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9 Seiten

Norchas Mühlenkinder (Kapitel 74 und 75)

Romane/Serien · Spannendes
- LXXIV -
Sie hatten sich bis zum Abend noch nicht allzu sehr Seicôr genähert. Wozu auf sich aufmerksam machen? Dies würde noch früh genug geschehen.
Mit einem heftigen Schaudern gelangten jetzt, da sie sich in Sichtweite des Stadttores befanden, die Gedanken in Radhs Bewusstsein. Lange noch hatten die Freunde bei Einbruch der Nacht zusammengesessen und beratschlagt, welche vermeintlich die beste Möglichkeit wäre, in die Stadt Seicôr zu gelangen.
Kelrik hatte ihn frech angegrinst, vorgeschlagen, einen kräftigen Baum in der Nähe des Palisadenzauns ausfindig zu machen, diesen zu erklimmen und von dort aus im Schutz der Dunkelheit der Nacht einzufallen. Hodur griff seinen Einfall auf, wandelte ihn allerdings in der Durchführung leicht ab.
Ebenfalls sollten sie, nach seiner Meinung, einen kräftigen Baum suchen, doch statt ihn zu erklimmen, das Wurzelwerk nutzen und entlang diesem einen Weg unter den Palisadenzaun hindurch graben und ebenfalls im Schutz der Nacht innerhalb der Umzäunung wieder auftauchen.
Radh spürte Zweifel an der Geisteskraft seiner Kameraden aufkeimen als Phroner sich mit seiner leisen aber einprägsamen Stimme zu Wort gemeldet hatte.
„Ich denke, wir werden den geraden Weg nehmen und im Licht der Morgensonne am Tor um Einlass bitten.“
Sich Schritt für Schritt dem Tor nähernd, rief Radh die Äußerungen des gestrigen Gespräches aus seiner Erinnerung. Dieser geistige Akt befreite ihn allerdings nicht von den Erinnerungen seiner Seele.
Unruhe dehnte sich aus. Er spürte Panik sich ausbreiten wie eine schwarze Seuche. Er musste sich, wie vor Tagen unter der alten Eiche in Fellsane, des Atmens ermahnen, musste seinem Herzen befehlen, gleichmäßig und ruhig seiner Arbeit nachzukommen.
Trotzdem hörte er sein Blut viel zu laut in den Ohren rauschen, spürte er das belebende Kribbeln in den Beinen, das ihn auf eine gerannte Flucht vorbereitete. Sich selbst auf das Kommende zu besinnen, bannte er seinen Blick auf den Torwächter.
Der grobschlächtige Hüne lehnte abwartend mit seiner bloßen Schulter gegen das Tor gelehnt. Seine muskulösen Arme hatte er vor der nackten Brust verschränkt. Das Licht des frühen Morgens fing sich auf der unbekleideten Haut, ließ sie leicht glänzen. Als die Gruppe um Radh sich weiter näherte, richtete der Wächter sich zu seiner ganzen Größe auf. Seine Arme gaben den Blick frei auf eine kräftige Brust, über der sich zwei breite Ledergurte kreuzten.
Ungefragt erschien die Erinnerung.
Jene Gürtel trugen auf dem Rücken des Mannes zwei mächtige Krummschwerter, die von den meisten Kämpfern gekonnt gleichzeitig geführt werden konnten. Radhs Blick glitt an die mit einem ledernen Lendenschurz bekleidete Hüfte des Wachhabenden. Zurückgeworfen in den Leib eines Jungen hefteten sich auch jetzt seine Augen an den dicken Knauf der Peitsche. In einem weiten Bogen reichten die langen Lederschnüre bis über das Knie des Wachhabenden, bevor sie mit eisenbeschwerten Spitzen in einer Seitentasche endeten. Unaufgefordert vernahm Radh wieder das vielstimmige Stöhnen aus jungen Kehlen, vernahm die rüden Ermahnungen der Wächter, vernahm das scharfe Knallen von Lederschnüren und das metallene Klirren, wenn Schnürenden Ziele trafen.

Vorsichtig, als verlangte sein Körper die gebeugte Haltung, richtete Doggâr sich in ihrem Arm auf. Seine Hand lag immer noch auf seinem Leib, versuchte weiterhin, den Schmerz darin gefangen zu halten. Sie hörte ihn tief durchatmeten, sah seinen Kopf sich zuerst der vor ihnen aufragende Wand zuwenden, dann ihr.
Sie hatte das Tun des Mannes an ihrer Seite, in ihrem Arm, beobachtet, sah die Erwartung nun in seinen Augen. Eine befremdliche Stimmung ergriff sie mit einem Mal, hob sie an und setzte sie sanft auf dem nächsten Felsen ab.
Als betrachtete sie sich und Doggâr von dieser Warte aus, als schlief sie gerade und träumte lebhaft, verfolgte sie, dass der Hauptmann seine blutbefleckten Finger um ihr Handgelenk schloss. Widerwillen dehnte sich in ihr aus, überrollte sie und ließ sie in Abscheu erbeben.
Er schien dies nicht zu bemerken, behielt weiterhin ihre Hand in der seinen. Verstärkte den Druck seines Armes auf ihrer Schulter, schob sie somit auf die leicht glänzende Wand zu.
Gefangen von der Abbildung einer Hand haftete ihr Blick an jener Wand, spürte sie den Zug an ihrem Arm, diesen anzuheben, erkannte sie ihre eigenen Hand in ihren Blick eindringen. Ihre Finger streckten sich unter der unausgesprochenen Aufforderung und Momente später spürte sie die Kühle des Metalls unter ihrer Handfläche. Als hätte ein Dwelg mit viel Kunstgeschick die Ausmaße ihrer Hand genutzt, jene Zeichen auf diese Gebäudewand in den Höhen des Reldoc zu bringen, fügte sie sich passgenau hinein.
Ihre Überraschung währte nur einen Lidschlag.
Plötzlich glitt mit einem leisen Schleifgeräusch ein großer Teil der Wand beiseite, öffnete sich ihnen eine bis dahin nicht erkennbare Tür. Dem Schreck folgte Verwirrung, die von der Angst des gestrigen Abends erwartet wurde.
Was stellte dies alles dar? Was erwartete wer von ihr? Was würde folgen?
Eine Antwort lieferte ihr der Arm Doggârs, der sie auf die Öffnung zuschob.
„Was … was ist das?“
„Dies ist der Tempel von Xabêr.“
Seine Stimme klang rau, trug die Trockenheit des Schmerzes.
'Wenn dies der Tempel ist, sind Uwlad und Baldur wirklich dem falschen Weg gefolgt.'
Sorge um die beiden meldete sich, wurde von den drängenden Fragen verdrängt.
„Warum wollt Ihr, dass ich den Tempel betrete?“
„Lass uns hineingehen, Calla. Ich muss mich etwas ausruhen, werde dir dann alles erzählen.“
Nur zögerlich tat sie den nächsten Schritt. Da sich allerdings keine Gefahr zu erkennen gab, überschritten sie gemeinsam die Schwelle.

Die Erleichterung, die ihn mit sich reißende Freude über jene aufschwingende Tür zur Tempelanlage raubten ihm die letzten Stützen seiner Willenskraft. Kraftlos sackten die Beine unter seinem Leib zusammen, hart fühlte er sich von Calla mehr getragen als gestützt. Mehr taumelte er über die Schwelle, als dass er ging. Kaum hatte er den Tempel betreten, als er sich an der Wand abstützen musste. Seine blutige Hand hinterließ einen roten Streifen der Vergänglichkeit auf dem unbefleckten Metall.
Er vernahm Callas überraschten Ausruf, konnte ihr nicht beistehen, seinen schweren Körper zu tragen. Unaufhaltsam sah er den Boden des Tempels auf sich zu gleiten, spürte den Verlust der Berührung zu Calla und wappnete sich des harten Aufpralls. Bar jeder Abwehr schlug seine Schulter hart auf den Boden auf, stieß sein Kopf gegen die Wand. Er vernahm den Ton seiner ausgestoßenen Atemluft wie den hohlen Laut eines waidwunden Waldhirschen, der nach langer Flucht letztendlich entkräftet zusammenbrach.
'Ob jenen Tieren auch der Leib in Flammen steht?'
Mit geschlossenen Augen, bestrebt, den Flammen zumindest ein wenig Herr zu werden, sandte er seinen Geist zu den aufgebrochenen und heftig blutenden Wunden in seinem Bauch, legte schützend beide Hände auf. Gleichzeitig spürte er warme Finger auf seinen Wangen, Finger, die unter seinen Kopf fuhren, diesen leicht anhoben. Er fühlte sein Haupt in einem warmen Schoß gebettet und sanfte Müdigkeit sich seiner bemächtigen.
'Bald, das Ziel ist greifbar!'
Wie taub suchte seine ausgetrocknete Zunge ein wenig Feuchtigkeit, das Sprechen zu ermöglichen. Mit geschlossenen Augen, die Bilder betrachtend, die seine Zunge beschreiben sollte, begann er mit rauer Stimme zu erzählen.
„Mein Name ist Ragon.“
Ihr überraschtes Atmen gewährte ihm einen Moment der Rast.
„Ich wurde in Kredân geboren und in die Lehren des Höchsten eingeführt. Als Novize lebte ich einige Zeit zur Erlangung der Inneren Stärke in einer kleinen Hütte, in den Hängen des Reldoc gelegen. Hier begegnete mir eines Tages Radh, der Barde.“
Der Ton unerwarteter Erkenntnisse hätte ihn unter anderen Umständen schmunzeln lassen.
„Ja, Radh ist mir seit vielen Jahren bekannt. Als ich ihn auf dem Sonnenfest sah, erkannte ich ihn sogleich an seiner auffälligen Narbe. Er erkannte mich nicht, denn unsere gemeinsame Zeit verbrachte er anfangs in schweren Fieberträumen. In diesen erzählte er von der Mühle von Seicôr, von seinem Raub, seiner Folter, seiner Flucht.
Seine Fieberberichte ließen das Gerüst meiner Erziehung schwanken, warfen Fragen auf zu denen ich keine Antworten fand, schleuderten mich flügellahm über einen Felsgrat.“
Die streichelnde Berührung leicht bebender Fingerspitzen über seine Stirn ließ ihn kurz innehalten.
„Entgegen sonstiger Gepflogenheiten verließ ich meine Einsiedlerhütte. Wie sollte ich innere Stärke erlangen, wenn nagende Fragen mich verzehrten?
Ich begab mich auf Wanderschaft, lernte überall ein wenig, erhielt Antworten und Schulungen unterschiedlichster Arten. Schulungen vor allem in kämpferischen Belangen, was mir später zugute kommen sollte. Antworten erhielt ich vor allem in Coeden.“
Ihre Überraschung ließ sie im Streicheln innehalten.
„Ja, ich lebte gar einige Zeit unter den Ferrud, erlernte von ihnen den Umgang mit Pfeil und Bogen, die Handhabung des Speeres. Und ich erfuhr von Pellrac, jenem neugierigen Ferrud, der einst die Schwarze Schlucht entdeckte und in ihr das zerborstene Fenster zu einem Raum angefüllt mit Büchern.“
Ihr heftiger Atem, der die Stille des Ganges füllte sobald er schwieg, bewies ihm, dass sie die Geschichte jenes Ferruds kannte.
'Wie erhofft.'
Er spürte seine Mundwinkel sich zu einem leisen Schmunzeln bewegen.
„Ich tat es Pellrac gleich, jedoch anders als er war ich dank der Schulungen in der Lage, die Bücher zu lesen. Ich las. Ich lernte. Ich fand Antworten auf meine Fragen. Ich fand weitere Fragen. Fragen, die mir die Bücher nicht beantworten konnten.
Zu jener Zeit endete mein Novizentum. Ich kehrte zurück nach Xabêr, erhielt meine Weihe und erfuhr meine Aufgabe.
In Kenntnis meiner kämpferischen Schulungen auf meinen Wanderungen entschieden die Grauen Priester, mich nach Fellsane zu entsenden. In der Verkleidung des Doggâr sollte ich Gardist werden, gern zum Hauptmann aufsteigen, aber in erster Linie Graf Marret entsprechend der Pläne der Priester lenken.“
Die sanfte Müdigkeit, die ihn zu Beginn seines Berichtes noch liebevoll umarmt hatte, legte sich schwerer werdend auf seinen Geist, auf seine Zunge. Häufiger musste er innehalten, musste seine Gedanken ordnen und die Worte über seine Lippen schieben.
„Die Beweggründe der Grauen Priester erschienen klar, doch nur für einen Jungpriester, der keine Fragen gestellt und Antworten gefunden hatte. Ich erkannte Zusammenhänge. Ich tat, wie mir geheißen, doch tief in meinem Inneren verborgen plante ich einen anderen Weg.“
Ihm schwindelte hinter geschlossenen Lidern. In seinem Kopf stoben die Gedanken auseinander.
„Graue meiner nicht sicher … Kanda …“
'Besinn dich! Du musst noch vieles berichten!'
Seine trockene Zunge fuhr wie befeuchtend über aufgesprungene Lippen.
„Dann kamst du eines Tages in die Festung.“
Wieder ein heftiger Atemzug. Sicherlich hatte sie nicht erwartet, in seinem Leben eine derart wichtige Rolle eingenommen zu haben, dass ihr Erscheinen wahrgenommen wurde.
„Als Kanda dich mir vorstellte sah ich deine Hände. Hände, die mich an Zeichnungen in den Büchern erinnerten, und ein Plan reifte heran.“
'Kann ich ihr alles berichten? Wird meine Kraft ausreichen?'
Flehend sandte er neuerlich seinen Geist aus. Er fand seine Lebensflamme, die nur noch mit einem kleinen Licht brannte.
„Seit Urzeiten hatte keiner mehr Zugang zur Tempelanlage, zum Höchsten selber. Denn dieser liegt allein in den Händen der Kinder von Kredân. Diese haben sich verändert in den Jahrhunderten. Du musst eine Nachfahre der alten Kredâner sein, Calla, darum konntest du die Pforte öffnen.“
Trockener Husten kroch seine Kehle entlang, ließ ihn sich unter Schmerzen aufbäumen. Schwer atmend und nahezu am Ende seiner Kräfte fiel er zurück in ihren Schoß. Sanft legte sie eine Hand auf seine Wange, streichelte sie vorsichtig.
„Ich musste meine Rolle wahren, konnte nicht zu dir gehen, dich einzuweihen. Ich musste als Hauptmann Groll und gar Hass säen, musste die Gardisten, die Bevölkerung Lâmechas, dich und Radh in die Rebellion schicken.“
Zufrieden entließ er den Stolz, erlaubte seinem Leib, entspannt zusammen zu sinken. Ein schwerer Atemzug verließ seine Brust.
„Ich habe geschafft, was ich mir auferlegte. Du bist hier, hast die Pforte zum Tempel geöffnet, wirst die Bücher finden.“
Nur noch geflüstert glitten die Worte über seine Lippen.
„Wirst den Höchsten finden … Fragen stellen … Antworten …“
Sein erschöpfter Geist vernahm ihr ersticktes Schluchzen, seine beinahe tauben Wangen die Nässe ihrer Tränen.
„Die Macht der Grauen Priester muss beendet werden.“
Ihr sanftes Streicheln erreichte seine Seele.
„Calla, ich … dir …“

- LXXV-
Baldurs Blick glitt während des Gespräches zwischen Uwlad und dem Priester immer wieder über die jungen Grauen, die in der Halle an den Tischen saßen. Seine Ohren vernahmen die Worte des Gardisten an seiner Seite, hörten die Antworten des Priesters von der niedrigen Empore her. Viel inniger allerdings spürte der Ferrud die sich steigernde Anspannung. Ein nahezu vernehmliches Knistern lag in der Luft, als würde sich ein Gewitter unter der Hallendecke zusammenziehen. Genau wie in jenen Stimmungen spürte er, dass sich seine Nackenhärchen aufstellten, fühlte er die Spannung zwischen seinen Schulterblättern anwachsen.
Schon als sie den Gang betreten hatten, hatte Baldur einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens gelegt gehabt, nestelte nun mit unruhigen Fingern an dessen Federende. Langsam, die Aufmerksamkeit nicht auf sich und sein Tun zu lenken, befestigte er ein Sporensäckchen gleich hinter der metallenen Spitze.
„Demnach entsprechen seit Urzeiten die Äußerungen der Grauen Priester nicht denen des Höchsten. Demnach steht seit vielen, vielen Generationen nicht das Gedeihen Norchas im Sinn der Grauen Priester als Vermittler zum Höchsten, sondern allein der Erhalt der eigenen Machtposition. Demnach sind die Grauen Priester seit jenen Zeiten Lügner, Verräter und Verbrecher vor dem Volke Norchas!“
Die Worte Uwlads schürten ein eigenes Feuer in seinem Inneren. Plötzlich erschienen erneut die Bilder der Heimreise nach dem Sonnenfest in Fellsane. Erneut spürte er das Beben im Boden, sah er den aufgewirbelten Steppensand, hörte er das entsetzte Schreien geraubter und verletzter Kinder, die bestürzten Rufe beraubter Eltern.
Eine nie gekannte Feuersbrunst rollte über ihn hinweg, versengte jedes Denken und Fühlen. Benötigte er tatsächlich den Zündstein oder entzündete sich die kurze Lunte des Sporensäckchens an seinem inneren Feuer?
„Lauf!“
Nur für den Moment eines Lidschlages war die Frage in seinem Geist erschienen, das Richtige zu tun, als der Pfeil bereits von der Sehne schnellte. Niemals zuvor in seinem Leben hatte er einen Pfeil des Todes wegen abgeschossen. Niemals zuvor hatte er einem Lebewesen den Tod gewünscht. Niemals zuvor hatte er gehasst.
Er musste nicht abwarten bis der Pfeil sein Ziel erreicht hatte. Er wusste, die Spitze würde sich in die Stirn des Priesters bohren. Augenblicke später würden die Farnsporen Feuer fangen und in unzähligen Funken auseinanderstoben. Die eingelegten Salkursporen würden ebenfalls zerbersten und die Halle in unerträglichen Gestank tauchen.
Neben Uwlad hastete er den gewundenen Gang entlang, ein heilloses Durcheinander mit wildem Rufen und Stöhnen hinter sich lassend. Endlich stolperten sie über die Schwelle der Pforte, sogen gierig die frische Luft des jungen Morgens ein. Aber weiter ging die Hast, trieben die ersten aufgewühlten Priester sie zu ihrem Beobachtungsposten. Das wilde Toben in seinem Rücken veranlasste ihn, sich hinter den ersten Felsen zu ducken und sich nach den Verfolgern umzusehen. Wild nach Luft schnappend, laut hustend und ihre Kutten ausschlagend, standen die jungen Priester unter der Pforte. Mit sich selbst und den Kameraden beschäftigt, dachte keiner an eine weitere Verfolgung der Eindringlinge.
„Wo ist Calla?“
Die überraschte Frage Uwlads, der einige Schritte weiter gelaufen war, erreichte ihn.
„Zurückgegangen zur Felsnische?“
Geduckt im Schutz der Felsen zogen die beiden sich von der Tempelanlage zurück, erreichten bald darauf ihren kleinen Unterschlupf, den sie allerdings verwaist vorfanden. Unruhe dehnte sich in Baldur aus.
„Was mag vorgefallen sein?“
Sein Blick suchte in den Zügen des anderen eine Antwort, einen Vorschlag, etwas zu unternehmen.
'Nur nicht tatenlos warten!'
Uwlad entließ den Ton des nachdenklichen Sinnens, kaute unbemerkt auf seiner Unterlippe und ließ seinen Blick ziellos in den blauen Himmel gleiten.
„Wir werden es erfahren, sobald wir Calla gefunden haben.“
Baldur nahm seinen abgestellten Bogen wieder in die Hand.
„Dann los! Je länger wir zögern, desto schlimmer kann es Calla treffen.“
Ein nüchterner Blick traf ihn.
„Gleichzeitig sollten wir ein Auge auf diese wilden Bienen in ihren grauen Kutten halten. Du hast ihre Königin getötet.“
Baldur vermeinte in den Worten des Gardisten den reinen Hinweis zu finden, aufmerksam zu sein, doch schlugen sie wie eine geballte Faust in seinen Leib. Krampfender Schmerz und massive Übelkeit dehnte sich in seinem Magen aus. Jedes bisher getötete Tier hatte sein Leben gelassen um seines und das seiner Sippe zu gewährleisten. Jedes getötete Tier war mit der Anrufung der Großen Mutter der Ferrud verendet, war in Ehren gestorben.
Er hatte einen Menschen getötet! Nicht aus der Notwendigkeit heraus, sein eigenes Überleben zu sichern, sondern allein aus Verachtung, Widerwillen und Hass.
„Lass uns Calla suchen.“
Er benötigte dringend eine Ablenkung, sonst würde sich diese Klauenhand des Gewissens in seinem Leib festsetzen.

„Was wollt ihr?“
Eine raue Stimme, die gleich einer Sturmfront auf die Ankömmlinge zubrandete, ließ sie innehalten. Die Erinnerungen zurückdrängend, straffte Radh seine Schultern, schaute dem Wachhaben geradewegs in das feiste Gesicht.
„Wir sind Reisende und wünschen Einlass in diese Stadt, uns auszuruhen und für die Weiterreise zu erfrischen.“
Er spürte den Blick des anderen über seinen Körper gleiten, ahnte ebensolche Empfindungen bei seinen Begleitern.
„Bunte Truppe! Woher?“
„Wir kommen von weit her, aus dem Westen.“
Mit einem grunzenden Ton hob der Hüne seinen Arm, kratzte sich an der kahlen Kopfseite.
„Von wo?“
Inständig hoffte Radh, seine Einschätzung der geistigen Fähigkeiten seines Gegenübers mögen kaum über den Palisadenzaun Seicôrs hinaus reichen.
„Aus Rhadilon und Umgebung.“
Erfreut stellte er fest, dass seine Stimme wesentlich sicherer klang als er sich fühlte.
„Ah.“
Erneut grunzte der Wachhabende, trat einen Schritt hinter das Tor und gewährte ihnen somit den Zutritt.
„Seid gedankt.“
Rasch senkte Radh den Kopf, befürchtend, die Erleichterung und auch Freude über die Einfältigkeit des Wachhabenden könnten sich in seinen Zügen widerspiegeln.
„Rechts bis zum Verhau, dann links. Da is `n Brunnen.“
Als sie die breite, staubige Straße auf den Bretterverschlag entlanggingen, glitt Radhs Blick verstohlen in alle Ecken und Winkel. An seiner Seite und in seinem Rücken wusste er die Kameraden, die ihm gleich die Lage auskundschafteten. Er wollte sich am Ende der Straße bereits den Weisungen des Wachhabenden entsprechend zur Seite wenden, als die leise Berührung Phroners auf seinem Arm ihn innehalten ließ.
Stehend, den Geräuschen lauschend, erkannte er, worauf der Blinde ihn hatte aufmerksam machen wollen. Aus dem Grund unter ihren Füßen klang ein leises Ächzen und Mahlen durch das Gestein.
Sie hatten ihr Ziel erreicht.
 
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Kommentare  

Obwohl sich nun sehr vieles klärt, war das vorherige Kapitel noch etwas eindrucksvoller. Natürlich liest man am liebsten die Teile deines Romans, in denen Doggar vorkommt und wahrscheinlich befürchtet man, dass mit diesem nun endgültig Schluss ist. Ich bin gespannt ob nun Calla oder sonst irgendjemand deiner Helden der Aufgabe gewachsen ist, den überaus eindrucksvollen Ragon zu ersetzen und natürlich interessiert mich auch sehr das Finale.

Marco Polo (23.01.2013)

Jetzt steuert aber alles sehr auf ein Ende zu. Schade, am meisten bedauere ich , dass es dann wohl Hauptmann Doggar - eigentlich Ragon - nicht mehr geben wird. Nun müssen sich die Freunde ohne seine Ratschläge weiterhin zu helfen wissen. Sehr spannend.

Else08 (20.01.2013)

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