden Teil durch Unicef oder die vereinten Nationen finanziert werden würde."

"Hm, okay, eine brauchbare Idee. Halten wir diesen Punkt mal fest. Weiter !" sagt Mr. Bush.

"Wir erhöhen die Benzinpreise. Mit diesen Einnahmen finanzieren wir ein landesweites Nachbarschaftshilfe-Programm, in dem durch Werbung, Vorträge, Flugblätter und ähnliches die Bürger sich mit ihren Nachbarn auseinander-setzen sollen." schlägt Mr. Lom vor.

"Wenn wir die Benzinpreise erhöhen, wird die gebeutelte Autoindustrie, die sich bereits im Abschwung befindet, weiter abstürzen. Die Haushalte werden den Kauf neuer Autos hinauszögern und wir verlieren wichtige Einnahmen, die bereits fest im Haushalt eingeplant sind. Wenn sie eine andere Finanzierung dafür finden können, würde ich diesen Vorschlag unterstützen." sagt der Präsident.

"Wir könnten in dem Fall, dass eine Benzinpreiserhöhung nicht in Frage kommt, Geld aus dem Topf für Kindergärten und Schulen entnehmen." sagt Mr. Lom.

"Wir sollten von den Eltern Schulgeld verlangen. Damit würden Finanzmittel für andere, wichtigere Bereiche frei." wirft Mr. Campbell ein.

"Schulgeld - keine schlechte Idee! Mr. Campbell machen sie mir eine Aufstellung, wieviele Haushalte sich kein Schulgeld leisten können. Wenn es weniger als 20% aller Haushalte betrifft, ziehen wir das durch. Wir brauchen dringend Geld. Die Militärausgaben steigen täglich." sagt Mr. Bush. "Ein paar Dollar werden wir den Schulen für dringend notwendige Investitionen geben müssen. Und wir müssen einige Schulen in Sonderschulen umwandeln, in die nur Kinder gehen werden, deren Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können. Meine Herren, wir machen gute Fort-schritte. Notieren sie den Punkt. Weitere Vorschläge, bitte."

"Wir sollten die Vermögenden zur Kasse bitten ..." kommt von Mr. Parker.

"Sie sind wohl noch nicht lange dabei, oder ?" fragt ihn der Präsident. "Wir haben die letzte Wahl gewonnen, weil uns viele Vermögende finanziell unterstützt haben. Der nächste Vorschlag, bitte."

"Wir sollten Polizei-Beamte in die Schulen schicken, die sich mit den Kindern über Gewalt und Kriminalität unter-halten. Ihnen die Notwendigkeit von Sitte und Anstand und von guten Manieren, Respekt und Höflichkeit erklären. Damit die Kinder lernen, dass das wichtige Dinge sind, auch wenn ihre Eltern ihnen das nicht sagen." kommt ein Vorschlag von Mr. Smith.

"Hört sich gut an. Wir haben aber ohnehin schon zu wenig Beamte auf den Straßen. Außerdem glaube ich nicht, dass die Beamten in unserem Land diese Dinge kindgerecht vermitteln können. Wir sind zu sehr abgestumpft, um über solche Dinge ernsthaft mit Kindern reden zu können." sagt der Präsident.

"Wir zwingen die Fernsehsender, Gewaltbilder und Leichen aus ihren Sendungen und den Nachrichten zu streichen." sagt Mr. Darwin.

"Die Fernsehsender werden uns in der Luft zerreißen, wenn wir ihnen solche Fesseln anlegen. Ich garantiere ihnen dafür, dass wir in dem Fall bei der nächsten Wahl erst gar nicht mehr anzutreten brauchen. Die werden uns so runter-machen, dass sich niemand mehr trauen wird, uns zu wählen." sagt Mr. Bush.

"Wir verbieten den Schriftstellern, gewalttätige Geschichten und Bücher zu schreiben. Und den Verlagen ver-bieten wir, diese zu drucken. Die Menschen werden durch Literatur negativ beeinflusst. Die Autoren können auf andere Genres ausweichen, in denen sie sich entfalten könnten. Komödie statt Thriller oder Satire statt Endzeitdrama." schlägt Mr. Wagner vor.

"Ja, das scheint mir bis jetzt der vernünftigste Vorschlag zu sein. Wir erlassen ein Gesetz, dass Schriftstellern verbietet Gewalt, Mord und Totschlag, üble Umgangsformen und gleichgültiges Miteinander in ihren Werken zu beschreiben. Ja ! Bereiten sie einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor." sagt der Präsident. "Das kostet uns kaum Geld, die Schriftsteller haben keine Lobby - es ist also mit wenig Protest und Unruhe zu rechnen. Und wir ziehen damit einen Teil der 'schlechten Vorbilder' aus dem Verkehr, bevor er unsere Kinder verderben kann. Eines noch, die Boulevard-Presse ist von dieser Regelung natürlich ausgeschlossen. Die würden uns, ebenso wie die Fernseh-sender, fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel."


Gut vier Monate später tritt ein neues Gesetz in Kraft, das Beschreibungen und Erwähnungen von Gewalt, Mord und unge-hobelten Umgangsformen in Büchern und Comics unter schwere Strafe stellt.

Proteste einiger Autoren und Verlage werden von der Öffentlichkeit kaum registriert.

Die Bevölkerung erlebt die weitere Verrohung der Jugend-lichen und die weiter wachsende Gewaltbereitschaft. Die Schuld suchen die Wähler in einer verfehlten Politik des Präsidenten. Der beteuert, er habe alles in seiner Macht stehende getan, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern.

Ein Jahr später wird das Schulgeld eingeführt - rund 30% der amerikanischen Familien kann das Schulgeld nicht aufbringen und muß seine Kinder in minderwertig ausge-stattete Schulen mit demotivierten Lehrern schicken.

Die Bevölkerung wird noch egoistischer und gleichgültiger .... !
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Liest sich gut doch wo ist dort die Realsatire?

 (14.09.2004)

Ein feines Stück "Realsatire".
Leider bleibt einem in diesen absurden Zeiten das Schmunzeln im Halse stecken.


schwaen (30.03.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Die Dunkle Nacht  
The Race  
Brain-Sucker  
Atom  
Hybrid  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De