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2 Seiten

Leben

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Wenn die Sonne ihre Strahlen durch die blau getönten Scheiben meiner Fenster wirft, schließe ich die Augen.
Ich beende meinen Tag, wenn andere ihren beginnen, habe seit Jahren kein Licht auf meiner Haut gespürt. Ich bin blass und fahl, gefangen in der Dunkelheit. Das Licht macht mir Angst.
Ich weiß, dass ich ernsthaft krank bin, der Schimmel und das mangelnde Sonnenlicht haben das bewirkt, aber es ist mir gleich.
Ich lebe nur vor mich hin, seitdem ich erkannt habe, dass ich im Leben auch durchs Wollen nichts erreichen kann. Ich habe aufgegeben und schäme mich nicht dafür, ich lache über diejenigen, die täglich probieren, aus ihrem Leben etwas zu machen.
Das Sonnenlicht ist eine Lüge.
In der Nacht sind alle ehrlicher, man vergisst seine Sorgen, seine Ängste, lebt für den Moment und muss nicht nachdenken. Ich verbringe mein ganzes Leben während dieser Tageszeit.
Nacht für Nacht verlasse ich die alte, verrottete Wohnung in einem glitzernden Kleid, das schwarze Haar locker hochgesteckt und mit rotem Lippenstift wirke ich wie ein Geist. Ich probiere, genau das zu sein. Nur eine Erscheinung, eine Erinnerung an jemanden, den es nicht mehr gibt.
Ich renne die ganze Straße hinunter, renne, bis ich irgendwann vor dem Haus stehe, zu dem ich will, ich bin verschwitzt und meine Haare hängen mir im Gesicht, das bin ich, diese abgebrannte, verwahrloste Frau. Mehr will ich nicht sein. Aus dem Haus klingt laute Musik, ich sehe Menschen, die lachen, sich unterhalten, Spaß haben, davorstehen. Mit ihnen will ich nichts zu tun haben. Ich dränge mich durch sie hindurch, spüre die Blicke der zurecht gemachten Frauen, die möglichst viel tun, um perfekt auszusehen, registriere, dass die Männer mir hinterher sehen mit einer Mischung aus Begierde und Mitleid. Sie wissen nicht, dass ich für sie genau so empfinde. Ich habe Mitleid mit all diesen Menschen, die immer noch hoffen, dass perfekte Leben zu führen, jeden Tag aufstehen und probieren alles richtig zu machen.
Ich betrete das große Haus und schenke den Blicken keine Beachtung. Ich trage keinen Mantel, obwohl es Ende Oktober ist und meine herrausstehenden Knochen sehen in dem schwachen Licht noch kranker aus. Ich habe keine Zeit zu essen.
Ich bin im hintersten Zimmer des Hauses angelangt und spüre, wie Erregung meinen Körper durchfließt. Ich öffne die hinter einem Vorhang verborgene Tür, keiner der übrigen Gäste schenkt mir mehr Beachtung, in diesem Teil des Hauses sind nur noch diejenigen, die so voller Drogen und Alkohol sind, dass sie ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen.
Die schalldichte Tür verhindert, dass die harten Klänge der unten gespielten Musik den entspannteren hier oben die Show stehlen, doch in dem Moment als ich diese öffnete, dröhnt sie für einen Moment überall hin, die ganze Feier wird für einen Moment gestoppt. Schnell trete ich auf die erste Stufe und schließe die Tür wieder hinter mir.
Ich zittere am ganzen Leib, mein Herzschlag wird schneller, schlägt im Takt der harten Bässe aus den dröhnenden Lautsprechern, die überall im Keller stehen.
Ich laufe hinunter, kann es kaum erwarten, endlich einzutauchen in die Wogen der sich wiegenden Menschen, hier unten sind die,die sind wie ich.
Nacht für Nacht kommen hier die selben hin, Leute, die nur für diesen Tanz leben, den ekstasischen Kontrollverlust und das Aufgeben seiner selbst. Ein Feuer brennt hier unten, frisst uns auf, durchfährt uns, Stromschlag für Stromschlag, ich bin komplett elektrisiert, kann nicht denken, kann kaum atmen, kann nicht aufhören, mich zu bewegen.
Jede Nacht um 6 wird mit einem Mal die Musik ausgeschalten. Jedes Mal ist es ein freier Fall zurück auf den harten Boden der Realität. Ich fühle mich, als hätte jemand die Zeit verlangsamt, ich blicke in verwirrte Gesichter von Menschen, die nicht glauben können, wo sie sind und was geschehen ist. Mein Herz hört auf zu Flattern, hört beinahe auf zu schlagen.
Meine Augen sind voller Tränen und meine Arme zucken, ich fühle mich vollkommen.
Das ist leben.
 
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Kommentare  

Die harten Realitäten unseres Lebens hast du mit passenden Worten ganz toll rübergebracht. Auch ich bin bereits unter dem mir selbst auferlegten Anspruch total perfekt sein zu müssen, gescheitert. Zum Glück bin ich noch nicht in diese düstere Welt der Drogen - die du besonders toll in den Fokus deiner sehr gelungenen Geschichte gerückt hast - eingetaucht. Eine Warnung an alle anderen Leser, dieses doch bitte nicht zu tun, denn Drogen führen in eine Sackgasse, aus der ein Entrinnen nur noch verdammt schwer möglich ist!
Übrigens: Dein Schreibstil gefällt mir sehr!
LG. Michael


Michael Brushwood (24.10.2012)

WOW!
Unglaublich, deine Geschichten fesseln mich einfach nur!!!


Any *sentire* (24.10.2012)

Düster, tragisch, auf seine Weise anrührend.
Aber, stellenweise musst du noch am Ausdruck feilen. Zum Besipiel das Wort -probieren- das klingt an mindestens zwei Stellen unbeholfen. Versuche es mal mit -versuchen- ;-)
Im Großen und Ganzen aber hat mich der Text angesprochen.


darkwitch (24.10.2012)

Mit diesem kleinen Text triffst du genau meinen Nerv.
Die Beschreibungen sind stimmig, der Charakter wirkt authetisch und die Darstellung dieser (Gedanken)Welt ist dir somit einfach gelungen.

Genau so etwas will ich lesen.

Gerade der zweite Absatz ist derart echt beschrieben, dass ich einfach nur applaudieren kann (stell dir an dieser Stelle klatschende Hände vor)


Jingizu (24.10.2012)

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