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Bloß gut, dass ich schon älter bin!

Poetisches · Amüsantes/Satirisches
Das Leben rennt im Dauerlauf:
Kaum ist man auf der Welt,
klopft schon die Rente an die Tür
mit viel zu wenig Geld.

Drum soll man Zusatzrente sparn,
dass man gut leben kann.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
mich geht das nix mehr an.



Wenn ich mal mit der U-Bahn fahr,
dann wunder ich mich sehr.
Kein Mensch schaut Dir mehr ins Gesicht,
man stiert nur vor sich her.

Zwei Stöpsel stecken in den Ohrn,
die dröhnen dann und wann.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
mich geht das nix mehr an.



Der Fußball ist ein schöner Sport,
das war schon immer so.
Und wenn ein Tor für „unsre“ fällt,
dann ist man wirklich froh.

Heut prügelt man sich nach dem Spiel:
Mann kämpft da gegen Mann.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
mich geht das nix mehr an.



Auf Mädels stand ich immer schon,
ich mag sie wirklich sehr.
Doch wenn ich heut manch Mädel seh,
wird mir das Herze schwer:

Man raucht und säuft und hascht und kifft,
und manche schaffen an.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
mich geht das nix mehr an.



Wer einst ein Moped „Schwalbe“ fuhr,
der galt als toller Hecht.
Und wenn wer zur Gitarre sang,
dann war das auch nicht schlecht.

Mit „iPad“ oder „tablet“ steht
man heute seinen Mann.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
mich geht das nix mehr an.



Man arbeitet und kämpft darum,
dass man den Job behält.
Verlierste den, dann geht’s bergab,
und knapper wird Dein Geld.

Wer bis zur Rente Arbeit hat,
gilt fast als Supermann.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
mich geht das nix mehr an.



Wenn man Dir heut Gerechtigkeit
und Wohlergehn verspricht,
dann lächle allen freundlich zu,
doch glaub den Blödsinn nicht.

Was Dir Politiker erzähln,
da ist kaum Wahres dran.
Bloß gut, dass ich schon älter bin,
ich seh das denen an.



www.wolfgang-reuter.com, 01. 11. 2012


Indessen habe ich ein Lied daraus gemacht. Auf meiner Homepage kann man es anhören unter "Hörproben", Nr. 11!
 
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Kommentare  

Jau, da stimme ich zu. Wie immer detailiert
beobachtet. Allergrößten Respekt meinerseits!


Stephan F Punkt (07.09.2014)

Lieber Wolfgang, was soll man hier noch positiv hinzufügen? Es ist schon alles gesagt. Es ist eine Freude, solche flüssigen und stimmigen Texte zu lesen.

Michael Kuss (03.12.2012)

Hallo Jingizu,

herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Du lässt ja wirklich kein Auge trocken. Besonders dankbar bin ich Dir, dass Du zwischen dem Protagonisten und mir als Autor zu unterscheiden weißt.

Warum ich den Text geschrieben habe? Vor allem wegen Strophe 6. Als ich im Betrieb in die Altersrente verabschiedet wurde, sagte ein Kollege zu mir: „Du hast es gut, Du hast es geschafft - Arbeit bis zur Rente!“
Dieser Satz ist mir im Gedächtnis geblieben; denn er ist sehr traurig: Man soll sich freuen, dass man Rentner geworden ist??! Hier stimmt etwas in unserer Gesellschaft nicht. Es darf nicht sein, dass das Zittern um die eigene Existenz frühestens mit dem Rentenbeginn (und für viele niemals) aufhört.

Der konkrete Anlass für meinen Text aber ist ein anderer. Wie Else schon richtig vermutete, habe ich mir einen Liedtext geschrieben für mein satirisches Programm „Jetzt ham wa den Salat!“ Weil ich damit auch oft bei Rentner-Gruppen der Volkssolidarität zu Gast bin, habe ich versucht, den jahrtausendealten Slogan der Alten „Früher war alles besser!“ zu karikieren. Und wenn ich Dich recht verstanden habe, scheint mir das ja auch gelungen zu sein.

Allerdings würde ich mit Deiner Pauschalverteidigung aller Jugend-Torheiten nicht so ganz mitgehen. Nicht alle Ohrstöpsel in der U-Bahn geben wohl Vorlesungsinhalte wieder; und Prügeleien werden nicht dadurch attraktiver, dass sie „Geschichte“ haben. Ich will hier aber nicht „schulmeistern“; denn ein Text ist kein Kreuzworträtsel, wo der Autor am nächsten Tag die richtige Lösung veröffentlicht. Und deshalb steht es Dir frei, Deinen Gedanken und Empfindungen freien Lauf zu lassen. Ich freue mich, dass ich Dich dazu animieren konnte.


Wolfgang Reuter (03.11.2012)

Hallo Else,

Lied hin oder her - mit deiner Interpretation kann ich nicht übereinstimmen und zwar bin ich so sehr von deren Gegenteil überzeugt, dass ich dieses kleine Werk einer genaueren Beobachtung unterzieen möchte.

Es ist ein Text dessen Inhalt nur so von Desinteresse und Oberflächlichkeit des Protagonisten strotzt. Es werden zwar Beobachtungen gemacht, die aber in keinen Kontext zur realen Welt gebracht, sondern nur zu der des Protas.

*******************

1. Strophe: Rente/Zusatzrente
Allein schon die Wortwahl "Zusatzrente" statt z.B. "Riesterrente", welches sprachlich ebenso perfekt passen würde, zeugt davon, dass unser Prota der Welt schon längst den Rücken gekehrt hat.
Bereits vor Jahren haben uns Experten und Sendungen wie "Wiso" lang und breit erklärt, dass jeder mit einem normalen bis kleinen Einkommen an seinem Lebensende nicht einen zusätzlichen Cent aus der Riesterrente bekommt und allein die Leute daran verdienen, die die Riesterrente verkaufen - dennoch lebt unser Prota in einer Welt, in der immer noch die Werbeslogans von vor 5 Jahren seine Gültigkeit haben.

2. Strophe: öffentlicher Nahverkehr
Der komplette erste Teil kritisiert alle anderen Menschen. Nur er ist nach seiner Ansicht normal, weil er ja den anderen ins Gesicht blicken will. Dennoch sucht er nicht über Smalltalk den Kontakt zu den Leuten, sondern nimmt die Tatsache, dass ihn keiner anblickt (vielleicht, weil niemand unschicklich auf die gewaltigen Herpesblässchen an seiner Lippe, oder die knallrote Säufernase starren will,...) als Fakt dafür, dass die Welt um ihn herum automatisch schlechter geworden ist.
Ebenso der zweite Teil der Strophe in denen es um "die Stöpsel in den Ohren" geht.
Allein schon zu meiner Studienzeit, die schon etwas her ist war es Gang und Gebe, das Kommilitonen die Aufzeichnungen von Vorlesungen oder Krieg und Frieden auf der Fahrt zur Uni sich noch einmal akustisch durch den Kopf gehen ließen - unserem Prota sind solche Dinge nicht bekannt und sie interessieren ihn auch nicht. Für ihn hört jeder andere wahrscheinlich nur gewaltverherrlichende Rapmusik, die zu Schulmassakern auffordert. (Hyperbel meinerseits)

3. Strophe: Sport
"Fußball ist ein schöner Sport, das war schon immer so." ist ein wunderbar stereotypes Allgemeinplätzchen. Er findet Fußball gut, also ist es "ein schöner Sport und war es schon immer gewesen" - seine Meinung diktiert sein Weltbild.
Hooligans gehen bis zum Ende des 19. (!!!!) Jahrhunderts zurück und hatten in den 50ern und 60ern des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit, dennoch ist in der Wahrnehmung des Protas heute alles viel schlimmer und früher war alles besser.

4. Strophe: Frauen
Hier setzt sich die klischierte Beobachtungsweise fort. Verallgemeinerungen wohin man blickt, so als ob Alkohol, Zigaretten, Hanf und Prostitution eine Neuerung der letzten 5 Jahre waren.

5. Strophe: Technik
Hier trifft Wolfgang die Bigotterie perfekt wie in keiner anderen Strophe.
Unser Prota schwärmt von seiner Jugend, als man mit dem Statussymbol "Schwalbe" die Frauenbeine um sich herum öffnen konnte und verdammt im nächsten Satz dass die jetzige Generation über andere Statussymbole verfügt.

6. Strophe: Arbeit
Hier fehlen etwas die Überspitzungen, die den Rest des Textes so herrlich satierisch machen

7. Strophe: Politik
Auch hier heißt es wieder "wenn man dir heut [...] verspricht, dann [...] glaub den Blödsinn nicht". In der Welt des Protas war es also früher so, dass das Wort eines Politikers in Stein gemeißeltes Gesetz war, an dass er sich uneingeschränkt hielt und erst die heutigen "Herrscher" so wankelmütig und verlogen sind.

Refrain
Der Refrain macht einen wichtigen Teil dieses Liedes aus, denn er unterstützt nach jeder Strophe die Erkenntnis des Lesers, dass hier jemand spricht, der die Welt zwar noch sieht, aber sie nicht mehr wahrnimmt und ihr den Rücken gekehrt hat.
Probleme wie Rente, Politik, Technik, Sport gehen jederman an - und wenn auch nur indirekt durch Kinder und Kindeskinder, aber unser Prota hat sich entschlossen, sich aus der Welt auszuklinken und nur noch mit einem sauren "früher war alles besser Kopfschütteln" durch sie zu ziehen. Nach mir die Sintflut.

Diese durchaus verbreitete Einstellung trifft Wolfgang perfekt und kann sie satierisch zynisch Strophe für Strophe rüberbringen.


Jingizu (03.11.2012)

Na, ganz so wie Jingizu sehe ich dein Gedicht nicht. Dem Klang nach ist es wohl ein Lied. Es hat ein Refrain und dieses weißt zwar auf eine ältere Person hin, aber alles übrige sind doch scharfe Beobachtung. Humorvoll weist du mit diesem - wirklich gut gereimten Gedicht auf die Probleme in unserem System hin.

Else08 (02.11.2012)

Uhhhh das Werk hier hat mir wirklich gut gefallen. Es hat einen eingängigen Rhythmus und diese herrliche alte-Leute-Sichtweise auf die Welt, die den Text so sympathisch macht.
Jeder lebt wohl irgendwann in einer Welt, die nichts mehr mit einem gemein hat und in der man sich nicht mehr zurechtfindet und es auch keinen Sinn mehr hat, es zu versuchen.


Jingizu (02.11.2012)

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