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2 Seiten

Das Etwas

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Einst fragte mich jemand ob ich an Gott glaube. Damals war ich nicht in der Lage diese Frage zu beantworten. Ich wurde getauft und bin ein Angehöriger der katholischen Kirche. Ihre Riten und seltsamen Gewänder waren und sind mit ein Gräuel. Ich hasste alles, das mit Religion zusammenhing, und es war mir egal um welche Religion es sich handelte. Ich machte Witze über die Leute, die doch tatsächlich glauben, eine Jungfrau könnte Kinder kriegen, oder Tote würden wieder auferstehen. Seither ist viel passiert. Die zentrale Figur der katholischen Kirche, ja die des Christentums ist Jesus. Die höchsten Feiertage der Christenheit sind Ostern und Weihnachten. Weihnachten beschäftigt sich mit der Geburt von Jesus, von der unbefleckten Empfängnis und all den anderen Wundern, die damals angeblich geschahen. Ostern beschäftigt sich mit dem Tode Jesu und seiner Auferstehung. Ich konnte niemals an die Jungfrauengeburt oder die Auferstehung glauben. Ich war richtig zornig, dass ich jahrelang gezwungen wurde, solche Dinge in der Schule zu lernen und wollte dieses Wissen regelrecht aus meinem Gehirn tilgen!
Am Ende eines kalten, aber sonnigen Wintertages geschah es dann, ich lief durch den schneeweißen Wald, eine rote Sonne versank in der Winterpracht und hinterließ ein blutrotes Abendrot, von Osten kam die Dunkelheit und es versprach eine klare Nacht zu werden, mit Sternen wie Nadelstiche am Firmament. Da spürte ich etwas, ich weiß nicht was es war. Ich habe keinen Namen. Es war über mir, am dunkler werdenden Himmel und in den Sternen, es war vor mir in der untergehenden Sonne, es war hinter mir im aufgehenden Mond, es war links und rechts von mir in den Bäumen des Waldes, es war unter mir im schneebedeckten Glitzerboden, es umfasste mich, es durchdrang mich, ich war ein Teil von Allem und es war ein Teil von mir. Ich habe keinen Namen dafür und ich glaube sobald ich einen Namen vergebe, würde ich dieses etwas auf etwas reduzieren, das es nicht ist, den des Menschen Worte und Gedanken sind viel zu klein dafür. Es war ein Moment des Einsseins mit dem Universum. Ich berührte den Himmel. Es war der Moment der Erkenntnis, mir wurde so viele Dinge bewusst. Es ging nicht darum, wie Jesus geboren wurde, ob er einen irdischen Vater hatte oder nicht. Es ging auch nicht darum wie er gestorben ist und ob er auferstanden ist oder nicht. Wichtiger als Geburt und Tod ist sein Leben. Wofür stand Jesus? Dafür das alle Menschen gleich sind, das es keine Sklaven geben durfte, für die damalige Zeit ein ungeheurer Gedanke. Das man keinen Menschen als Gott verehren durfte, denn wir sind alle gleich, egal welche Hautfarbe, welcher Religion und welches Geschlecht, wir sind alle gleich, daher müssen wir uns gegenseitig achten, keine Kriege führen und die Güter gerecht verteilen. Er war es, der diesen Gedanken auf die Erde brachte. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, und das wird nicht dadurch geschmälert, dass sein Vater vielleicht ein syrischer Söldner war, mit dem seine Mutter Ehebruch hatte. Es wird auch nicht geringer, wenn er nicht auferstanden ist. Wenn er wüsste, zu welcher Perversion teilweise seine Lehre geführt hat, er wäre entsetzt! Man kann einen Menschen auf grausame Art und Weise zu Tode quälen, doch das wofür er eingestanden ist, kann man dadurch nicht mehr rückgängig machen. Genau das wurde den Jüngern klar als sie zusammengekauert und voller Angst sich Wochen nach dem Tode Jesus versammelt hatten. Es war ihr Moment der Erkenntnis und sie überwanden die Angst und gingen hinaus in die Welt um die Botschaft weiterzuverbreiten. In diesem Moment ist sogar, in gewisser Weise, Jesus wieder auferstanden.
Nun hatte ich Frieden mit dem Universum geschlossen, vielleicht kann ich auch einmal Frieden mit mir selbst schließen, ich hoffe es.
 
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Kommentare  

Als bekennender Atheist komme ich einigermaßen mit
bis zu dem Moment des "Einsseins mit dem Universum".
Das Gefühl hatte vielleicht jeder schon mal mehr oder
weniger... unsere Umwelt, die Natur und ihre Wunder
können sprachlos machen und einem etwas vermitteln,
das nicht in Worte zu fassen ist. Ob es Ehrfurcht,
Demut, Winzigkeit, der Glaube an die Schönheit des
Daseins, aber auch das Bewußtsein, daß es in diesem
Leben, der Umwelt und der Natur allerhand gibt, das
uns Angst einjagt, uns in Schrecken versetzt und uns
fertig machen kann, sowohl geistig als auch körperlich:
Ich kann es vollkommen nachvollziehen.

Aber dann sprichst du davon, daß dir viele Dinge
bewußt geworden sind. Und auf einmal fällt dir ganz
plötzlich in einem "Moment der Erkenntnis" diese
Geschichte von Jesus ein. Das ist sicher eine der
ältesten und bekanntesten Geschichten über den
erstaunlichen Erfindungsreichtum in Sachen Brutalität
unter Menschen. Aber wie stellst du da den
Zusammenhang her zu deinem "Bewußtwerden"? Zu
Tode gequält wird heute immer noch eifrig, und sicher
sind viele Menschen unter den Opfern, die nach unseren
Maßstäben "gut" sind bzw. waren. Nur die wenigsten
dieser Geschichten werden augeschrieben. Bedeutet da
dieser eine mehr als die anderen? Warum wird um
jemanden so viel Aufhebens gemacht, der vor 2000
Jahren an Kreuz genagelt worden sein soll, als diese
Todesart praktisch an der Tagesordnung war? Und
warum suchen so viele Leute eigentlich nach etwas,
dem sie sozusagen eine Art Steuerfunktion für das
Dasein zuschieben können? Ist es denn so schwer, die
Welt und alles, was da ist, einfach so zu akzeptieren
und sich drüber zu freuen, daß man zum Beispiel solche
schönen Winterabende sehen und spüren kann? Dem
Frieden, den du am Ende deines Textes mit dem
Universum schließt, muß doch dann auch ein Krieg
vorangegangen sein, und von dem hast du nicht erzählt.
Daher fehlt dieser Geschichte eine ganze Menge, finde
ich.


Trainspotterin (05.12.2006)

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