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3 Seiten

Die Dunkle Nacht

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Fasziniert schaute ich aus dem Fenster in die Nacht. Es waren unglaubliche Menschenmassen auf den Strassen unterwegs. Vom achten Stockwerk eines Wohnblocks, von dem aus ich in die Tiefe schaute, sahen die Menschen und Autos auf der Straße sehr klein aus. Es war eine ständige Bewegung unter mir, fast wie Wellen im Meer, das ich so gerne sah. Das rhythmische Kommen und Gehen der Wellen, die den Strand langsam eroberten, hatte einen beruhigenden Einfluss auf mich. Meine Gedanken schweiften ab und ich erinnerte mich kurz an meinen letzten Urlaub am Meer, wie ich mit meinen nackten Füßen durch die warmen Wellen spazierte und mich glücklich gefühlt hatte. Ich wendete meinen Blick von den Menschen auf der Straße ab und schaute zum sternenklaren Himmel hinauf, der in verschiedenen Blau- und Schwarztönen schimmerte. Ach war das ein schöner Anblick. Warum schauten wir nicht mehr zum Himmel hinauf ? Waren wir so ignorant geworden, weil er immer über uns war ?

Ich hörte die Sirene eines Streifenwagens und wendete den Blick vom Nachthimmel und von meinen trüben Gedanken ab und schaute neugierig zur Straße hinab. Weit entfernt kündigte sich durch ein schwaches, blinkendes, blaues Leuchten die anrückende Polizei an. Mit mäßiger Geschwindigkeit bog die grüne Minna um eine Hausecke und ich ergötzte mich an den beißenden, hellen Lichtern auf dem Dach des Streifenwagens, während die Sirene immer lauter in meinen Ohren pochte. Die Menschen unter mir schienen sich von dem grün und weiß gestrichenen Auto überhaupt nicht beeindrucken zu lassen. Von hier oben sah es so aus, als hätte niemand auf der Straße überhaupt Notiz davon genommen. Das geschäftige Treiben ging unvermindert weiter. Hin und wider waren hupende Autos zu hören. Kurz vor dem Wohnblock, in dem ich aus dem Fenster schaute, bog der Streifenwagen ab und fuhr in eine Richtung davon, die ich nicht mehr sehen konnte. Die Sirene wurde wieder leiser.

Die Zimmertür wurde vorsichtig geöffnet, ein Lichtstreifen fiel auf den Boden vor mir und meine Frau schaute mich durch den Türspalt an. „Wieso stehst Du denn da im Dunkeln ?“ fragte sie. Ich winkte sie zu mir und legte einen Arm um ihre Schulter. Sie folgte meinem Blick hinaus und verstand mich. Nach ein paar Minuten klopfte sie mir mit einer Hand leicht auf die Brust, das unmissverständliche Zeichen, dass sie sich kurz von meinem Arm befreien wollte. Ich ließ sie los. Sie entschwebte wieder aus dem Raum. Ich konnte ihre Schritte auf dem weichen Teppich nicht hören. Sie kam kurz darauf wieder ins Zimmer und hielt zwei Weingläser in der Hand. Als sie bei mir war, reichte sie mir eines der Gläser und wir stießen kurz die gefüllten Kelche gegeneinander. Der helle Ton schwang lange um uns herum, bis er leise verschwand. Ich schaute kurz auf mein Glas, dessen Inhalt verheißungsvoll und golden leuchtete. „Der Gute ?“ fragte ich sie und sie nickte. Ich nippte an meinem Glas und ließ die wenigen Tropfen unseres edelsten Weines, die ich genippt hatte, auf meiner Zunge liegen, bevor ich ihnen gestattete, meinen trockenen Hals hinab zu gleiten. Das Aroma war einmalig. Aber mein Hals war so ausgetrocknet, dass der Wein meinen Hals reizte und ich nur mit Mühe einen Hustenanfall unterdrücken konnte. Ich schaute das Weinglas böse an. Meine Frau, die das mitbekommen hatte, griff in meine Haare und fuhr mit ihren Fingern hindurch. Dabei lächelte sie mich so an, als wäre ich ein kleines Kind, das gerade zum ersten mal festgestellt hat, dass ein Bonbon süß und lecker schmeckt. Warum durfte man solche Reaktionen nicht zeigen, ohne so behandelt zu werden ? Dann lehnte sie sich an mich und drückte mich mit der Hand, die kein Weinglas hielt, gegen sich. Mein Groll über den Wein und die Reaktion meiner Frau war dadurch so schnell verschwunden, als wäre diese Emotion nur ein kleiner, flüchtiger Geist gewesen, der kurz bei uns in der achten Etage vorbeigeschaut hat, um festzustellen, dass er bei uns falsch ist.

Meine Frau wendete sich von mir ab und entfernte sich kaum hörbar zwei Schritte von mir. Ich schaute ihr nach. „Musst du wirklich einschalten ?“ fragte ich sie. „Es ist Zeit !“ antwortete sie und ich konnte sehen, wie unruhig sie war. Ich spürte ein leichtes, inneres frösteln. Meine Finger zitterten vor Anspannung. Dann schaltete sie den Fernseher an. Ein Nachrichtensprecher, der aussah, als hätte man eine Schaufensterpuppe fein angezogen und auf den Stuhl des Nachrichtensprechers gesetzt, schaute uns unverbindlich aus unserem Fernseher entgegen.

„ .... die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaftler sprechen dafür, dass der Asteroid JX32-S11, der bereits offiziell in Alpha-Omega umbenannt wurde, in spätestens sechzig Minuten auf die Erde treffen wird. Die neuesten Berechnungen besagen, dass aufgrund der Größe und Masse des Asteroiden ein Weiterbestand der Menschen auf der Erde kaum vorstellbar ist. Die Behörden rufen zur Vernunft auf und fordern alle Bürger auf, eine Panik zu vermeiden. Die Armee unterstützt die Polizeikräfte und die Regierung warnt Plünderer davor, dass die Ordnungshüter beauftragt wurden, sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Der Verkehr droht in weiten Teilen des Landes zusammen zu brechen. Viele Menschen befinden sich zu Fuß auf der Flucht. Es hält niemanden mehr in seiner Wohnung, in diesen letzten Minuten vor dem Weltuntergang ....“.

Meine Frau schaltete den Fernseher aus und kam zu mir zurück, ans Fenster. Wir legten die Arme umeinander in beiderseitigem Wissen, dass wir uns ewig lieben werden und schauten wieder aus dem Fenster, auf die in Panik flüchtenden Menschen unter uns.



(Hinweis: mein Wettbewerbsbeitrag zum Thema "60 Minuten bis Weltuntergang")
 
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Kommentare  

Sollte 5 Punkte heissen.

NW (13.03.2004)

Sehr schön geschrieben, mal ohne Stress und Hektik das Ende erleben. Nicht so wie in den anderen z.T. sehr guten Geschichten. Die Beiden lieben sich inniglich, das macht das Sterben leichter für die Zwei. Ist mir Punkte wert.

NewWolz (NW) (13.03.2004)

Emotional, einfühlsam, einfach schön !

schwaen (13.03.2004)

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