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6 Seiten

Hybrid

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Hallo. Ich bin Ron. Eigentlich bin ich ein Mensch-Roboter-Hybrid. Ich bin "damals" ganz normal geboren worden. Meine Mutter hat mich auch sehr lieb gehabt. An meinem sieb-zehnten Geburtstag jedoch, änderte sich alles. Die lange prognostizierte und vorhergesagte Klimakatastrophe setzte ein. Das Weltklima kollabierte. Es fegten Eisstürme über die Erde, wie es sie vorher nie gegeben hatte. Die Windgeschwindigkeiten waren enorm und ließen alle Gebäude über ein paar Metern Höhe wie Kartenhäuser zusammenbrechen. Milliarden Menschen starben an meinem Geburtstag in den Trümmern und durch die Kälte. Meine Mutter rannte mit mir aus unserem Haus, als das Dach des kleinen Häuschen weg-gerissen wurde. Draussen riß der Wind uns fast mit sich. Wir klammerten uns an allem fest, was nicht fortgerissen worden war. Der scharfe Wind trieb einem das Blut aus Gesicht und Händen. Die eisigen Temperaturen brachten uns fast um. Als der Sturm endlich etwas an Kraft verlor, kurz nach dem wir aus unserem Haus geflohen waren, stürzte ein Teil einer Hauswand auf mich, die der Sturm irgendwo mit-gerissen hatte und begrub mich fast komplett unter sich. Ich wurde vor Schmerzen binnen Sekundenbruchteilen ohnmächtig. Ich kann mich nur noch an die entsetzten Schreie meiner Mutter erinnern.

Ich kam wieder zur Besinnung, schaute in das gleißende Licht einer Neonröhre über meinem Kopf. Auch schien es sich hier um einen beheizten Raum zu handeln. Es war angenehm warm. Jemand beugte sich über mich. Es war ein alter Mann mit weißen, strubbeligen Haaren und einer Brille mit sehr dicken Gläsern auf der Nase. Er trug einen weißen Kittel mit einem merkwürdigen Emblem auf der Brusttasche. Ich versuchte etwas zu sagen, hörte jedoch nur ein Kratzen, so als wenn ein Sender im Radio rauscht. Der Kopf über mir lächelte leicht. "Gut, gut, Du bist endlich aufgewacht. Versuch nicht zu sprechen, das kriegen wir später."
"Aber ..." schoß es mir durch meinen Kopf. Ich mühte mich aber nicht weiter, ich fühlte mich nicht besonders gut.
"Ich möchte mich kurz vorstellen und Dir ein paar Dinge erklären.
"Na endlich. Ich hatte tausend Fragen.
"Ich bin Professor Frinton, Hybrid-Wissenschaftler im ehemals amerikanischen Forschungslabor 17-E. SIE haben Dich gefunden, als Du unter einer Hauswand lagst und fast gestorben wärst. Genaugenommen BIST Du gestorben, aber das erklär ich Dir später. Sie haben Dich zu mir gebracht - wie Hunderte andere auch. Wir haben Euch alle eingefroren. Einige von Euch sind bereits wieder einsatzfähig. Jetzt bist Du dran und ich muß zugeben, Du warst bis jetzt meine größte Herausforderung. Aber bis jetzt bin ich ganz zu-frieden mit Dir. Ich hoffe wir machen weiter so gute Fort-schritte, dann kannst Du bald an die Oberfläche zurück-kehren." Er lachte. "Ach ja, hab ich ganz vergessen, wir sind hier in einem unterirdischen Bunker, etwa 350 Meter unter der Oberfläche. Der Komplex hier ist riesig und wurde vor dem Wetterwechsel für die Erforschung unpopulärer Techniken benutzt. Genaugenommen ist das heute nicht anders, aber heute dient unsere Arbeit einem besseren Zweck. Wenn das zuviel für Dich ist, können wir morgen damit weitermachen." fragte er. Ich schüttelte leicht den Kopf.
"Du möchtest also mehr hören?" Ich nickte, stieß dabei mit meinem Kinn gegen etwas an meinem Hals und es gab ein metallisches Geräusch. Ich versuchte hinzuschauen, jedoch konnte ich den Kopf nicht heben. Der Professor verzog leicht sein Gesicht.
"Versuch es nicht, die Leitungen sind noch nicht alle angeschlossen. Ich werde es Dir erklären. Ich bin mit meinen Kolleginnen und Kollegen damit beschäftigt, aus menschlichen RESTEN wieder funktionstüchtige Wesen herzustellen. Was die Natur Dir geraubt hat, stellen wir durch High-Tech wieder her. Ich gebe Dir ein Beispiel, Du hast bestimmt früher mal einen Piratenfilm gesehen. Wenn damals ein Mann sein Bein verlor, hat er ein Holzbein bekommen. Heute ist die Technik ähnlich, aber viel effektiver. Statt eines Holzbeines sind wir imstande, Dir ein hochentwickeltes kybernetisches künstliches Bein zu geben. Genaugenommen zwei davon. Und mit diesen beiden Beinen kannst Du Treppen steigen, Leitern hochklettern, kriechen, gehen, laufen. Ganz nebenbei - Du kannst mit diesen Beinen schneller laufen, als jeder Mensch. Im Grunde haben wir also hiermit DEN Menschen, der Du mal warst, VERBESSERT."

Ich rollte die Augen und plötzlich fiel mir auf, das ich Schweiß auf der Stirn hatte. Ich war einem Monster in die Finger gefallen und ich konnte nicht weg. Ich konnte nicht einmal protestieren. Er wischte mit einem feuchten Lappen über meine Stirn.
"Ruhig! Es ist nicht so schlimm, wie es sich im Moment vielleicht anhört. Wir wollen Dich retten, nicht Dich zerstören. Das hätte die Hauswand schon fast getan. Ich gebe zu, der Gedanke an kybernetische Gliedmaßen muß Dir im ersten Augenblick abartig und fremd vorkommen. Aber Du lebst - ist das etwa nichts? Als wir Dich eingefroren haben, warst Du gerade seit zwei Sekunden klinisch tot. Wir haben Dir ein zweites Leben geschenkt - wenn es auch ein anderes ist, als Du es vielleicht gerne haben möchtest." Ich versuchte zu protestieren. Ich versuchte aufzustehen. Ich wollte um mich schlagen. Das Ergebnis der Anstrengungen war, das ich ein Pfeifen aus einem Lautsprecher vernahm, als wenn man ein Mikro zu dicht an den Mund hält und der Schweiß lief mir in die Augen und brannte. Der Professor drehte sich weg, dann fühlte ich seitlich am Hals einen Einstich. Nach wenigen Sekunden zogen graue und schwarze Wolken vor meinen Augen auf und ich rutschte in eine Schlafphase hinüber. Ich hörte kurz noch die Stimme des Professors: "Nachricht an Mr. Kline: Hybrid 62-M ist erwacht - erste Reaktionen ist als positiv zu bezeichnen."

Ich wurde wieder wach. Ich war nicht allein. Jemand räumte Metallschalen in einen Schrank. Das Klappern hatte mich geweckt. Ich konnte den Kopf leicht drehen und sah eine junge Dame, die mit dem Rücken zu mir, in einem Schrank hantierte. Neben sich einen kleinen Transportwagen mit ein paar Schalen, Schüsseln und Kartons. Ich versuchte zu sprechen - wieder kam nur das Kratzen. Sie drehte sich um. "Hallo! Wie geht es Ihnen?" Ich antwortete mit dem Kratzen. "Warten Sie, ich versuch mal die Frequenz besser einzu-stellen." Sie verschwand aus meinem Sichtbereich und dann hantierte sie an etwas, was ich nicht sehen konnte. "Sagen Sie mal was" forderte sie mich auf. Ich versuchte etwas zu sagen. Das Kratzen wurde lauter, dann leiser, dann hörte ich plötzlich die Worte, die ich sagte. Ganz leise. Und die Stimme war mir fremd. Aber es waren meine Worte.
"Hallo! Jetzt sind Sie auf Sendung." sagte sie.
"Hallo. Was haben DIE mit mir vor?" fragte ich.
"Keine Sorge, Sie gehen wieder an die Oberfläche."
"An die Oberfläche? Wieso?"
"An der Oberfläche herrscht immer noch Chaos. Die Überlebenden von damals haben sich in Keller und Tief-garagen zurückgezogen. Und sie produzieren jede Menge Probleme für das Weltklima. Sie benutzen zum Beispiel immer noch Benzin und Diesel - das ist leider gar nicht gut für das Klima. Daran hat sich immer noch nichts geändert."
"Was ist mit meiner Mutter?"
"Ihnen hat man nichts gesagt? Wir haben Sie und alle anderen kurz nach der Katastrophe 2016 eingefroren. Alle, die wir damals gefunden haben. Da wir hier keine Unterlagen über Ihre Mutter haben, wird sie wohl bei der Katastrophe ums Leben gekommen sein. Tut mir leid."

Ich wollte gerade etwas sagen, als ein Geräusch mich davon abhielt. Schritte! Jemand hatte den Raum betreten.
"Du bist ja immer noch hier, 1-W. Mach das Du endlich fertig wirst. In der Küche wartet noch jede Menge Arbeit auf Dich."
"Ja, Professor. Sehr wohl."
Dann kam der Kopf des Professors in mein Sichtfeld.
"Na? Wie fühlst Du Dich? Ich hoffe 1-W hat Dich nicht gestört. Sie war der erste Hybrid, den wir erschaffen haben. Sie hat nur zwei künstliche Beine, der Rest ist menschlich. Am Anfang haben wir die einfacheren Fälle wiederhergestellt. So waren schnell Ergebnisse vorzuzeigen. Das war wichtig."
Er machte eine Pause, nahm die Brille von der Nase und putzte die Gläser an seinem Kittel. Dann setzte er die Brille wieder auf.
"Ich bin fertig!" sagte 1-W.
"In Ordnung, beeil Dich!" antwortete der Professor. Sie verließ eilig den Raum.
"So, nun zu Dir. Die erste Aufregung hast Du hinter Dir. Jetzt erzähle ich Dir ein paar Details über Deinen Zustand. Du bist fast vollständig künstlich. Ein Meisterwerk, wenn ich das sagen darf. Dein Kopf ist noch Dein eigener und ein Teil von Hals und Wirbelsäule. Der Rest, wie gesagt, ist kybernetisch und hochentwickelt. Du bist stärker, schneller und widerstandsfähiger, als jeder Mensch, auf der Erde."
Er versuchte, mir in die Augen zu schauen. Ich starrte die Decke an und rührte mich nicht.
"Während Deiner letzten Auszeit, wenn ich es so nennen darf, haben wir Dich fast fertig bekommen. Noch ein paar Tage und wir können unsere Arbeit an Dir abschliessen."
Er lächelte.
"Jetzt hätte ich es fast vergessen. Dein Kopf ist doch nicht ganz Dein eigener." Der Gedanke schien ihn zu amüsieren. "Jeder Hybrid bekommt einen Chip implantiert, um im Bedarfsfall in dessen Handlungen eingreifen zu können und ihn ein bißchen zu LENKEN." Er kicherte. "Manche sagen auch, um Euch zu FORMEN. Aber das übernehmen andere. Auf mich wartet, wenn Du endlich vollständig funktionierst, 63-M. Ein ähnlich schwieriger Fall, wie Du es schon warst."
Er wendete sich wieder von mir ab. Wieder zogen die Wolken auf und wieder entglitt ich in weite Ferne.

Ich wurde wach. Etwas war anders. Das merkte ich sofort. Ich stand. Vor mir standen mindestens zehn aufmerksame Menschen. Falls es welche waren. Die meisten in Kittel gehüllt. Drei Leute aus dem Pulk erregten meine Neugier. Zwei trugen Uniform und einer einen eleganten Anzug, der so gar nicht in die Szene passen wollte.
"Hallo, 62-M!" sagte der Professor. Er stand neben mir, deshalb hatte ich ihn nicht sofort gesehen.
"Hallo Professor!" antwortete ich. Wieder die fremde Stimme, aber man hatte ihr mehr Energie, mehr Kraft gegeben. Ich hob meinen rechten Arm. Ich hatte meine künstlichen Gliedmaßen noch nie zu sehen bekommen. Der Arm war aus Metall und schimmerte blau und schwarz. Ich konnte ihn bewegen, wie meinen alten Arm. Und schnell waren die
Bewegungen.
"Professor, lassen Sie ihn um sich selber drehen." sagte der Mann im Anzug. Ich wollte mich aber nicht drehen. Ich machte einen Schritt auf den Mann zu und hob die Arme. Einer der Uniformierten hob ein kleines Kästchen, drückte einen Knopf darauf und mich durchzuckte ein unglaublicher Schmerz, als wenn Nadeln von innen durch meinen Schädel nach draußen schiessen würden. Ich schrie, schlug mir die Hände an den Kopf. Die Wucht der Hände hätte mich fast das Gleichgewicht gekostet. Der Schmerz flaute wieder ab.
"Mister Kline, sachte." sagte der Professor.
Ein Lächeln des Anzug-Trägers quittierte die Aussage von Professor Frinton. "Je früher er lernt, Befehlen zu ge-horchen, Professor, um so eher kann er uns nützlich sein."

Es folgten Wochen harten Trainings, die auf einem simplen Prinzip basierten. Befolgte ich die Anweisungen, die man mir gab, ging es mir gut. Ignorierte ich einen Befehl oder führte ihn falsch aus, erteilte man mir eine schmerzhafte Lektion. Ich lernte schnell! Man brachte mir alles bei, was ich für meinen Auftrag an der OBERFLÄCHE benötigen würde.

EIN HALBES JAHR SPÄTER:
Nun bin ich seit vielen Wochen hier oben, an der Oberwelt. Die Gegend, in der ich meinen Dienst verrichte, sieht aus, wie nach einem Krieg. Überall herrscht Trostlosigkeit und Zerfall. Die wenigen Überlebenden, denen ich begegne, kämpfen täglich aufs Neue um ihr Überleben. Es ist traurig. Und die neue Weltregierung, mit Sitz in der ehemaligen USA, hat neue Gesetze ausgerufen und ahndet Fehler sehr, sehr streng. Zum Beispiel besagt eines dieser neuen Gesetze, es darf zum Schutz der Umwelt, kein fossiler Brennstoff mehr (ausser Holz) genutzt werden, weder zur Stromerzeugung noch
zum Heizen oder ähnlichem. Mangels eines ausgefeilten Rechtssystem werden Strafen sofort ausgesprochen und vollstreckt. Ich habe gelernt, meinem Auftrag, das Öko-system mit allen Mitteln zu schützen, gnadenlos zu folgen. Anderenfalls würde man mich wieder und wieder durch die Hölle schicken. Und einmal war genug gewesen. Ein zweites Mal würde ich es nicht aushalten.

Ich hatte gerade eine alte Frau erwischt, wie Sie Benzin über das Holz in einem Metallfaß goß, um das Feuer leichter in Brand setzen zu können. Holz ist in Ordnung, aber Benzin nicht. Ich erklärte ihr, was sie falsch gemacht hatte und dann folgte ich meinen Befehlen und erschoß sie.

Meine Mutter.

Die Umwelt MUSS geschützt werden! Mit allen Mitteln.
 
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Kommentare  

Düster-bedrückende Atmosphäre mit Abgleiten ins Absurde, nachdemdas Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Nicht neu bei Endzeit-Dramen, aber gut umgesetzt.
Anklänge an den Stallone-Film "Judge Dredd".


Gwenhwyfar (23.04.2002)

Uff !
Am Ende bleibt einem die Spucke weg.
EXZELLENT, ein Meisterwerk !!
Und die hervorragende Umsetzung einer in der SF sehr verbreiteten Thematik:
die Bekämpfung eines Übels bis zur schrecklichen Pervertierung !


schwaen (13.02.2002)

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