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6 Seiten

Erschöpfte Hoffnung

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
23.11.
Geliebter Roman!
Wie geht es dir? Mir geht es gut, außer, dass ich dich so schrecklich vermisse und, mehr als das, sorge ich mich um dich.
Wenn du das liest, dann bist du schon heil aus dem Krieg zurückgekommen und ich sitze neben dir, Meschah schnurrt auf deinem Schoß und dieser Brief hier wird der erste von vielen sein, die du jetzt alle lesen musst. Und ich hoffe, das ist das schlimmste, was dir in Zukunft widerfahren wird.
Doch dieser Moment liegt wahrscheinlich noch weit vor uns und jetzt, da ich das hier schreibe, bist du noch in den Voralpen, im Krieg. Ich kann dieses Wort beinahe nicht schreiben, geschweige denn aussprechen ohne dass ich heule. Es ist alles so furchtbar, so dramatisch, so pervers. Aber ich darf nicht in Selbstmitleid versinken, dass hast du mir immer gesagt. Noch ist der Krieg 450 Kilometer entfernt, brennt in den Voralpen, dort wo du kämpfst. Hier, in unserem schönen Dorf, merkt man nicht viel vom Krieg...

Es tut mir leid, ich musste eine kurze Pause machen, schließlich soll die Tinte nicht zu sehr verwischen. Du sollst es ja noch lesen können. Auch wenn es im Nachhinein ist, gibt es mir jetzt viel Hoffnung die Gewissheit zu haben, dass du einmal meine heutigen Gedanken kennen wirst. Es ist beinahe so, als würdest du den Brief bereits lesen.
Ich werde ihn nicht mehr abschicken, ich habe dir schon seit zwei Monaten Briefe geschrieben, aber keinen mehr erhalten. Es ist verständlich, dass das Nachrichtensystem nicht so funktioniert wie es sollte. Darum sammle ich alle Briefe in einer Mappe und du wirst sie alle lesen müssen!
Mein Schatz, ich liebe dich so sehr und diese Liebe gibt mir die Gewissheit, dass wir uns wieder sehen. Ich weiß, dass es dir gut geht, trotzdem sorgt sich mein armes Herz, dessen bessere Hälfte so weit entfernt ist.
Ich liebe dich, mein verliebter Verlobter, deine Katrin

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Roman studierte seine zwölf Karten die er in der Hand hielt. Sie waren nicht schlecht, das konnte man nicht behaupten, aber er musste gut überlegen was er tat, schließlich spielte er mit dem Leutnant. Er hatte Roman das Spiel vor einiger Zeit beigebracht und bisher jedes gewonnen.
„Kommen Sie Rekrut, spielen Sie eine Karte aus, das ist ein Befehl!“, sagte der Offizier mit übertriebener Befehlsstimme. Roman lächelte verlegen und spielte schließlich die Karo Sechs aus.
„Denkst du denn schon wieder an Katrin?“, fragte der Leutnant.
„Jawohl“, seufzte Roman. Seit dem er im Krieg war, dachte er ständig an sie. Sie war der Faden der seinen Verstand an der Realität festhielt. Sie war sein ein und alles, ohne ihr, wäre er wahrscheinlich auch so verrückt geworden, wie die anderen seiner Kameraden. Die, die nachts hysterisch heulten, am Feld Nervenzusammenbrüche bekamen und schließlich lachend in einen Kugelschauer rannten. Er war einer der wenigen gewesen, die einen klaren Verstand behalten konnten. Dann ist es immer schlimmer geworden, vor allem jetzt, da er keine Briefe mehr erhalten, noch schicken konnte.
„Herr Leutnant, Rekrut Roman meldet sich mit einer Frage!“, spielte Roman den anständigen Rekruten und der Leutnant nickte belustigt.
Dann fragte Roman mit ernster Miene: „Wozu machen wir das alles? Ich meine, wozu sind wir im Krieg, töten Menschen, löschen Leben aus!“, er schluckte und fuhr dann fort: „Warum muss ich hier sein, während andere in Frieden leben können und deren größte Sorge es ist, dass die Lieder, die sie singen, die Bücher, die sie schreiben und die Kleidung, die sie tragen keiner mag? Wieso darf ich nicht solche Sorgen haben?“
Der Leutnant atmete tief ein und noch bevor er ausatmete begann er zu reden: „Man kann sich das Schicksal nicht aussuchen, mein Junge“, er sprach wie der Großvater, der er eigentlich von Beruf war, „Man kann sich nicht aussuchen, ob in dem Land, in dem man lebt Krieg ist, ob Seuchen ausbrechen oder ein riesiger Vulkan alle Menschen verschluckt. Das kann man sich nicht aussuchen. Aber wenn meine Stadt bedroht wird, mein Haus, meine Frau und meine Kinder... Dann werde ich alles daran setzen sie zu schützen und mit diesem Gedanken bin ich gerne hier an der Front. Keine ermordeten Staatsoberhäupter noch Ölpreise... die Familie ist das, was hier im Krieg zählt.“
Roman senkte seinen Blick und sagte nichts mehr.

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24.11
Geliebter Roman!
Ich hoffe dir geht es noch gut. Zumindest so gut wie mir.
Heute ist Freitag und jetzt kommt das Wochenende. Aber es ist nicht wie jedes Wochenende. Die Nachrichten bringen jetzt stündlich Meldungen über das weitere Vorrücken der Feinde. Sie haben die Voralpen überrannt und sind nur noch 320 Kilometer von unserem schönen Dorf entfernt. Aber ich fürchte mich nicht, ich weiß, dass du da draußen bist um mich zu beschützen, um darauf aufzupassen, dass niemand auch nur einen Finger auf unser Dorf legt. Denn es ist das einzige, was wir haben. Das einzige was wir sind.
Wahrscheinlich können wir jetzt, da du es liest, darüber lachen und sagen, dass man doch nie Angst hätte haben müssen. Ich weiß auch, dass es so kommen wird, denn wir sind die Opfer. Wir sind die Guten, nicht die! Und du bist der Held!
Trotzdem quält es mich in der Nacht und dass die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen und ein Ausgangsverbot nach 20 Uhr erlassen hat, macht es nicht leichter. Aber ich bin nicht allein, schließlich habe ich Meschah, die mich beruhigt. Doch ich denke, auch sie ist nervös. Sie ist ja auch eine Katze und Tiere haben einen gewissen Instinkt.
Weißt du, Katzen haben neun Leben, also insgesamt haben wir zehn Leben in unserer Wohnung. Wie sollte ich mir da Sorgen machen, mein Held.
Deine Verlobte, Katrin

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Der Leutnant legte zwei Pik Achter auf den Tisch, legte die Herz Acht, die Roman gerade ausgespielt hatte darauf und nahm sich den ganzen Stoß Karten.
„Sehr gut, Rekrut! Sie sind mir ein guter Soldat!“, lachte der Leutnant.
Roman schüttelte den Kopf. Egal was er tat, der Leutnant war ihm immer einen Schritt voraus.
„Wohl wieder mal zu viel an Katrin gedacht, was?“, sagte der Leutnant, während er die Karten auf den Tisch sortierte.
„Es ist nicht nur Katrin, es ist alles“, antwortete Roman und deutete um sich, „Es ist diese neue Situation, dieser...“
„Krieg?“, grinste der Leutnant, „Alles ist neu. Am Anfang. Aber es wird besser und irgendwann ist es so, als wäre man schon ewig hier“
„Mag sein, aber mir fehlt Katrin. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, sie nie wieder zu sehen“
„Das weißt du noch gar nicht. Warte einmal ab, was geschieht!“, sagte der Leutnant und es schien, als hätte er die Freude über das schon beinahe gewonnene Spiel bereits vergessen. „Es ist schwer, das ist Krieg immer“
„Aber wir sind doch nicht... Das ist doch kein...“, Roman griff sich mit den Händen an den Kopf und verzerrte das Gesicht.
Der Leutnant sah ihm sein Leid an und lächelte ein Mut machendes Großvaterlächeln.
„Wozu habe wir das bis jetzt getan. Ich habe Menschen getötet, verstehen Sie das? Können Sie begreifen, was das bedeutet? Jemanden wegnehmen von der Familie! Jemanden aus dem Leben reißen! Jemanden in der Ewigkeit einsperren, getrennt von allem was ihm lieb ist!“
„Aber es waren doch Feinde!“, sprach der Leutnant, doch ohne großen Willen ihn überzeugen zu wollen, „Wir müssen Feinde bekämpfen. Wenn wir den feindlichen Soldaten nicht töten, dann bringt er unsere Männer um. Indem du einen Feind umbringst, hast du viele unserer Männer gerettet“
Roman blickte dem Leutnant tief in die Augen: „Und das lässt Sie nachts in ruhe schlafen?“
Diesmal war es der Leutnant, der in seine Karten blickte und schwieg.

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26.11.
Geliebter Roman!
Es ist schlimm und es wird immer schlimmer! Sie sind schon auf knappe 100 Kilometer vorgerückt und sie scheinen unaufhaltsam. Und die Zweifel sind so stark. Was soll ich tun, wenn sie uns überrennen? Ich kann unser Dorf nicht beschützen und es sind auch beinahe keine Männer mehr da, die kämpfen können. Nur noch Frauen, Pensionisten und Kinder. Es lässt sich auch kein Militär bei uns blicken. Wir sind auf uns allein gestellt. Einige Leute sind schon geflohen und ich überlege mir, dass ich auch fliehen werde!
Doch unser Dorf im Stich lassen? Dazu bin ich nicht fähig. Es ist unser Dorf und es wird wieder unser Dorf sein. Ich weiß, dass du da draußen kämpft, und ich weiß, dass du siegen wirst und in meine Arme zurückkommen wirst. Oh Gott,_ ich liebe dich so sehr!!!
Manchmal höre ich ein dumpfes Grollen, das kein Gewitter sein kann. Ich hoffe ich bilde es mir nur ein. Ich wünsche es mir so sehr. Ich kann es einfach nicht glauben, dass mitten in unser schönes, fast perfektes Leben der Feind einbricht um uns zu vernichten. Wie kann man nur so etwas machen?
Wie kann man andere Menschen töten, oder töten wollen? Leben vernichten und Leute auseinander reißen. Wie können so wenige Menschen einen Krieg bestimmen, der so viele Menschen betrifft? Wie nur...? WIE???
Aber ich hoffe noch..., nein, ich spüre, dass du lebst und dass du siegst, denn wir stehen auf der richtigen Seite des Krieges. Wir werden gewinnen, denn wir sind die Guten. Nicht wahr?
Ich war so voll Hoffnung, doch jetzt spüre ich wie sie flieht. Selbst die Hoffnung flüchtet vor dem Grauen. Ich...

Ich brauche dich jetzt mehr als alles andere. Ich muss mir holen, was ich benötige. Ich komme zu dir, ich weiß noch nicht, wie ich das anstellen soll, aber ich komme! Vielleicht frage ich deinen Freund, der in der Hübergasse wohnt. Er ist doch nicht eingezogen worden, aufgrund seiner gelähmten Finger? Ich werde ihn überreden, mich zu dir zu bringen, vielleicht schaffen wir es bis Dienstag. Oder Mittwoch. Dann kannst du die Briefe endlich lesen und mir sagen wie es dir geht, und ich werde dich streicheln und lieb haben und...
Ich habe keine Zeitz zu verlieren. Ich komme.
Deine Verlobte!

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„Was ist denn jetzt schon wieder los? Warum siehst du dauernd auf die Uhr!“, fragte der Leutnant und stupste ihn mit dem Fuß an, „Spiel doch endlich aus!“
Langsam drehte Roman den Kopf zu seinem Vorgesetzten. Er lächelte. „Es wird jemand kommen. Ich spüre es. Kann das sein?“
„Natürlich kann es sein. Hier passieren ständig solche Dinge. Vorahnungen und so. Weißt du wer es ist?“
„Ja, und der Besuch wird bald da sein!“ Er spielte die Pik Acht aus und zeigte dem Leutnant, dass er nicht verraten werde, wer es sei.
Dieser hob eine Karte vom Stoß ab, legte dann alle bis auf eine nieder und legte die letzte verkehrt auf den Stapel mit den ausgespielten Karten. „Ich glaube, ich habe gewonnen!“
„Das glaube ich auch“, antwortete Roman, blickte auf den Zettel auf dem die Punkte notiert waren und lachte: „Ich hab verloren. Grande Katastrophe!“
Die beiden Männer lachten, als es klopfte.
„Jetzt ist sie da“, freute sich Roman und hieß den Besuch herein.
Der Leutnant war schon sehr gespannt wer es denn sei und blickte neugierig zur Tür, doch als diese sich öffnete, sah er niemanden.
„Aber da...“, begann der Leutnant, doch plötzlich sprang eine Katze auf den Tisch, maunzte und schmiegte sich schnurrend an Roman.
„Meschah, brave Meschah. Hast du mich also gefunden. Brave Katze!“ Der Leutnant griff zu dem Tier, das genüsslich unter den Händen der beiden Männer schnurrte.
„Ich glaube im Grunde kommt es genau darauf an“, sagte Roman und deutete mit dem Kopf auf die Katze.
Der Leutnant nickte und streichelte ihren Kopf.

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26.11
Geliebter!
Es kann nicht wahr sein. Ich bin am Ende und ich werde nicht kommen. Ich werde das tun, was das Schicksal auch immer für mich bestimmte hat. Ich kann es mir nicht aussuchen.
Ich wollte gerade deinen Freund anrufen, als ich Meschah fand. Sie lag tot in ihrem Kistchen. Ich wusste sofort, dass meine Katze nicht schläft. Ich wusste es einfach.
Sie liegt jetzt im Keller, ich habe eine Decke über sie geworfen und das Kreuz, dass ich von meine Mutter bekommen habe darauf gelegt. Ich war nie ein religiöser Mensch, doch ich bete jetzt und ich schäme mich dafür. Schäme mich vor Gott, dass ich ihn erst in der Stunde der Not meine Aufmerksamkeit schenke. Vielleicht gibt er mir noch die Kraft, die ich brauche. Die Kraft, dass ich weiterleben kann, bis wir uns wieder sehen.
Wenn du diesen Brief liest, dann werde ich wohl gerade das komplette Gegenteil empfinden. Doch nun, da ich es schreibe, bin ich verzweifelt und habe Angst. Das Grollen in der Ferne kommt immer näher. Ich erfahre nichts neues, denn seit kurzen ist das Fernsehprogramm eingestellt worden. Radio besitzen wir ja keinen.
Es wird nun mein letzter Brief an dich sein, denn ich werde in den Keller ziehen, dorthin wo es finster und ruhig ist, und dort werde ich warten.
Warten, bis du kommst und ich dir diese Briefe geben kann.
Grollen ist zu hören.
Ich liebe dich mein Schatz, bis bald,
deine Verlobte, Katrin
 
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Kommentare  

wow... die ging mir ziemlich unter die haut...
einen lieben dank an gwenny, ich war bin heute mal wieder etwas begriffsstutzig und habe - bis ich ihren comment gelesen habe - nicht gepeilt, dass der Verlobte schon im Jenseits ist...
die katze ist sehr gut in die story eingebracht und überhaupt... du erwartest kritik? kann ich dir leider leider nicht geben ;o) habe gerade eben nochmal "gesucht" aber bis auf dass du es -e t w a s- deutlicher hättest machen können, dass der da im jenseits hockt, finde ich keine Mängel. und somit schließe ich mich gwenny an und gebe 5 punkte - denn sowetwas gut geschriebenes, ausgereiftes und... ach mir gefällt sie einfach sehr gut - reicht das?


*Becci* (13.12.2002)

Danke für deine Antwort!

Mir selbst hat die Geschichte beim Schreiben sehr viel Freude breitet. Die Schlussszene mit der Katze fand ich sehr gut und auch die Geschichte drumherum ist mir einigermaßen gelungen.

Sie soll zum Nachdenken anregen. Kritik zu dieser Geschichte freut mich tausendmal mehr, als das größte Lob zu jeder anderen.

In diesem Sinne: Vielen Dank.

Schöne Grüße aus Wien, Peter Hrubi


Peter Hrubi (11.12.2002)

Die beiden werden sich wohl schneller wiedersehen, als der jungen Dame lieb sein kann, wenn der Feind schon so nahe vor den Toren steht...
Bis zum Schluss habe ich nicht begriffen, dass hier Briefe an einen Toten geschrieben werden. Das Auftreten der Katze hat mich zwar irritiert, aber ich habe mir IMMER noch nichts dabei gedacht. Jedenfalls weiß ich jetzt, was man im Jenseits macht: An einer ewigen Front Karten spielen. Bäh! Nicht sehr tröstlich...
5 Pte., und wenn ich könnte, würde ich mehr geben.


Gwenhwyfar (11.12.2002)

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