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Mörder-Märchen und Sadisten

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
Zugegeben, ich bin ein Sadist! Sogar viel schlimmer: Ein Biedermann, der sich nicht heimlich, sondern ganz offen darüber freut, wenn andere gequält, ermordet, vergiftet oder aufgeschlitzt werden. Wenn Schmerz und Leid zugefügt, wenn gequält oder herabwürdigt werden, wenn man Menschen in ihrer Ehre beleidigt, Intrigen gegen sie spinnt oder ihnen höllische Qualen bereitet, egal ob seelisch oder körperlich, am liebsten beides zusammen. Ich blühe auf und mein Herz schlägt schneller, wenn Menschen oder Tieren das Herz herausgerissen wird. Fasziniert lese ich Geschichten über Mord und Totschlag. Fasziniert lese ich unsere deutschen Mörder-Märchen der Gebrüder Grimm.
Es törnt mich an, wenn dem bösen Wolf der Bauch aufgeschlitzt wird; ich höre ihn vor Wollust brüllen, wenn er Kinder oder Geißlein genüsslich frisst und dann höre ich förmlich seine qualvollen Schreie, wenn sein Bauch mit einer Schere aufgetrennt wird, stelle mir vor wie das Blut spritzt und die Gedärme sich winden. Meine Phantasien werden ins Unermessliche getrieben. Ich liebe das boshafte Grinsen der abscheulichen Königin beim Anblick des dahinsinkenden und sterbenden Schneewittchens. Mich ergötzen die aufgerissenen Augen der erschrockenen, dummen und gelacktmeierten Zwerge. Meine Lebensgeister werden geweckt, wenn ich lese, wie das Aschenputtel durch Habgier, List und Intrigen, durch Hochmut und Eitelkeit gedemütigt und verarscht wird. Es baut mich auf, wenn Häuser abgefackelt, Menschen hintergangen werden. Das Böse kann garnicht deutlich genug aufgezeigt werden, um eindrucksvoll auf Kinder wirken zu können.
Und deshalb habe ich auch mit meinen Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenken für die lieben Kinder und Enkel keine Probleme: Neben boshaften Computerspielen, in denen lustig Krieg geführt und herrlich geballert, abgeknallt und gemordet wird, erfreuen auch die Helden und Antihelden deutscher Märchen die Kinderherzen. Deshalb verschenke ich solche Bücher mit Liebe und sadistischer Wollust. Pädagogisch wertvoll!

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Kommentare  

Wenn man bedenkt, dass Märchen ursprünglich für Erwachsene mündlich überlieferte Geschichten über die Lebens- und Glaubenswelt früher Zeiten waren und Kinder eben "zufällig" dabei waren, wenn sie erzählt wurden...
Dass man sie dann ausdrücklich Kindern erzählte und heute noch in dieser grausamen Art erzählt, hat tatsächlich etwas mit einem Pädagogik-Verständnis zu tun, das Kindern gerne das Fürchten lehrte und lehrt. So in der Art: Ja, dieser ganze Dreck, dieses Elend, diese Gewalt gehören zum Leben, mein Kind, gewöhne Deine zarte Kinderseele früh genug an diesen Molloch..!


Gringa (17.11.2013)

Lieber Wolfgang Reuter: du hast mir Übertreibung und zu große Blutrünstigkeit vorgeworfen, als ich das Wolf'che Bauchaufschlitzen so grauselig beschrieb. Denn die lieben Gebrüder Grimm hätten das ja in ihrem Text viel weniger grausam und für Kinder erträglich beschrieben. Da unterschätzt du aber gewaltig die Phantasien von Kindern! Es geht nicht darum, wie angeblich "human" eine Situation beschrieben wird, sondern darum, was Kinder in ihrer grausigen Phantasie daraus machen! Alleine das Ansetzen einer Schere zum Aufschlitzen eines Bauches erzeugt Albträume. Ich habe Kindern in einer Vorschulklasse dieses Grimm-Märchen im Original vorgelesen und war erschrocken über die blutrünstigen Phantasien und Schreckensbilder, die die Kinder dann noch gesponnen haben. Da wäre jeder Drehbuchautor von Horror-Krimis ins Schwärmen geraten.

Michael Kuss (21.12.2012)

Nein – so ganz kann ich dem allgemeinen Tenor nicht folgen. Märchen sollen genauso grausam sein wie Ego-Shooters? Da habe ich meine Zweifel:

Wie beschreiben die Brüder Grimm doch gleich den Tod der Hexe in „Hänsel und Gretel“? Ich zitiere wörtlich: „Da gab ihr (der Hexe) Gretel einen Stoß, dass sie weit hineinfuhr (in den Backofen), machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor. Hu! Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die böse Hexe musste elendiglich verbrennen.“

Welches Ego-Shooter-Spiel würde sich wohl mit so knapper und unblutiger Vernichtung des Bösen begnügen?

Und Dein Rotkäppchen-Wolf, lieber Michael, wird weit humaner seiner Menschen-Mahlzeit beraubt, als Du es Dir in Deinen blutrünstigen Phantasien ausmalst. Auch hier mag das Grimm-Zitat helfen:

„Der Jäger … schoss nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus … Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen.“

Wo sind hier Deine „qualvollen Schreie, wenn sein Bauch mit einer Schere aufgetrennt wird, wenn das Blut spritzt und die Gedärme sich winden“???

Kurzum: Bei allem Spaß an Sarkasmus und bei aller Satire und Ironie – Der provozierte Vergleich ist schief gewickelt, von anderen Momenten wie dem künstlerischen und historischen Wert beispielsweise mal ganz abgesehen.

Ego-Shooter sind aus meiner Sicht einfach moralisch fies, versichert Euch


Wolfgang Reuter (20.12.2012)

Eine sehr gelungene satirische Kurzgeschichte und, wie mir scheint, auch ein Diskussionsthema. Wenn ihr meine Meinung dazu wissen wollt. Selbstverständlich ist es nicht gut, wenn Kids über Computerspiele auf Menschen ballern, aber die Märchen haben mir früher auch Angst bereitet. Weshalb man sie trotzdem geliebt hat? Es gab früher viel wenigener Geschichten. Heute wird die Jugend von dieser Menge an Stories geradezu erschlagen. Einzige Möglichkeit, dosieren! Michael, hat also den Nagel direkt auf den Kopf getroffen mit seiner Story. War mir eine Freude, das zu lesen.

doska (20.12.2012)

Ein Märchen ist meist düster, unheimlich und manchesmal sogar brutal. Aber hauptsächlich lustig, lehrreich und spannend. Jedes Kind weiß, ein Märchen ist und bleibt unrealistisch. Das Gute siegt zu guter Letzt oder der Böse bekommt, was er verdient. Das wussten wir damals, als wir Kinder waren. Trotzdem waren nach einer Gutenachtgeschichte der Gebrüder Grimm, so wie auch die von Wilhelm Busch, manchesmal Albträume vorprogrammiert. Aber Albträume, im gesunden Maße, regen durchaus zum Nachdenken an. An ein Gebrüder Grimm erinnert man sich ein lebelang und so mancher Kerngedanke eines Märchens, begegnet einem früher oder später in der Welt.

Heute lieben die Kinder eher Ego-Shooters und lachen sich kaputt, wenn sie mit einer Schrotflinte einen virtuellen Feind das Hirn wegballern. Jedes Kind weiß, benutzt man eine geladene Waffe, endet es meist tödlich.
Sehr begehrt sind Videogames, die zensiert sind, weil Blut herumspritzt. Dann freut sich so mancher Knabe und er spielt wochenlang, stundenlang. An Medal of Honor Teil sowieso werden sich die Kids nach ein paar Jahren nicht mehr genau daran erinnern, nur, dass sie es eventuell gespielt hatten. Mehr nicht.

Ja, dann bist du tatsächlich ein Sadist, weil du den Kindern ihre Freude am Killen nicht gönnst, dafür aber pädagogisch wertvolle Albträume, an denen sie sich noch jahrzehntelang erinnern, eventuell erschaudern werden. Gelungene Prosa, die zum Schmunzeln sowie Nachdenken anregt.


Francis Dille (20.12.2012)

Über Märchen wird viel diskutiert. Sie werden weiterhin gelesen, verschenkt und vorgelesen.
Sie sind in der Regel grausam, das stimmt, aber das wurde von uns als Kindern damals selten so streng interpretiert. Wenn man Märchen auseinandernimmt, dann gibt es natürlich viele Paralellen zur Realität. Die Hexe in Schneewittchen könnte als Symbol für jene Menschen stehen, die Kindern und jungen Menschen vielleicht Drogen oder unseriöse Verträge anbieten möchten...
Du hast die Märchen bewusst überspitzt und grausam dargestellt und in Bildern gesprochen.
Das hat was. Der Text hat mir gefallen. Das "pädagogisch wertvoll" setzt die Krone auf :)


Sabine Müller (20.12.2012)

Ich habe schallend gelacht. Köstlich! Herrliche Bloßstellung der romantisch verklärten Märchenwelt. Die Leute regen sich über brutale Computerspiele auf, dabei sind noch viel schlimmere Grausamkeiten in Märchen bereits Jahrzehnte alt. Da muss zum Beispiel die Hexe in Schuhen mit glühenden Kohlen tanzen - das ist doch Folter- oder die Schwestern von Aschenbrödel müssen sich die Hacken abschneiden um in den Schuh von Aschenbrödel zu passen. Das hat mich als kleiner Junge immer sehr erschüttert, aber niemand machte sich Gedanken darüber. Da ist die Frage wie so etwas pädagogisch wertvoll sein kann, wirklich berechtigt. Danke für diesen Spaß, sehr gelungen!

Jochen (20.12.2012)

Hallo Jingizu: Möglicherweise liegt es auch nicht an deinem Verständnis, sondern an meiner möglicherweise ungenauen Übermittlung. Dafür posten wir doch hier unsere Texte, nicht als Selbstbeweihräucherung, sondern um zu lernen. Und ich werde wohl diesen Text erst dann besser einschätzen, nachdem ich auch konträre Kommentare zur Kenntnis genommen habe. Auch dein "Unverständnis" ist ein hilfreicher Kommentar, der mich zum Nachdenken bringt. Es wäre von mir dumm und überheblich zu sagen, ich hätte die Story "richtig rübergebracht", aber keiner würde sie verstehen. Wenn sie mehrere LeserInnen nicht verstehen, dann ist was falsch an der Geschichte.
Momentan denke ich noch, ich hätte sie richtig geschrieben, so wie ICH Satire und Sarkasmus verstehe. Ob ich sie aber auch richtig "rübergebracht" habe, ist eine andere Überlegung. Ich arbeite daran...


Michael Kuss (20.12.2012)

Nee... selbst mit rosis Kommentar krieg ichs immer noch nicht auf die Reihe ^^ aber nicht schlimm - ich muss nicht alles kapieren.

Jingizu (20.12.2012)

@ rosmarin: Na also, da kommen wir der Sache schon näher...

Michael Kuss (20.12.2012)

@-michael, dein sadist ist für mich kein sadist, denn er schaut nur zu, hat freude an "sadistischen" geschehen. demnach sind wir doch alle sadisten, wir schauen uns schreckliche krimis an, hören nachrichten über die furchtbarsten dinge der welt, ergötzen uns auf dem weihnachtsmarkt im gruselkabinett. was noch harmlos ist, züchten und schlachten tiere
und essen sie, schmücken uns mit ihren fellen und häuten, und, und... dagegen sind die grimmschen märchen völlig harmlos. außerdem siegt in ihnen immer das gute über das böse. was ja im realen leben nicht der fall ist. das nur in kurzfassung. und, man muss das böse zeigen, damit das gute zu seinem recht kommt. vielleicht willst du ja mit deinem text das gleiche vermitteln? und sagen, dass dein sadist keiner ist? (satire)
gruß von


rosmarin (20.12.2012)

@ Jingizu: Logik ausschalten! Satire, Ironie und Sarkasmus einschalten!

Michael Kuss (20.12.2012)

So ganz versteh ich diesen Text nicht. Die Pointe scheint nicht so ganz zum vorherigen Aufbau zu passen - oder (wie gesagt) ich versteh es einfach nur nicht.

Wenn er ein Sadist ist, dann müsste er doch etwas verschenken, dass anderen Leid bereitet, um sich dann daran zu erfreuen. Auch erscheint mir die Verteufelung eines ganzen Genres eher borniert als sadistisch. Und warum "pädagogisch wertvoll" Will er ein Lehrer des Sadismus werden?

Der letzte Absatz wirft für mich mehr Fragen auf, als er beantwortet.


Jingizu (20.12.2012)

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