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Katerstimmung - Teil 3

Romane/Serien · Erinnerungen
Egal was gestern Abend passiert war, ich musste ruhig bleiben und erstmal ganz normal weiter machen. Über zwei Tage hatte ich mich nicht mehr bei meinem Freund Andreas gemeldet. Der Anrufbeantworter blinkte schon seit heute morgen.
Ich drückte auf den kleinen roten Knopf. Eine monotone Computerstimme verkündete mir, dass ich acht neue Nachrichten hätte. Darauf folgte ein Kopfschmerzen verursachendes Piepsen. Schon bevor ich seine Stimme hörte, wusste ich es, es war Andreas.
Auch war mir sofort klar, dass es keine erfreuliche Neuigkeit war, das verriet mir das tiefe Einatmen, mit dem er die Nachricht einleitete.
„Hhhh. Schatz, also….ähm, Guten Morgen erstmal…ja, ich wollte nur sagen, dass ich leider nicht über mein Handy erreichbar bin, weil ich es verloren habe. Wieso hast du dich so lange nicht mehr gemeldet? Ich habe mir Sorgen gemacht. Ruf einfach bei meinem Bruder an.“ Piep „Schatz, ich werde langsam wütend. Melde dich! Ich weiß, dass du da bist. Ich mache mir Sorgen.“ Piep „Ich meine es ernst!“ Piep „Wenn du dich nicht langsam mal meldest, brauchst du dich gar nicht mehr melden!“ Seine Stimme wurde immer lauter. Er schrie fast.
Ich drückte auf Pause.
Wie gerne hätte ich jetzt auch einen Pause-Knopf für mein Leben. Die Welt einfach kurz anhalten und mal durchatmen. Statt die Welt anzuhalten, drehte sie sich immer schneller.
Alles raste, nur ich schien dem nicht mehr hinterher zu kommen.
Selbst die Stille im Haus schien unruhig.
In meinem Ohr hörte ich immer wieder das Scheppern des Stahltores.
Ich ertrug die Stille nicht. Ich brauchte etwas, das meine Gedanken übertönte. Ich hielt mir die Ohren zu und schrie. Ich schrie ohne Luft zu holen. Wieso hatte ich damals nicht geschrien? Mir wurde schwindelig. Ich hörte auf.
Noch leicht benommen taumelte ich zur Stereoanlage und drückte Play. Kettcar sangen von Thomas und Mareike und vom Ende derer Liebe. Nein, das konnte ich jetzt nicht ertragen. Mit dem Finger fuhr ich über die Platten im Regal und suchte etwas Passendes. Farin Urlaub – OK. Das war jetzt auf die Schnelle das Beste. Ich drehte die Lautstärke hoch.
Mir war egal, ob die Nachbarn es hörten. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht einmal die leiseste Ahnung welche Uhrzeit wir hatten. Draußen dämmerte es. Ob es die Abenddämmerung oder die Morgendämmerung war? Ich wusste es nicht. Wie lange saß ich nun schon hier? Meine Zigarettenschachtel war fast leer, deshalb tippte ich darauf, dass die Sonne aufging. Ich nahm mir den letzten Klimmstängel heraus, krümpelte die leere Schachtel zusammen und versuchte sie in den Müll zu werfen. Daneben.
Erinnerungen blitzten wieder auf.

Ich liege auf dem Boden. Mir ist kalt. Alles tut weh. Noch immer kann ich mich kaum bewegen. Vor mir steht ein blonder großer Kerl. Er beachtet mich nicht. Ich versuche etwas zu ihm zu sagen, aber aus meiner Kehle kommen nur leise unverständliche Laute. Er schließt den Reisverschluss seiner Hose, dreht sich um und geht. Er entfernt sich immer weiter, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen oder mir zu helfen.

Ich wurde wie Dreck liegen gelassen. Wie die Zigarettenschachtel. Weggeworfen und nicht mehr beachtet. Was auch immer dieser Kerl mit mir gemacht hat, ich schwor mir in diesem Moment, dass er dafür büßen würde.
Ich schaltete die Musik aus, zog mir eine Jacke über und verließ das Haus. Auf den Straßen waren nur wenige Autos unterwegs. Die Luft roch frisch und ein wenig nach frischen Brötchen. Für einen kurzen Moment war meine Welt wieder in Ordnung. Dann kam ich jedoch am Zigarettenautomaten an und damit auch wieder zurück aus meiner Gedankenlosigkeit. Ich zog mir ein Päckchen und beschloss einen kleinen Umweg durch den Park zurück zu nehmen. Vielleicht brachte mich das auf andere Gedanken.
Glimmstängel und der Park, dass macht mein Zigarettenmädchen glücklich, sagte Andreas mal zu mir und damit hatte er ja vielleicht recht.
 
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Kommentare  

Ich muss vielleicht dazu sagen, dass die Geschichte
teilweise autobiographisch ist und ich damals auch
sehr neben mir stand. In meinem Kopf war kein
Platz für große Emotionen. Das kam alles erst viel
später aus mir heraus.


Dina Colada (12.04.2012)

Hm, hm, hm... der anfänglich böse Verdacht wird langsam zur schrecklichen Gewissheit, doch die Protagonistin scheint davon, wie auch schon durch die ganze Geschichte hinweg, wenig berührt. Sie ist distanziert, angeschlagen, aber nicht verletzt, sondern eher von Rachegedanken beseelt - interessant. Auch der Text bleibt eher rational und lässt nur hier und da Emotionen durchscheinen, so als ob sie noch immer in Trance durch ihre Welt stolpert.

Der Musikgeschmack gefällt mir - musste unwillkürlich an "Petze" denken, als sie in der Situation Farin Urlaub gewählt hat. Etwas verdutzt hat mich dennoch die Verwendung des Wortes "Platte".
Auch hab ich noch nie zuvor das Wort "krümpeln" gehört - aber es klingt lustig.


Jingizu (12.04.2012)

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