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16 Seiten

Schattenmacht - Das letzte Licht -4-

Romane/Serien · Fantastisches
Der barocke Friedhof im Norden Englands


Wir erscheinen neben dem Brunnen und automatisch taste ich nach Uriels Resonanz. Ich finde sie schnell und weiß sofort, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Meine Augen weiten sich erschrocken und Shanael, die den Blick bemerkt, lässt sofort meine Hand los. Mit einem schnellem Schritt ist sie schon um mich herum und hindert den jungen Mann, der verdächtig taumelt, der Länge nach hinzufallen.
"Geh schon!"
Ihre Stimme klingt ein wenig schroff, aber ich weiß, das sie es nicht böse meint. Ich nicke ihr kurz zu und gehe erneut den Schritt, um so schnell wie möglich in meinen Ruheort zu gelangen, wo Uriel ist.
Es geht ihm ganz und gar nicht gut, das habe ich sofort wahrgenommen. Aber ich habe nicht geahnt, dass es so schlimm ist. Uriel liegt wieder bewusstlos auf meinem Lager. Doch diesmal schläft er nicht ruhig, sondern zuckt unruhig. Er hat ganz offensichtlich hohes Fieber und Schmerzen.
"Oh verflixt," rufe ich aus und beuge mich über ihn," was ist das denn?"
Sanft lege ich meine Hand auf seine heiße Stirn.
"Uriel? Uriel, kannst du mich hören?"
Benommen öffnet er die schweren Lieder und ich schrecke etwas zurück. Sein Blick ist leer, aber was mich so sehr erschreckt, ist die Tatsache, dass seine Augen dunkler wirken, als normal. Es ist gerade so, als würde das Licht darin erlöschen. Zutiefst besorgt streiche ich im die feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Uriel? Komm schon, sieh mich an, ja!"
Plötzlich fühle ich mich ausgesprochen seltsam, gerade so als würde sich meine Kraft verstärken. Meine Hände werden warm, oder bilde ich mir das ein? Ein leichter Schwindel ergreift mich und ich muss mich mit der zweiten Hand abstützen. So schnell es begonnen hat, so schnell ist es auch schon wieder vorbei und ich fühle mich nur noch ein wenig erschöpft. Verwirrt frage ich mich, was gerade geschehen ist.
Doch dann atme ich erleichtert auf, als ich sehe, dass in die Augen des Engels wieder Leben zurückkehrt. Erkennen spiegelt sich nun darin wieder und die beunruhigende Dunkelheit ist verschwunden. Er blinzelt einige Male.
"Hoffnung?" Seine Stimme klingt schwach.
"Uriel," ich höre mich erleichtert an," du hast mir einen höllischen Schreck eingejagt."
Ich versuche ein Lächeln, das mir aber nicht so ganz gelingen will.
"Entschuldige." Uriel klingt immer noch schrecklich schwach.
Ein Schauder läuft ihm über den Körper und ich decke ihn vorsichtig wieder zu.
Über mir kann ich hören, wie sich die Gittertür des Mausoleums quietschend öffnet. Einen Moment später erklingt Shanaels fragende Stimme, die ich durch den Stein gedämpft hören kann.
"Hoffnung? Bist du hier irgendwo?"
Schnell erhebe ich mich, lasse Uriel kurz allein und gehe über die Treppe nach oben, um die Klappe zu öffnen. "Ich bin hier. Kommt runter."

Während sich Shanael und der junge Mann langsam die Treppe herunterbewegen, entzünde ich noch weitere Kerzen. Der junge Mann lässt sich scheu auf der Treppe nieder, während der Engel die Klappe wieder schließt. Sie kommt zurück, tritt auf mich und Uriel zu und betrachtet den liegenden Engel scharf. Dann sieht sie mich an.
"Was ist passiert?"
Ich sehe sie durchdringen an, wende meinen Blick kurz dem Menschen zu und dann wieder ihr.
"Er hat schlimmes Fieber. Ich erzähle es dir später."
Kurz runzle ich die Stirn und nehme die Wasserkanne, die Uriel mittlerweile geleert hat, auf.
"Zuerst muss ich noch Wasser holen."
Nun trete ich auf den jungen Mann zu.
"Entschuldige bitte," spreche ich ihn sanft an," ich bin normalerweise nicht so unhöflich. Aber meinem Freund geht es nicht besonders gut und das alles ist so schnell geschehen." Ich lächle schwach.
"Wie ist dein Name?"
Der junge Mann steht auf und lächelt zum ersten mal, seit wir ihm begegnet sind.
"Das ist doch nur verständlich. Du machst dir Sorgen, da bleibt man nicht immer höflich." Jetzt grinst er sogar ein wenig. "Mein Name ist Andreas. Und du heißt wirklich Hoffnung?"
Ich lächle kurz.
"Nein, man nennt mich nur so."
Andreas sieht mich verwirrt an, doch bevor er etwas fragen kann, mischt sich Shanael ein.
"Hallo Andreas, mein Name ist Shanael und das," sie nickt zu Uriel, der wieder das Bewusstsein verloren hat, "ist Uriel."
Sie bedenkt mich mit einem scharfen Blick und kommt die wenigen Schritte zu mir.
"Ich werde dich begleiten, Hoffnung."
Sie schenkt Andreas einen freundlichen Blick.
"Ich möchte dich bitten hier zu warten," sagt sie zu ihm, "und ein wenig auf unseren Freund Uriel aufzupassen. Willst du das für uns tun?"
Noch während der junge Mann nickt, ergreift mich der Engel am Oberarm und geht mit mir den Schritt zwischen Hier und Dort.

Wir erscheinen neben dem Brunnen und sofort lässt sie mich wieder los. Ich bedenke sie mit einem abwartendem Blick und einer hochgezogenen Augenbraue.
"Kann es sein, dass du manchmal ein klein wenig Impulsiv bist?"
Shanael schenkt mir auf die Frage hin ihr schräges Grinsen.
"Entschuldige, manchmal bin ich das wohl."
Ihr Grinsen verschwindet, als ich mich müde auf den Rand des Brunnens setze. Ernst betrachtet sie mich.
"Hoffnung, was ist geschehen?"
Ihre Stimme klingt nun ehrlich besorgt.
Ich sehe sie fragend an und sie wird deutlicher.
"So ein Ort, wie der unter dem Mausoleum dämpft die Resonanz derjenigen, die sich darin befinden. Eigentlich hätte ich dich gar nicht finden können, aber kurz nachdem du verschwunden bist konnte ich Dich plötzlich extrem stark wahrnehmen. Einige Momente lang war deine Resonanz wie ein Leuchtfeuer, dem ich gefolgt bin. Alleine so nur habe ich dich gefunden."
Sie sieht mir tief in die Augen.
"Was ist dort unten passiert, Hoffnung, bevor ich und der Junge da angekommen sind."
Ich sehe sie überrascht an.
"Ich weiß es nicht, " antworte ich ehrlich, "wirklich nicht."
Vorsichtig setzt sie sich neben mich und blickt mich lange an.
"Dann erzähle einfach von Anfang an und wir finden es zusammen heraus."
Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht.
"In Ordnung." Ich atme einige Male durch und beginne.
"Uriel.. Nun als wir uns in New York trennten, hat er mich noch hier her begleitet und ist dann davongeflogen. Aber er ist nicht direkt nach Hause gegangen, sondern noch einmal kurz nach New York. Nur um nach dem Rechten zu sehen und dort wurde er angegriffen." Ich runzle die Stirn. "Seiner Beschreibung nach war es wohl so ein ähnliches Geschöpf, wie das in Bonn, dem wir begegnet sind. Aber eine größere Ausführung, denke ich. Nun auf jeden Fall war es zu stark für ihn. Er konnte es abschütteln, wechselte mit letzter Kraft den Ort und erschien in der Nähe meines Mausoleums, wo ich ihn dann auch gleich gefunden habe."
Ein sehr nachdenklicher Ausdruck erscheint auf meinem Gesicht, als ich mich daran erinnere, was mir Uriel über den Angriff auf ihn erzählt hat. Ohne es zu merken beginne ich mit dem rechten Zeigefinger gegen meine Unterlippe zu klopfen, eine Angewohnheit, die ich schon als kleines Kind hatte, wenn ich Rätsel löste. Mein Blick geht ins Leere.
Shanaels Hand auf meinem Arm schreckt mich auf und ich bemerke, dass sie schon seit einigen Augenblicken versucht meine Aufmerksamkeit zu erregen.
"Hoffnung? Bist du wieder da?" Ihr Stimme kling fast amüsiert und ich nicke automatisch. "Entschuldige, Shanael." Ich runzle erneut die Stirn, dann sehe ich sie so lange an, dass sie etwas nervös wird. "Shanael, das Ding in Bonn, konntest du wahrnehmen, was es einmal gewesen ist?"
Der Engel verneint irritiert.
Ich nicke nachdenklich
"Aber ich konnte es," fahre ich fort," als es an mir vorbei flog konnte ich nicht nur die verzehrte, falsche Bösartigkeit spüren, sondern auch, dass es einmal ein ganz normaler Raubvogel war. Ich glaube, was auch immer Uriel angegriffen hat, das war auch einmal ein ganz normales Tier. Aber das Ding in dem Brunnen, das war nicht so. Es fühlte sich anders an, als die Kreatur, die uns beide in Bonn angegriffen hat. Doch das Ding im Brunnen, das hat die Wesen, die es gefangen hatte regelrecht ausgesaugt, ihr Licht genommen und sie langsam verzerrt und verbogen. Was wenn es sie nicht töten sondern in etwas anderes verwandeln wollte? Was wenn es das schon bei einigen geschafft hatte, bevor wir da ankamen?"
Shanaels Gesicht ist ernst geworden. Langsam nickt sie.
"Ich glaube, ich verstehe auf was du hinaus willst."
Sie fährt sich beunruhig durch das Gesicht.
"Du glaubst, dass die Kreatur, die Uriel angegriffen hat, von dem Platz am Brunnen kam und von dem Ding dort ausgesaugt und verwandelt wurde. Dass es selbst zu etwas ähnlichem, wie diese Kreatur auf dem Platz wurde und Uriel aus einem bestimmten Grund angegriffen hat, oder?"
Ich nicke. "Uriel hat mir, als er mir von dem Angriff erzählen konnte, gesagt, dass es sich angefühlt hatte, als würde es ihn aussaugen. Und ich bin mir ziemlich sicher, das die Wunde an seinem Flügel eine Bisswunde war." Ich sehe den Engel mit geweiteten Augen an und ihr Gesichtsausdruck ist nicht minder erschrocken.
Shanael schluckt trocken.
"Du sprichst von Vampirismus," ihre Stimme klingt rau, "aber nicht wie den von den Vampiren, die die Lebensenergie aus dem Blut ihrer Opfer gewinnen. Sondern von Kreaturen, die sich vom Licht ihrer Opfer ernähren und sie damit zu ihresgleichen machen, oder?"
Ich nicke stumm. Langsam wird uns beiden die ganze Tragweite dieser Gedanken bewusst. Denn wenn es in Bonn schon verwandelte Wesen gab, dann gab es dort vermutlich auch eine ähnliche Kreatur, wie wir sie in New York vernichtet hatten. Wir dachten wohl beide dasselbe und schließlich sprach es der Engel an meiner Seite laut aus.
"Wir müssen zurück nach Bonn, denn sicher gibt es dann dort auch so ein Wesen wie in New York. Wir müssen es finden und zerstören und auch alle Geschöpfe, die es bereits verwandelt hat."
Lange sehen wir uns an, völlig überwältigt von der Verantwortung, die plötzlich auf uns lastete. Einige Zeit schweigen wir nur. Schließlich findet Shanael ihre Stimme als erste wieder.
"Und was ist davor gerade geschehen? Ich meine unter dem Mausoleum mit Uriel. Was hast du gemacht?"
Ich hebe meine Schultern kurz.
"Ich habe keine Ahnung, Shanael. Ich habe sofort gespürt das es Uriel nicht gut ging und war dann erschrocken, wie schlecht es ihm tatsächlich ging. Als er mich ansah, erkannte er mich erst gar nicht und das Licht in seinen Augen war am verlöschen. Ich hab mir Sorgen gemacht und dann fühlte ich mich plötzlich sehr eigenartig. Mir wurde schwindlig und meine Hände wurden, glaube ich, warm. Es war ganz schnell wieder vorbei und ich war ein wenig erschöpft . Aber das Licht in Uriels Augen war wieder zurückgekehrt und er erkannte mich auch wieder. Und dann bist du schon aufgetaucht."
Ich streiche mir mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Als ich aufbrach, ging es ihm schon wieder viel besser. Er hat etwas getrunken, seine Wunden hatten sich so gut wie geschlossen und er fühlte sich einfach nur zu schwach um mich zu begleiten. Ich verstehe gar nicht, wie er nur zwei Stunden später so krank sein kann."
Ich sehe den Engel an und bin erschrocken über den ernsten Ausdruck in ihrem Gesicht.
"Ich glaube, Hoffnung, dass du ihn geheilt hast, als du dich so seltsam gefühlt hast. Das würde auch erklären weshalb du einige Momente lang wie ein Leuchtfeuer warst."
Ich runzle die Stirn.
"Geheilt von was?"
Shanael hält es nicht mehr aus zu sitzen und springt auf, um unruhig herumzuwandern.
Ich sehe ihr kurz zu.
"Shanael," frage ich schließlich entnervt," von was geheilt?"
Sie bleibt ruckartig stehen und sieht mich mit einem intensiven Blick an.
"Was, Hoffnung, wenn es in manchen Fällen schon reicht, dass man von so einer Kreatur gebissen wird? Was wenn das schon für eine Verwandlung reicht?"
Jetzt begreife ich.
"Du meinst, dass wenn wir nicht so schnell hier hergekommen wären und ich nicht getan hätte, was auch immer ich getan habe, sich Uriel in so eine Kreatur verwandelt hätte?"
Shanael nickt nur stumm. Plötzlich halte ich es auch nicht mehr sitzend aus und springe auf die Beine.
"Shanael, und was wenn ich ihn nicht geheilt habe?"
Meine Stimme kling alarmiert und der Engel starrt mich erschrocken an.
"Oh, verflucht! Dann haben wir einen völlig ahnungslosen Menschen mit einem möglicherweise sehr gefährlichem Engel unter einem Mausoleum eingeschlossen."
Sie klingt so erschrocken, wie sie aussieht. Mit einer schnellen Bewegung fülle ich die Kanne, trete zu ihr, ergreife sie beim Arm und gehe den Schritt zwischen Hier und Dort.
Wir erscheinen mitten im Raum unter dem Mausoleum und der junge Mann, Andreas, der mit der Seite zu uns steht, springt vor Schreck fast aus seinen Schuhen. Aufgebracht wirbelt er zu uns herum.
"Wisst ihr eigentlich, dass das eine sehr beunruhigende Art ist, einen Raum zu betreten?"
Er klingt so aufgebracht, wie er aussieht. Anscheinend hat ihm die Ruhepause gut getan, so dass er sich wieder gefangen hat. Auf jeden Fall wirkt er auf mich viel weniger verängstigt und verwirrt, als noch vor kurzer Zeit. Erleichtert atme ich aus, denn Uriel liegt immer noch auf meinem Lager und nun schläft er auch wieder ruhig. Immer noch etwas besorgt trete ich an Andreas, dem ich ein Lächeln schenke, vorbei und lege meine Hand auf die Stirn des Engels. Das Fieber ist zurückgegangen. Nun ganz beruhigt drehe ich mich wieder zu den anderen beiden um und muss beinnahe laut loslachen. Andreas mustert Shanael mit leicht zusammengekniffen Augen, während ihm der Engel offen ins Gesicht grinst. Mir fällt jetzt auch auf, dass der junge Mann einen dunklen Anzug trägt und ich vermute, dass er wohl vor kurzem jemanden zu Grabe getragen hat. Was allerdings noch immer nicht erklärt, warum er nicht nur in Shanael einen Engel erkennt, sondern auch mich sehen und berühren kann.
Nun wirft mir der Engel einen fragenden Blick zu und ich bestätige mit einem leichten Nicken, dass alles in Ordnung ist. Andreas blickt zwischen uns hin und her. Schließlich setzt er sich auf den einzigen Stuhl, den ich besitze.
"Würdet ihr mir jetzt bitte erklären, warum ich mit einem Engel und einer Frau, die kein Geist ist, hier in einem Raum unter einem Mausoleum sitze? Ich meine, wo bin ich überhaupt und was war das auf dem Friedhof? Und warum sehe ich überhaupt Engel und," er hält kurz inne, als er mich ansieht," und was auch immer DU bist?"
Shanael verdreht die Augen und ich muss mir jetzt tatsächlich die Hand vor den Mund halten und ein Husten simulieren, um mein Kichern zu verbergen.
Ich beuge mich hinab und reiße mit bedächtigen Bewegungen ein quadratisches Stück Stoff aus einer der Decken, auf denen Uriel liegt. Langsam setze ich mich auf den Rand meines Lagers, neben den liegenden Engel, tränke das Tuchstück mit etwas Wasser aus der Kanne und kühle damit nun Uriels noch immer heiße Stirn. Das Fieber ist zwar nicht mehr ganz so hoch und geht nun auch langsam zurück, aber schaden kann es nicht. Nachdem ich das getan habe, blicke ich wieder auf, um Andreas zu betrachten und sehe, dass sich Shanael mittlerweile auf die Treppe gesetzt hat. Am Rande bemerke ich, dass sie heute etwas anders trägt, als gestern. Die schwarze Hose und die schlichte, dunkle, hochgeschlossene Bluse stehen ihr gut. Da Engel oft genug unter den Menschen wandeln, ohne von den Lebenden erkannt zu werden, ziehen sie sich meist recht modern an. Ich sehe Andreas lange an.
"Was willst du nun wissen," frage ich, "wo soll ich anfangen?"
Ich bin überrascht, wie müde meine Stimme nun klingt. Er starrt mich eine Weile an, dann senkt er den Blick kurz und denkt nach.
"Beim Friedhof," meint er schließlich, "was war das da heute auf dem Friedhof? Was ist da passiert?"
Langsam nicke ich. Dieser junge Mann hatte zumindest ein Gespür dafür, zuerst das wichtigste zu erfragen. Während ich langsam die Ereignisse der letzen beiden Tag zusammenfasse und Shanael mich ergänzt, hört er uns aufmerksam zu und stellt nicht eine einzige Frage. Schließlich, als wir fertig sind, bleibt er noch eine Weile stumm. Ganz offensichtlich muss er erst einmal verdauen, was wir ihm gerade erzählt haben.

Schließlich nickt er langsam.
"Also bedroht jetzt etwas von dem selbst ihr nicht wisst, was es ist, unsere Welt, oder?"
Ich, sowie auch Shanael stimmen ihm stumm zu. Eine Zeit lang ist er sehr still, dann sieht er Shanael an.
"Und du bist ein Engel?"
Shanael nickt. "Ja im Grunde schon."
Ein Lächeln huscht über ihre Züge.
"Ich bin ein gefallener Engel."
Einen Moment lang mache ich mir wirklich Sorgen das Andreas die Augen aus dem Kopf fallen könnten, so sehr reißt er sie auf.
"Du hast dich mit dem Teufel eingelassen?"
Er klingt ungläubig und der Engel sieht ihn empört an.
"Was?!“ Ihr Ruf klingt so empört, wie sie aussieht. “Ich mich mit Satan einlassen? Mit diesem arroganten, gemeinen Mistkerl? Aber ganz gewiss nicht!”
Ihre Augen funkeln wütend und Andreas weicht instinktiv ein wenig zurück. Nun mische ich mich ein, bevor er sie wirklich in Wut versetzt.
“Sie ist Lucifers Engel, der Engel der Finsternis. Als Er fiel, fiel sie mit ihm, aus eigenem Willen.
Als Er niedergeworfen wurde, stand sie immer noch fest zu ihm, der ihr Bruder ist, und wurde daher mit ihm bestraft. Seither zieht sie des Nächtens durch die Welt und holt die verdorbenen Seelen am Ende ihres Lebens um sie in die Abgründe der Hölle zu werfen.”
Meine Stimme ist ruhig und Andreas sieht mich mit noch immer großen Augen an. Shanael neigt anerkennend und auch ein wenig überrascht den Kopf. Ich lächle kurz.
“Und,” komme ich seiner voraussichtlich nächsten Frage zuvor, “Lucifer und Satan, sind zweierlei Persönlichkeiten.”
Der junge Mann ist sprachlos.
“Aha,” bringt er schließlich heraus, “und was bist nun du eigentlich? Eine Dämonin?”
Ich lache auf. “Oh nein, ganz bestimmt nicht.”
Nun zahlt es mir Shanael mit gleicher Münze heim.
“Sie,” unterbricht sie mich, “ist das letzte Licht, Lucifers Hoffnung.”
Jetzt springt Andreas auf.
“Was,” ruft er aus, “DU hast auch mit dem zu tun?”
Doch der Engel fährt ungerührt fort.
“Alle einhundert Jahre ist Er eine Nacht lang beinnahe frei, seine Ketten lösen sich und er entkommt der Hölle. Aber in dieser Nacht wird mein Bruder auch jedes mal erneut niedergeworfen, damit er die nächsten einhundert Jahre gefangen bleibt. Das gehört zu seiner Strafe. Ebenso wie auch, dass ihn kein Wesen dieser Welt berühren kann, ohne ihm dabei Schmerz zuzufügen. Vor beinnahe dreihundert Jahren sah eine junge menschliche Frau wie Lucifer niedergeworfen wurde und sie konnte ihn berühren, ohne ihm Schmerzen zu bereiten. Sie schenkte dem Gefallenen den Trost einer Umarmung. Weil sie daraufhin nicht um Vergebung für etwas, das in ihren Augen kein Fehler war, bitten wollte, wurde sie aus der Welt genommen. Seither existiert sie zwischen den Welten und wandelt zeitlos durch diese Welt, ungesehen von den Lebenden und den steinernen Wächtern und schenkt jenen Trost, denen eigentlich keiner mehr Trost schenken kann. So wurde sie zum letzen Licht, zu Lucifers Hoffnung und damit zu unser aller Hoffnung, die wir Gefallene sind.”
Ein sanftes Lächeln erscheint auf meinem Gesicht und nun nicke ich Shanael anerkennend zu. Andreas hingegen schluckt trocken und blickt nervös zwischen uns hin und her.
“Und,” fragt er schließlich,” wer ist er?”
Er zeigt kurz auf Uriel.
“Das ist,” antworte ich,” der Erzengel Uriel, der Todesengel.”
Ich beobachte den jungen Mann aufmerksam, der sich nun ruckartig wieder niedersetzt und dessen Blick nun etwas verstört zwischen uns herumhuscht. Dann scheint er sich langsam wieder zu fangen und er seufzt vernehmlich auf.
"Oh, man. Das alles..," Andreas schüttelt den Kopf," das ist alles so unwirklich, irgendwie."
Er sieht erst mich, dann Shanael an.
"Versteht ihr? Gerade noch bin ich auf dem Friedhof in Bonn und im nächsten Augenblick sehe ich wie eine Frau in altertümlichen Kleidern von einer Kreatur, die besser in einen Alptraum passen würde, angegriffen wird und ein Engel steht ihr, mit einem gezogenem Schwert, zur Seite. Und jetzt, vielleicht eine Stunde später sitze ich hier, in einem Raum unter einem Mausoleum, auf einem Friedhof in England, mit genau dieser Frau und diesem Engel und noch einem weiteren Engel und höre von euch, dass meine Welt von etwas Bösen bedroht wird, von dem ihr noch nicht einmal wisst was es genau nun ist. Und nun stellt sich auch noch heraus, das ich hier mit einem gefallenen Engel, einer aus der Welt genommenen Frau und einem Erzengel sitze.“
Sein Blick irrt kurz umher und er wirkt irgendwie etwas bekümmert.
“Wisst ihr, die ganze Zeit denke ich: Andreas, du solltest jetzt echt aufwachen."
Er lächelt kläglich. Ich kann es ihm nicht verdenken,
Diese ganze Situation muss sehr schwierig für Andreas sein. Er ist schließlich ein ganz normaler Mensch, zumindest war er das, bis vor kurzem noch. Und nun befindet er sich mit einem kranken Erzengel, einem gefallenen Engel und einer Frau, die vor dreihundert Jahren aus der Welt genommen wurde in einem Raum unter einem Mausoleum und muss feststellen, das Legenden wahr sind. Dass viele der Gestalten, die er nur aus Märchen und Sagen kennt, tatsächlich existieren und dass gleich neben den Menschen. Das sich eine noch unbekannte Gefahr für die ganze Welt anbahnt und er vermutlich der einzige Mensch ist, der nun davon weiß. Der tiefe Seufzer, den er erneut ausstößt, spricht Bände.
Ich lasse ihm die Zeit, die er braucht und wende mich wieder Uriel zu. Vorsichtig nehme ich das Tuch fort, lege ich meine Hand auf die Stirn des Engels und stelle erleichtert fest, dass sich das Fieber wirklich auf dem Rückzug befindet und stetig fällt. Erneut wasche ich das Tuch im kaltem Wasser aus und lege es ihm wieder auf. Nachdem ich dies getan habe sehe ich wieder Andreas an, der sich anscheinend wieder etwas gefangen hat und erhebe mich langsam.
“Andreas,” spreche ich ihn sanft an,” ich glaube ich bringe dich jetzt besser.........”
Ich halte inne, als sich meine Umgebung plötzlich um mich dreht und ich den Halt zu verlieren drohe. Schwärze wirbelt am Rande meines Blickfeldes hoch und mir verschwimmt für einige Momente die Sicht.
Eine starke Hand fasst mich am Oberarm, hält mich aufrecht, dirigiert mich bestimmt durch den Raum und nötigt mich dazu, dass ich mich hinsetze. Als einige Momente später mein Blick wieder klar wird, finde ich mich auf dem Stuhl sitzend wieder. Vor mir ist Shanael in die Hocke gegangen und sieht mir besorgt ins Gesicht.
“Du gehst jetzt nirgendwo hin,” sagt sie bestimmt, “ich bringe Andreas nach Hause, oder wo er auch immer hin will. Und du bleibst schön hier sitzen, bis du dich erholt hast.”
Ich schenke ihr ein erschöpftes Lächeln und wende nichts dagegen ein, dafür bin ich nun wirklich zu müde. Ich glaube so müde war ich noch niemals.
“Eigentlich,” wendet Andreas etwas schüchtern ein,” möchte ich nicht wirklich nach Hause. Da ist keiner mehr, der auf mich wartet. Ich würde viel lieber hier bleiben. Wenn das geht, meine ich.”
Ich blicke langsam auf und sehe ihn lange an.
“Der Pfarrer hier nimmt ganz gerne Reisende und Besucher auf, die kein Geld für eine andere Unterkunft haben.”
Meine Stimme klingt so erschöpft, wie ich mich fühle. Shanael nickt.
“In Ordnung, das regle ich schon.” Sie erhebt sich. “Aber du bleibst schön hier sitzen, bis ich wiederkomme, ja?”
Ich lehne mich in dem Stuhl zurück, stütze mich mit einem Arm auf dem Tisch ab und nicke stumm.
“Und du,” wendet sie sich an Andreas, “kommst jetzt mit mir mit!”
Ihr energischer Ton duldet keinen Widerspruch und so scheucht sie den jungen, blonden Mann vor sich her und aus meinem Ruheort hinaus. Ich lausche ihnen hinterher, bis ich die beiden nicht mehr hören kann. Dann lasse ich mein Kinn in die aufgestützte Hand sinken. Mein Blick schweift lange über den noch schlafenden Uriel und ich überlege mir, ob ich mir nicht vielleicht doch einmal ein Bett zulegen sollte.

Ich schrecke hoch, als ein lautes Geräusch an meine Ohren dringt. Verwirrt blinzle ich mit den Augen bis mir klar wird, dass ich vermutlich ein wenig eingedöst bin. Das Geräusch erklingt wieder und ich erkenne das Klirren von Metall auf Metall. Das bringt mich auf die Beine. Es ist das Kreischen und Klirren von zwei Schwertern, die aufeinanderprallen und das ganz nahe an dem Mausoleum. Ein leises Stöhnen zieht meine Aufmerksamkeit auf Uriel, der sich nun benommen aufsetzt. Mit zwei schnellen Schritten bin ich bei ihm.
"Uriel, wie geht es dir?"
Er fährt sich mit der rechten Hand langsam durch Gesicht und streicht sich die Haare zurück. Dann sieht er mich an, auf dem Gesicht ein schmales Lächeln.
"Ich lebe noch. Glaube ich zumindest." Er runzelt die Stirn. "Sind das Kampfgeräusche, die ich da höre?" Ich nicke.
"Ja, ich denke jemand hat sich mit Shanael angelegt. Ich sehe gleich nach."
Ich bedenke ihn mit einem scharfen Blick.
"Weißt du, was mit dir geschehen ist, nachdem ich weg war?"
Er schüttelt langsam den Kopf.
"Nicht mehr viel," gibt der Engel zu, "mir ging es nur plötzlich wieder schlechter und dann ist alles dunkel. Ich glaube ich hatte Halluzinationen."
Ich nicke und erhebe mich. "Du hattest hohes Fieber, als ich wiederkam."
Wieder erklingt das unverkennbare Kreischen von Metall auf Metall. Dieses mal noch näher an dem Mausoleum. Ein Stirnrunzeln zieht über mein Gesicht.
"Ich sehe jetzt besser nach was da draußen los ist."
Uriel nickt nur und ich gehe den Schritt zwischen Hier und Dort. Leicht verärgert frage ich mich, ob ich überhaupt noch einmal zum ruhen komme. Nachdem ich in der Stätte aufgetaucht bin schreite ich mit schnellen, bestimmten Schritten durch die Gittertür und erstarre überrascht.

Shanael ist wirklich in einen Kampf verstrickt, und zwar mit niemand anderem als dem Erzengel Michael. Na das ist ja toll, denke ich, noch ein Engel!
Und nicht irgendeiner, sondern auch gerade noch der, der sich seit beinnahe dreihundert Jahren von mir ferngehalten hat, soweit es eben ging. Vermutlich weil er es war, der mich aus der Welt genommen hat. Es ließ sich aber nicht vermeiden, dass wir dennoch einige Male aufeinander getroffen sind. Er hat sich kein bisschen verändert.
"Hallo Michael," grüße ich trocken, "was tust du da?"
Er würdigt mich nur eines kurzen Blickes.
"Halt dich da raus, ich befasse mich danach mit dir."
Seine Stimme klingt befehlend und mir verschlägt es einen Moment lang die Sprache. Aber meine Überraschung hält nicht lange und wird von einem anderen Gefühl abgelöst. Es ist Wut! Ich werde jetzt wirklich wütend. Langsam bücke ich mich, hebe einen etwa faustgroßen Stein vom Wegrand auf und werfe diesen nach dem Engel.
Normalerweise sind Engel schnell genug um so einem Wurfgeschoß auszuweichen und ich habe auch nicht gut gezielt, von daher nehme ich an, das der Stein ihn nicht trifft. Er findet sein Ziel an Michaels Schulter und lässt den Engel einen Schritt zurücktaumeln.
Überrascht stelle ich mich den nun aufgebrachten Engel, der zu mir herumwirbelt.
"Bist du verrückt? Was soll das?"
Seine Stimme ist laut geworden und ich bemerke am Rand, das er Shanael nun ein großartiges Ziel bietet. Sie nutzt die Gelegenheit aber nicht und weicht stattdessen zwei Schritte zurück. Ich funkle Michael immer noch wütend an.
"Du hörst jetzt bitte auf meine neue Freundin zu bedrängen."
Ich betone jedes Wort überdeutlicht und der Erzengel starrt mich einen Moment verblüfft an. Bevor er eine Bemerkung fallen lassen kann fahre ich fort.
"Was willst du eigentlich hier, Michael?"
Der Engel verengt die Augen, kommt die wenigen Schritte zu mir und baut sich vor mir auf. Seine Haltung wirkt doch etwas bedrohlich, aber ich bin im Moment zu wütend um darauf einzugehen. Im Gegenteil, es schürt meine Wut noch.
"Ich suche schon den ganzen Abend nach Uriel und ich frage mich, was dich das angeht? Was denkst du dir eigentlich dabei, dich mit einem gefallenen Engel anzufreunden und den dann auch noch zu verteidigen?"
Seine Stimme ist immer lauter geworden.
"Was ich mir dabei denke?" Meine Stimme nimmt nun einen gefährlich, scharfen Ton an.
"Mit wem ich mich anfreunde geht dich ja wohl gar nichts an. Du suchst also Uriel schon den ganzen Abend, oder? Und wo warst du heute Morgen, als er verletzt und krank bei mir aufgetaucht ist? Ja ich weiß wo Uriel ist. Ich hab mich schließlich um ihn gekümmert und ich hab den ganzen Tag keinen von euch hier gespürt. Na zumindest hast du überhaupt nach ihm gesucht, das ist ja schon was. Aber anstatt zu mir zu kommen und mich ganz schlicht zu fragen, veranstaltest du einen wahnwitzigen Lärm, greifst meine Freundin an und fährst mich in diesem verfluchten Befehlston an, den ich sowieso nicht leiden kann! Und dann fragst du mich, was mich das alles angeht?!"
Ich hole tief Luft und bemerke erst jetzt, das auch meine Stimme immer lauter geworden ist und dass ich den Engel tatsächlich mehrere Schritte vor mir hergetrieben habe. Ich bin immer noch wütend, aber nachdem ich mir ein wenig Luft gemacht habe, fühle ich mich besser. Michael sieht mich überrascht, ja sogar ein wenig erschrocken an. Das lässt mich stutzen. Habe ich den Engel tatsächlich erschreckt?

Schließlich fängt er sich.
"Du weißt wo Uriel ist?"
Nun klingt seine Stimme wieder etwas ruhiger.
"Ja," antworte ich, "ich hole ihn auch sofort."
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren wende ich mich ab und bedenke Shanael noch mit einem scharfen Blick.
"Brauchst du Hilfe?"
Ihre Stimme hat einen fast fröhlichen Ton angenommen.
Ich schüttle den Kopf und gehe den Schritt zwischen Hier und Dort. Ich möchte nicht das ausgerechnet Michael weiß, wo sich mein Ruheort genau befindet. Ich bin immer noch aufgebracht, aber nicht mehr wirklich wütend. Für gewöhnlich bin ich nicht so, dass ich die Stimme erhebe. Tatsächlich kann ich diese Gelegenheiten an zwei Händen abzählen und jedes Mal war Michael dabei zugegen. Ich weiß wirklich nicht weswegen es ihm gelingt mich beinnahe jedes Mal in Rage zu bringen. Alle wütende Gedanken an Michael verfliegen als ich sehe, dass Uriel vor mir steht. Er steht tatsächlich, wenn auch noch ein wenig unsicher, auf seinen eigenen Beinen und lächelt mich an. Das zaubert nun auf mein eigenes Gesicht ein Lächeln. Schnell eile ich zu meinen Freund, damit er sich auf mich stützen kann, was er auch annimmt.
"Ich habe es gehört," kommt er meiner Erklärung zuvor," Michael ist da und sucht nach mir. Warum macht er dich eigentlich nur immer so wütend?"
Ich kann regelrecht das amüsierte Lächeln aus seiner Stimme heraushören.
"Ach ich weiß es nicht," klage ich," er ist nur immer so..... so von obern herab und dieser Befehlston. Er macht mich eben wütend, ich weiß auch nicht so recht warum."
Mit dem auf meine Schulter gestützten Engel gehe ich erneut den Schritt und erscheine wieder auf dem Weg vor dem Mausoleum.

Michael und Shanael stehen in respektvollen Abstand zueinander und taxieren sich mit aufmerksamen Blicken. Nun aber wenden mir beide das Gesicht zu. Michael erfasst in einem Blick Uriels Zustand und löst sich schnell von seinem Platz um den meinen einzunehmen.
“Mach dir keine Sorgen,” meint Uriel leise zu mir, “in ein, zwei Tagen bin ich wieder ganz der Alte."
Er schenkt mir ein Lächeln und nimmt Michaels Hilfe an. Der nickt mir kurz zu, ohne ein Wort zu verlieren, dann gehen die beiden den Schritt und sind verschwunden.
Ich wende mich zu Shanael um, die mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen angrinst. Fragend hebe ich die Augenbraue, und sie grinst noch breiter.
“Weißt du, du siehst sehr beeindruckend aus, wenn du wirklich wütend wirst.”
Ich blinzle irritiert. Ist das nun ein Kompliment? Aber der Engel spricht schon weiter.
“Ich kann verstehen, dass er dich wütend macht. Ich hatte selbst schon einige Male das zweifelhafte Vergnügen, Michael zu begegnen und ich glaube du auch, oder?”
Ich setze mich langsam in Bewegung und nicke.
“Allerdings. Er war es der das Urteil über mich sprach und mich aus der Welt nahm.”
Eine Zeitlang wandern wir nebeneinander und schweigend über die Wege des Friedhofes, dann bricht Shanael das Schweigen.
“Andreas ist wirklich bei dem Pfarrer untergekommen. Zum Glück spricht der Junge gut Englisch, sonst wäre es doch peinlich geworden.” Sie lächelt kurz.
Das hatte ich übersehen. Seit ich aus der Welt genommen wurde verstehe ich eigentlich jede Sprache und da ich schon so lange nicht mehr mit Menschen zu tun hatte, jedenfalls nicht mit lebenden, ist mir dieses Detail doch tatsächlich entgangen. Meine Gedanken müssen sich sehr deutlich auf meinem Gesicht abgezeichnet haben, denn Shanael lacht leise auf.
“Der Pfarrer ist übrigens ein recht netter Mensch. Ich meine dafür, dass er ein Mann Gottes ist.”
Jetzt muss auch ich lächeln.
Schließlich bleibt der Engel stehen und ich wende mich ihr zu.
“Ich muss noch einige Seelen holen,” meint sie leise, “treffen wir uns morgen hier wieder?”
Ich nicke stumm.
“Pass auf dich auf, Shanael.”
Sie lächelt mich an und dann umarmt sie mich tatsächlich kurz.
“Mach dir nicht so viele Sorgen,” meint sie leise,” er kommt schon wieder auf die Beine. Engel werden schnell gesund.”
Ich nicke erneut und weiß, das sie von Uriel gesprochen hat. Mit einem kleinem Winken geht sie den Schritt und verschwindet.

Nun endlich alleine wende ich mich dem Weg zu, der zum Brunnen führt und setze mich auf seinen Rand, nachdem ich ihn erreicht habe. Gedankenverloren lasse ich meine linke Hand durch das eisige Wasser gleiten und überdenke die Geschehnisse der letzen Tage. Wie seltsam mir das alles erscheint, so plötzlich und unerwartet.
Ich frage mich woher diese seltsamen Kreaturen, die sich so falsch anfühlen wohl herkommen und was sie hier wollen. Außerdem mache ich mir Sorgen um Uriel, auch wenn alle der Meinung sind, dass ich das nicht bräuchte.
Ein kleiner, schlanker, grauer Körper schmiegt sich plötzlich an meine Seite und entlockt mir ein Lächeln. Einen Moment später macht es sich die graue Katze in meinem Schoß gemütlich und schnurrt aus Leibeskräften, während ich sie sanft streichle. Das wenige Gute an den letzten Tagen ist, dass ich Shanael kennen gelernt und mich mit ihr angefreundet habe, sowie dass sich die Freundschaft zwischen mir und Uriel noch vertieft hat. Außerdem habe ich Andreas getroffen, der einzige lebende Mensch, der mich seit beinnahe dreihundert Jahren nicht nur sehen, sondern auch berühren und hören kann. Ich nehme mir vor am nächsten Tag mit ihm zu sprechen und herauszufinden, warum er so schrecklich traurig war. Vielleicht kann ich ihn ja doch ein wenig trösten.
Der Nebel, der heute ganz schüchtern ist, schlingt sich in zarten, vom Mondlicht versilberten Fäden um die Gräber und die steinernen Wächter. Es ist still, nur der Wind flüstern leise in den Bäumen und die üblichen Nachtgeräusche sind zu hören. Das Geräusch leiser Pfoten, ein Rascheln im Gras und den Büschen, das Piepsen einer Maus, das verschlafene murmeln des Brunnens, der ferne Schrei einer Eule und das Schnurren der Katze in meinem Schoß versetzen mich in eine etwas verträumte Stimmung und verscheuchen die Unruhe in mir. Eine Zeit lang genieße ich die mich umgebende, niemals lautlose Stille der Nacht. Doch schließlich hallt die Resonanz einer traurigen Seele durch die Nacht und ruft mich zu meiner Aufgabe zurück.
 
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Kommentare  

Lieber Jochen,

ja das konnte sie. Es wird so nach und nach klar, das meine liebe Hoffnung wohl einige besondere Fähigkeiten hat.
Schön, dass es immer noch gefällt.

Huhu Michael,
das freut mich.
Oje, ausgerechnet der kommt ja gar nicht so gut in meiner Geschcihte weg.
Nun ich hoffe du liest und kommentierst mich weiter.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (19.04.2010)

hallo tisi^^
mir gefällts sehr gut!
auch weil so ein schöner name
wie michael vorkommt^^

grün


Michael Drake (17.04.2010)

Ein Glück konnte Hoffnung Uriel helfen wirklich gesund zu werden. Sie hat wohl die Fähigkeit gegen die bösen Kräfte der Schattenmacht anzukämpfen. Doch nun ist Michael gekommen.

Jochen (17.04.2010)

Freut mich, dass es scheinbar noch immer gefällt.

Oh Jingizu,
Fanfarengetöse(lach) liegt mir nicht so.
Ich wollte auch gar nicht so ins epische reinkommen, schön dass du das interessant findest.

Hallo Doska,
Das erkennst du schön.
Ich wollte meine Engel nicht ganz so abgehoben sondern sehr menschlich darstellen, schön, dass mir das wohl gelungen ist.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (09.04.2010)

Schön, dass Uriel gerettet werden konnte. Sonderbare Mächte hatten ihn zu Fall gebracht. Das letzte Licht - die Hoffnung - besitzt Fähigkeiten von denen zuvor wohl noch keiner etwas geahnt hatte. Die Engel scheinen Charakterlich gar nicht viel anders zu ticken als Menschen. Michael ist dafür ein gutes Beispiel- so aufbrausend wie er immer ist. Doch wer sind diese ekelhaften Lebewesen die es sogar mit Engeln aufnehmen können? Da kann man nur gespannt auf das nächste Kapitel warten.

doska (08.04.2010)

Streitende Engel, kämpfe zwischen gefallenen und Erzengeln - aber all das Ganze nicht episch und mit Fanfarengetöse sondern eher nebenbei. So wie etwas, das sich eben hier und da so abspielt.

Interessanter Ansatz.

Dann warte ich mal gespannt, was da noch so passiert.


Jingizu (08.04.2010)

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