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6 Seiten

Süße Rache

Fantastisches · Kurzgeschichten
© Laura
(Dies ist die Nachfolgegeschichte von "Seelenfläschchen")

Herzhaft gähnend suchte Tisket sich einen Weg aus dem Berg aus Decken und Kissen, in dem sie die Nacht verbracht hatte. Es war wirklich ein Glücksfall gewesen, dass sie auf einem ihrer Streifzüge das offene Fenster zu dieser Dachkammer entdeckt hatte. Gerade jetzt, wo ihr alter Schlupfwinkel so unangenehm feucht und kalt geworden war. Dahingegen war ihre neue Bleibe eher nach ihrem Geschmack. Das Dach wies keine nennenswerten Schäden auf und die Fenster ließen den kalten Herbstwind nicht herein. Was konnte man sich mehr wünschen? Die Besitzer des Hauses auf dessen Dachboden sie sich befand waren den Winter über nach Süden zur Winterresidenz des Herzogs gezogen. "Es leben die Reichen, denn sie folgen den noch reicheren wie die Motten dem Licht", dachte die Diebin und räkelte sich auf ihrem Lager. So ließ es sich wirklich gut leben. Sobald die Herbststürme den ersten Frost brachten, standen viele der großen herrschaftlichen Häuser im Palastbezirk leer und das änderte sich nicht, bis im Frühling das Tauwetter einsetzte. Dabei konnten es sich doch gerade die Reichen leisten ihre Häuser zu heizen. Nur einige wenige Bedienstete blieben zurück und sahen nach dem Rechten. Doch die würden ihr keine Probleme bereiten.
Sie blieb noch einen Augenblick faul liegen und genoss die Wärme die sie umgab; dann stand sie auf und begann damit ihr Nachtlager zu ordnen, damit jemand, der zufällig hier heraufkam, nicht sofort erkannte, dass es einen Parasit gab, der sich die warme Sicherheit des Dachbodens zunutze machte. Dabei fiel ihr ein Riss in ihrem Ärmel auf, den sie sich bei der Flucht vor zwei Wachsoldaten am Tag zuvor zugezogen hatte. Wie ungeschickt. Ein Blick in ihren Beutel zeigte ihr, dass sie kein Garn mehr hatte. Sie würde sich wohl oder übel welches besorgen müssen, denn auch hier auf dem Dachboden gab es keines, das hatte sie schon bei der ersten Inspektion ihres neuen Winterverstecks herausgefunden. Doch vorerst signalisierte ihr knurrender Magen, dass es erst mal wichtigeres gab.

Am Markt besorgte sie sich dank eines unaufmerksamen Händlers ihr Frühstück und setzte sich dann auf die Mauer hinter dem Mietsstall. Von dort aus konnte sie die Menge zu ihren Füßen beobachten, ohne selber sofort entdeckt zu werden. Gerade jetzt, wo es morgens nicht mehr warm war, saß sie gerne hier oben auf der Mauer, da hinter ihrem Rücken aus dem Stall die Wärme der Pferde herausdrang und sie dadurch, trotz des Schattens in dem sie saß, nicht so erbärmlich frieren musste. Eigentlich war der Markt hier im Palastbezirk nicht ihr Gebiet und sie musste Acht geben, von keinem anderen Dieb bei der Arbeit gesehen zu werden, doch sie hatte auch andere Gründe, warum sie den Marktplatz im Auge behielt. Misk der Lauscher hatte ihr erzählt, dass Fidor gelegentlich auf diesem Markt seinen Beutel auffüllte und diese Gelegenheit wollte sie nicht verpassen. Schon weil es sie einiges an Überredung gekostet hatte, damit der Lauscher ihr diese Information überließ. Von dem Geld, das sie ihm gezahlt hatte, damit er niemandem sagte, dass sie nach Fidor suchte, ganz zu schweigen. Sie hoffte noch immer, dass die Nachricht den Aufwand wert gewesen war. Was würde sie darum geben wenn sie Fidor, diesen hinterhältigen Schlammkriecher in die Hände kriegen würde. Sie würde ihm nicht so schnell vergeben, dass er sie um ihren Anteil betrogen hatte und bei der Wache angeschwärzt hatte. Nicht mehr lange, dann würde sie es ihm zurückzahlen. Oh, sie hatte darüber nachgedacht ihn dafür zu töten, damals, als sie auf der Flucht vor der Stadtwache stundenlang durch die Kanalisation gekrochen war. Damals hätte sie ihm mit Freude eines ihrer Messer in die Brust gestoßen, doch sie war zu der Einsicht gekommen, dass das nicht das Richtige war. Sie würde es ihm einfach nur zurückzahlen. Das war befriedigender. Und sie wusste auch schon wie sie das anstellen würde.

Tiskets geschulter Blick entdeckte einige Straßenjungen, die sich geschickt an einige Reisende heranmachten und bald darauf mit mindestens einem Beutel mehr in der Menge untertauchten. Die Diebe werden auch immer jünger überlegte Tisket und erinnerte sich daran, wie sie selber in dieses Milieu abgerutscht war.
Es war ein Spiel gewesen, ein Spiel unter reichen Kindern, die Abwechslung in ihr verwöhntes Leben bringen wollten. Für Tisket war es bitterer Ernst geworden, als ihre Familie durch eine Intrige einiger Händler ihren Wohlstand verloren. Ihre Eltern hatten den Verlust nicht verkraftet und waren verschwunden, wobei sie ihre Tochter zurückließen. Doch sie liebte es, obwohl sie dazu gezwungen war. Sie liebte es die Menschen zu beobachten und nach möglichen Opfern Ausschau zu halten, die Gänsehaut, kurz bevor man ein Haus betrat oder die Hand nach einem fremden Beutel ausstreckte. Sie liebte ihr Leben auch wenn es armselig war und ihre Eltern, wo immer sie auch sein mochten, sie verstoßen würden, sollten sie je davon erfahren.
Mit einem Ruck, setzte die Diebin sich auf und fixierte eine Gestalt in der Menge. Da war er! Das Warten hatte ein Ende. Nun würde dieser Hund dafür zahlen, dass er sie betrogen hatte.
Fidor nicht aus den Augen lassend, glitt Tisket von ihrem Aussichtspunkt herunter und näherte sie dem Dieb. Sie musste herausbekommen, wie er nun lebte, wo er wohnte und wer gerade sein Hehler war. Einfach alles. Nur so konnte sie einen Ansatzpunkt für ihren Plan finden. Sie hatte keine Eile. Es hatte fast ein halbes Jahr gedauert, bis sie ihn aufgespürt hatte. Die Stadt war groß und es gab genug Verstecke, für doppelt so viele Diebe. Und schon jetzt gab es viele von ihnen.
Die junge Diebin zog sich die Kapuze ihres Mantels tief ins Gesicht und folgte Fidor unauffällig durch die Menge. An einem der Stände machte sie Halt und kaufte eine Tüte voll Nüsse, als der Dieb einen Augenblick innehielt und sich misstrauisch umsah. Sie spürte, wie sein Blick sie streifte, doch er erkannte sie nicht. Sie musste vorsichtiger sein. Nichts überstürzen. Sie hatte ihn gefunden, jetzt musste sie es nur noch schaffen lange genug an ihm dranzubleiben.


Bewegungslos verharrte Tisket im Schatten eines Stapels Kisten und alter Säcke und beobachtete die beiden Männer die sich in diesem abgelegenen Hinterhof getroffen hatten. Sie fror, doch das gehörte mit zum Risiko, wenn man nachts andere Diebe beschattete.
Fidor traf sich mit einem Auftraggeber. Soweit die junge Diebin das Gespräch verstand, ging es bei dem Auftrag um einige Ketten und Ohrringe, die ein betrogener Ehemann von seiner untreuen Gattin zurückhaben wollte. Tisket hörte den beiden Männern aufmerksam zu und merkte sich die Details. Endlich bekam sie die Möglichkeit es Fidor heimzuzahlen.
Als der Mann durch eine Hintertür wieder verschwunden war, wandte sich der Dieb ebenfalls zum gehen; Tisket hielt die Luft an und wünschte sich sie wäre unsichtbar, als Fidor an ihrem Versteck vorbeiging. Erst als er um eine Ecke am Ende der Straße gebogen war stieß sie den Atem aus und entspannte sich. Das war knapp gewesen. Sie durfte so kurz vor dem Ziel nicht unvorsichtig werden.

Tisket kehrte zu ihrem Versteck zurück. Sie brauchte Fidor nun nicht mehr zu folgen, da sie genau wusste wie er bei so einem Auftrag vorging. Am späten Nachmittag würde er sich am Haus der Ehefrau einfinden und nach einer geeigneten Stelle Ausschau halten, an der er am besten in das Gebäude gelangen konnte. Dann würde er warten bis es dunkel wurde und den Auftrag ausführen. Die Frau würde bis dahin zusammen mit ihrem Liebhaber auf einem Ball in der Stadt sein, wodurch Fidor genug Zeit hatte, das Haus in aller Ruhe zu durchsuchen. So wie Tisket den Dieb kannte, würde er bei dieser Gelegenheit nicht nur den Schmuck der Frau, sondern auch noch so manch andere Kostbarkeit mitgehen lassen. Sollte er doch, er würde nicht viel Freude daran haben. Dadurch dass sie wusste, wie Fidor vorgehen würde, hatte sie auch noch genug Zeit selber einige Vorkehrungen zu treffen und ihre Rache vorzubereiten.

Bei Einbruch der Dunkelheit fand Tisket sich ebenfalls am Haus der untreuen Gattin ein und hielt nach Fidor Ausschau, der sicherlich bald sein Werk beginnen würde. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn in einem dunklen Hauseingang entdeckt hatte. Ohne die Aufmerksamkeit des anderen Diebes auf sich zu ziehen ging die junge Diebin weiter die Straße hinab. Sie war sich sicher, dass er sie gesehen hatte, schließlich war er weder blind noch blöd, doch wenn sie Glück hatte, hielt er sie nur für einen späten Spaziergänger. Sie bog um die nächste Hausecke und blieb dort stehen. Von hier aus hatte sie die ganze Front des Hauses im Blick. Fidor würde ihr nicht entgehen.
Es wurde ruhig in der Straße. Die Laterne vor dem Eingang des Hauses brannte nicht, dafür hatte der Dieb, wie Tisket ihn kannte, bereits am Nachmittag gesorgt. In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr die neunte Stunde und mit dem ersten Schlag konnte man einen Schemen erkennen, der über die Straße hetzte und im Schatten der Hauswand stehen blieb. Einen Augenblick verharrte die Gestalt dort und vergewisserte sich, dass niemand zu sehen war. Tisket hörte ein leises Scharren und das Rascheln von Stoff, als Fidor, einige Fässer zu Hilfe nehmend, eine Mauer, die an eines der Fenster heranreichte erklomm und von dort aus durch das Fenster ins Innere des Hauses gelangte. Nun würde Tisket noch etwa eine halbe Stunde warten müssen. Sie kannte Fidors Angewohnheiten genau. Er blieb nie länger als eine halbe Stunde in einem Haus und auch das nur, wenn er nicht nur zum Spaß irgendwo einstieg. Er war gut, das wusste die Diebin; sie hatte lange genug mit ihm zusammengearbeitet... bis er sie verraten hatte. Doch bis zu diesem Tag hatte sie viel von ihm gelernt und das würde ihr nun zugute kommen.
Als der Mond hinter einigen Wolken verschwand dankte die Diebin im Stillen den Göttern, dass sie ihrem Vorhaben wohl gesonnen waren und die Straße beinahe in vollkommene Finsternis tauchten. Tisket ging zu dem Haus hinüber und verbarg sich in der Nähe des Fensters durch das Fidor verschwunden war. Sie hörte ein Knarzen über sich und einen Augenblick später glitt ein kleiner Sack an einem Seil neben ihr auf den Boden. Es klirrte leise. So machte Fidor es immer. Mit einer schnellen Bewegung schnitt Tisket das Seil durch, schnappte sich den Beutel und rannte davon. Hinter sich hörte sie wie der Dieb einen leisen Fluch ausstieß und die zwei Meter vom Fenster direkt auf den Boden hinuntersprang. Schnelle Schritte verrieten ihr, dass er sie verfolgte, doch darauf war sie gefasst gewesen. Während sie lief, zog sie eine kleine Flasche aus ihrem Ärmel und nahm einen Schluck daraus. Das Bier war schal, da sie es bereits den ganzen Tag mit sich herumtrug; den Rest des Gesöffs schüttete sie sich über den Mantel. Von dem Gestank, der nun von ihr ausging wurde ihr beinahe übel, doch es ging nicht anders
Sie konnte noch immer hören wie Fidor sie verfolgte, doch sie hatte einen guten Vorsprung. Dann bog sie zweimal kurz hintereinander links ab und ließ sich nach einigen weiteren Schritten in einen Hauseingang fallen. Dort blieb sie liegen und tat so als wäre sie betrunken.
Mit einiger Anstrengung schaffte sie es ihren Atem zu beruhigen bis Fidor in die kleine Gasse stürmte und unschlüssig stehen blieb. Lauschend legte er den Kopf zur Seite und starrte die Gasse hinab. Dann entdeckte er Tisket, die sich keine Mühe gegeben hatte sich in dem Hauseingang zu verbergen.
"Hey du", sprach er sie an. "Hast du jemanden hier entlanglaufen gesehen?"
"Wassis?", fragte Tisket lallend und hauchte dem Dieb dabei absichtlich einen Schwall Biergeruch entgegen. Angewidert trat Fidor einen Schritt zurück und versuchte es dann noch mal.
"Ob du jemanden gesehen hast, der hier entlanggelaufen ist." Er wandte das Gesicht von ihr ab, um den Geruch der von ihr ausging nicht einatmen zu müssen.
"Hab gar keinen gesehn, mein Hübscher. Außer dir! Komm doch zu mir un gib mirn Kuss", sagte sie und zwang sich zu einem Kichern, wobei sie die Arme nach Fidor ausstreckte. Sie wusste, wie sehr er Betrunkene verabscheute und das nutzte sie aus. Mit einem Knurren stieß der Dieb sie zurück und rannte wütend davon. Grinsend erhob Tisket sich, streckte sich und bemühte sich dann wankend die Straße hinunterzugehen. Fidor hatte sich zwar so vor ihr geekelt, dass er sie nicht einmal richtig angesehen hatte, aber man konnte nie wissen ob er seine Meinung nicht doch noch einmal änderte und zurückkam. Zwei Straßen weiter straffte sich ihre Haltung wieder und sie lief zu ihrem Versteck.

Schon am nächsten Tag erzählte Misk der Lauscher in der ganzen Stadt die Geschichte von Fidor, dem bestohlenen Dieb. Tisket hatte Misk den Tipp gegeben und ihn mit ein paar Ohrringen aus der Beute davon überzeugt, dass die Geschichte es wert war, überall herumerzählt zu werden. Sie hatte ihm erlaubt alles was er wollte dazuzuerfinden, solange er vergaß welche Rolle sie in der Geschichte gespielt hatte und wie er zu der Information gekommen war. Zu gerne hätte Tisket Fidors Gesicht gesehen, wenn er die Geschichte zu Ohren bekam. Doch dafür war keine Zeit, sie musste einen Hehler für die gestohlene Beute finden.
 
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Kommentare  

Gut geschrieben, schön formuliert.
Eine sache habe ich allerdings nicht ganz verstanden, selbst wenn sie die Betrunkene spielt, warum hat Fidor sie nicht im Hauseingang erkannt?
Vielleicht noch einen Satz einfühgen, so imn der Art: "aber sie achtete darauf, dass ihr Gesicht im dunkeln blieb."
Ansonst gefällt die Story mal wieder.
4 Punkte


Drachenlord (13.03.2003)

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