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5 Seiten

Norchas Mühlenkinder (Kapitel 3)

Romane/Serien · Trauriges
Radh hatte den Blick über seine Zuhörer gleiten lassen, wie er es immer tat. Zuerst las er geringes Interesse in ihren Augen. Er war eben einer von Vielen, die ihre Fähigkeiten zur Schau stellten. Einige Besucher der Festwiese zogen sogar weiter, blieben aber wie erstarrt stehen, als er eine kurze Geschichte über die Schwarzen Reiter ansagte.
Kannte man hier diese Reiter? Lag lediglich die Lust auf einen guten Vortrag hinter dem Funkeln einiger Augenpaare?
Als er sich auf seinem Schemel zurecht setzte, die Laute anlegte, fiel sein Blick auf eine junge Frau, die sich durch die Reihen der Umstehenden drängte und dann zwanglos zu seinen Füßen auf den Wiesenboden setzte. Kaum hatte er mit seiner Darbietung begonnen, als die junge Frau auffällig erblasste. Er spürte Besorgnis in sich aufsteigen, ließ sie nicht mehr aus den Augen. Heftig schüttelte er den Kopf, besann sich auf die Worte, die zu singen er sich bereit gelegt hatte.
Er sang von den Augen der Rösser, von den Blitzen der Schwerter, beobachtete die blonde Frau, deren Blick bei seinen Worten ins Leere gerichtet war. Ihm schien es, als würde sie Bilder sehen, die es nur in ihrer Erinnerung gab.
Er sang vom Raub der Kinder, von der Entführung ohne Wiederkehr und sie fiel in monotone Wiegebewegungen des Rumpfes.
Als Radh endete, erntete er nur dürftigen Applaus.
Er war es nicht anders gewohnt bei dieser Geschichte. Seine Entlohnung waren die entsetzten Blicke, die fragend gefurchten Stirne, die schnell gesprochenen Worte. Überall, wo er diese Geschichte verlauten ließ, bekam er dieselben Fragen gestellt:
„Habt Ihr Euch diese Geschichte ausgedacht?“
„Wo habt Ihr von solchen Greueltaten gehört?“
„Das ist eine schreckliche Geschichte. Bestimmt ist sie Jahrhunderte, gar Jahrtausende alt. Oder nicht?“
Als die Menge sich aufgelöst hatte, saß die junge Frau immer noch blass und sich wiegend auf der Wiese. Radh legte langsam seine Laute auf den Schemel, näherte sich ihr mit fragendem Blick. Selbst als er sich zu ihr nieder hockte, ihr seinen Arm über den Rücken, seine Hand auf die Schulter legte, reagierte sie nicht.
Leise sprach er sie an.
Spürte er gerade ein verzagtes Aufrichten?

Wie durch dichten Nebel erreichte eine sanfte Stimme Callas Ohr, kämpfte sich durch die alten Geräusche der Erinnerung und wurde wahrgenommen. Zaghaft drang die Wärme einer haltenden Hand durch ihre Haut, erreichte ihr Bewusstsein und ließ sie vorsichtig den Weg zurückkommen. Mit einem tiefen Atemzug wandte sie sich von den alten Bildern ab.
„Ich habe sie gesehen.“
Ihre Stimme war ohne Melodie, ihr Blick starr auf das Grün vor sich gerichtet.
„Ich habe sie gesehen.“, wiederholte sie. „Damals.“
Radh richtete sich auf. Er fühlte sich unwohl, fühlte sich schuldig an dem Zustand der jungen Frau.
„Es tut mir leid, wenn ich durch meine Darbietung Türen in Eurer Erinnerung aufstieß, die verschlossen bleiben sollten.“
„Harrid war da, und Mama.“
Hilflos hob der Barde beide Hände, schaute sich nach jemandem um, der ihm beistehen könnte. Was sollte er mit der jungen Frau tun? Er konnte sie doch hier nicht in diesem Zustand sitzen lassen! Wieder hockte er sich zu ihr, legte ihr seinen Arm über den Rücken.
„Steht auf, bitte. Ich werde Euch behilflich sein und Euch zu einer Bank führen.“
Wie in einem Traum gefangen, ließ Calla sich in die Höhe ziehen, gestattete, dass der Barde seinen Arm um ihren Leib legte und sie unter eine alte Eiche führte. Eine leicht schiefe Bank lud trotzdem zum Verweilen ein. Radh drückte die junge Frau auf das Holz.
„Ich habe Mama gestützt.“
Ihre Augen fesselten einen Grashalm oder Käfer an einer Stelle vor ihren Füßen. In ihrem blassen Gesicht nahmen sich ihre großen, dunklen Augen befremdlich aus.
„Mama war so still, sprach nicht zu mir oder Harrid.“
Der Barde nahm neben der verwirrten Frau Platz. Schwer lehnte sie sich gegen ihn.
„Mama wurde müde. Sie lehnte sich gegen mich.“
Ein schweres Beben erschütterte ihren zarten Körper. Ihr Atem ging schwer, als würde sich auch jetzt der Leib einer Erwachsenen an den eines Kindes lehnen.
„Ich hab sie gesehen, die Schwarzen. Damals.“
Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern, bevor sie ganz verstummte und nur noch starr blickte. Radh legte erneut seinen Arm wärmend über den Rücken der jungen Frau.
Bilder drängten sich ihm in der Stille unter dem Blätterdach der Eiche auf, die er bisher erfolgreich hinter schweren Türen verborgen gehalten hatte. Bilder, die schon vor Jahren zu Worten wurden. Worte, in Zeilen immer wieder aufs Neue wiederholt, niemals seine Lippen verlassend. Er hatte damals eine Ballade verfasst, gedanklich, nie dargeboten. Ob er sie jemals würde vortragen können? Die Ballade seines Schicksals, "Radhs Ballade"?

Geboren und aufgewachsen an den Ufern des Finlayc,
in der kleinen Siedlung Selboc.
Von Natursteinmauern und Palisadenzaun geschützt,
den Winden über dem Binnensee trotzend.
Schon als kleiner Junge hinausgefahren an des Vaters Seite,
habe ich gespürt, die Kraft von Wind und Wellen.
Habe geschmeckt die Würze der Freiheit,
gerochen den Duft der steten Gefahr.
Hinausgefahren wenn Sterne noch funkeln,
das Schleppnetz gezogen durch fischreiche Wasser.
Das Spiel der Wellen mit Frohlocken geschaut,
verzaubert von der Sonne Spiegelung in Vaters Gesicht.
Reichen Fang wir nicht immer nach Hause gebracht,
doch reichend für die Lieben und den Verkauf.
Oftmals Vater und ich noch lange gesessen an den Gestellen,
geflickt die großen Netze bis zur Dämmerung.
Einträchtig im Gespräch vertieft,
die Erlebnisse des Tages betrachtend,
sind wir spät dann nach Hause gegangen,
über Sandstrand, vorbei an Mauer und Zaun.
Oft er mich dann an die Hand genommen,
Halt gebend nach einem Tag auf dem unruhigen See.
In der anderen Hand den Bottich mit Fischen,
der Mutter zu überreichen zum Abendgericht.
So geschehen auch an jenem Abend,
der das Schrecknis über meine Familie wohl brachte.
Als wir beide, Hand in Hand nach des Tages Werk
uns auf den Heimweg machten.
Ich spürte ein Beben gleich unter den Sohlen,
schaute zum Vater: Ob jener ebenso fühlt?
Sah die Verwirrung in seinen Zügen,
vernahm die Worte der Sorge aus seinem Mund.
„Lass nach Hause uns eilen, geliebter Sohn.
Etwas scheint von Ferne zu nah’n.
Das Beben wird stärker mit jedem Schritt.
Es braust heran, Gewitterwolken in rasendem Ritt.“
Des Vaters Worte in meinem Ohr,
den Zug seiner starken Hand an der meinen,
eilten wir der Siedlung entgegen,
die Schutz uns versprach vor dem, was bedrohte.
Ich sah die Palisade, das einladend Tor darin.
Ich spürte die Freude, bald zu erreichen den sicheren Hort.
Fühlte plötzlich beengende Klammern um meinen Leib sich legen,
empor gerissen auf eines Rosses Hals.
Konnte nicht denken, konnte nicht fühlen,
gebeutelt, geschunden bei rasendem Ritt.
Spürte den Sattelknauf in die Gedärme sich winden,
des Vaters Wärme weiterhin in der linken Hand.
Entsetzen mir in die Glieder fuhr,
als meine Augen forschten der Sicherheit Grund.
Suchend Blick meine Hand erreichte
und blutend die des Vaters dort fand.
Ein gellend’ Schrei meiner Kehle entrann.
Das blanke Entsetzen mich erstarren ließ.
Ein Schlag lederbewährter Faust mich am Kopfe traf
zu schenkten mir Schwärze und Vergessen.
Auftauchend aus den Tiefen des Vergessens,
ich mich immer noch auf des Rosses Leibe befand.
Tiefste Nacht mich ringsherum umgab,
aber Eisesglitzern im Sternenlicht ich sah.
Der Kredôrr!
Wir ritten nach Süden, oder auch Westen,
Fellsane entgegen.
Der großen Stadt mit Menschen gar vielen.
Menschen, die einen Raub nicht dulden,
die in den Weg sich stellen.
Menschen, die mich würden erretten,
mich wieder zu den Meinen bringen.
Weiter und weiter ging die nächtliche Hast,
Ross und Reiter niemals benötigten Nahrung, niemals Rast.
Entlang des Bergmassivs wir jagten.
Fellsane, für eine Rettung zu weit entfernt.
Das Wissen in eine Höhle des Grauens mich führte.
Hoffnungslos ich die nächsten Stunden erahnte.
Rettung wird es wohl nimmer geben,
für den Geraubten, der weiter nach Süden gebracht.
Die Spitze des Kredôrr umrundet,
erglänzte das Tal im Sonnenlicht des Morgens.
Vielstimmiger Vogelgesang mich begrüßte
aus den kalten Umarmungen der Höhle.
Verzagt ich den Blick kurz hob,
zu zählen Ross und Reiter.
Ich erspähte der Rösser Rücken,
zu zählen die Geraubten.
Sieben schwarze Reiter auf sieben schwarzen Rössern.
Der Legende ward Wirklichkeit gegeben!
Zu rauben sieben Knaben von elterlicher Hand.
Niemals wieder gesehen noch vereint.
Ohne Rast ging weiter der rasende Ritt.
Im Lichte des Morgens ich einen Fluss leuchten sah.
Fellsane mit dem Vater zum Handel einst besuchte,
doch niemals zuvor diese Provinz ich sah.
Am Abend verließen die Hufe das erdene Bett.
Dumpfes Gepolter an Steg oder Brücke gemahnte.
Rasch die hölzerne Passage überwunden,
ein dunkler Wald die Geraubten verschluckte...

Wie fröstelnd fuhr Radh zusammen, wissend, dass nicht der Wind dies bewirkt hatte. Er sah eine Frau in Begleitung eines Soldaten zielsicher auf die alte Eiche zukommen.
„Calla, was ist mit dir?“, sprach die Frau jene an seiner Seite an.
„Ihr geht es nicht gut, denke ich.“
Peinlich berührt schaute Radh die Neuankömmlinge an. Nicht, dass der Soldat meinte, als Ordnungshüter tätig werden zu müssen und ihn inhaftierte!
„Ich habe sie hierher geführt und bin bei ihr geblieben.“
Entspannten sich die Züge des Soldaten bereits?
„Man nennt mich Radh. Ich bin Barde und bin nur für ein paar Tage in Fellsane.“
Es konnte nur von Vorteil sein, sich frühzeitig zu erkennen zu geben und seine Pläne kundzutun.
„Calla, ich bring’ dich nach Hause.“
Resolut stieß sie den Soldaten an, der der blonden Frau beim Aufstehen behilflich war. Hölzern ging sie die ersten Schritte, wandte langsam den Kopf, Radh aus den traurigsten Augen anzusehen, in die er jemals geblickt hatte.
„Ich hab sie gesehen, die Schwarzen. Damals.“
 
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Kommentare  

Vielen Dank euch beiden :)
Ist richtig spannend, deinen Gedankengängen zu folgen, Else :)
Kapitel 4 wird folgen, versprochen :)


Shannon O'Hara (07.05.2012)

Ein bisschen erinnern mich deine Schwarzen Reiter an den Mythos von der Wilden Jagd - die Ballade passt excellent zu deiner Geschichte und daher gefällt mir das Kapitel umso mehr.

Jingizu (07.05.2012)

Jetzt wird einem so manches klarer. Calla ist das kleine Mädchen gewesen, das Furchtbares erleben musste. Der Barde singt auch nicht ohne Grund von den sieben schwarzen Reitern. er selber ist damals von ihnen entführt worden. Jetzt tippe ich mal, dass das gleiche auch mit Callas Bruder geschehen ist. Doch neue Fragen tauchen auf. Was wollen oder wollten die schwarzen Reiter mit den Kindern und wie kam Radh damals frei? Hat er etwa die schreckliche Narbe den schwarzen Reitern zu verdanken? Spannend!

Else08 (06.05.2012)

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