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2 Seiten

Die Droge der Schriftsteller

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Es ist das Gefühl, einfach ein Gefühl, das man nicht einordnen kann.
Es ist eine Art Kribbeln in den Fingerspitzen, eine innerliche Unruhe, Nervosität, man glaubt schreien zu müssen, läuft hektisch auf und ab.
Bilder schießen einem durch den Kopf , Bilder um Bilder, Gedanken um Gedanken. Man hört Stimmen, sie streiten, sie lachen, sie weinen und flüstern. Lauter und lauter werden sie, lauter und lauter werden die Herzschläge, schneller und schneller, das Atmen, das Gehen. Hände raufen die Haare, Tränen rollen über Wangen, dieser Druck, dieser schreckliche Druck, man droht zu zerspringen zu zerbrechen an Bildern, Stimmen, seinen eigenen Gedanken.

Und dann, plötzlich Stille. Man bleibt stehen. Schwäche durchzieht den Körper, man lässt sich fallen, auf einen Stuhl, auf ein Bett, auf eine Couch, auf den Boden, ganz gleich, was es ist. Man fühlt nichts, bloß Leere. Der Druck ist verschwunden, man kann sich nicht bewegen. Es ist wie ein Schock, eine Angst. Man kann nichts hören außer dem Pochen seines Herzens. Man kann nichts sehen außer der Bilder. Die Augen geschlossen liegt man da. Man weiß, man wird etwas tun, man muss etwas tun, etwas vollbringen, man muss schreiben. Man muss es, sonst kommt der Druck wieder, er wird stärker und stärker und man weiß, man wird ihm nicht standhalten können, man wird daran zu Grunde gehen, sterben vielleicht.
Man hat keine andere Wahl und so erhebt man sich langsam, ganz langsam, man öffnet die Augen, andere Augen als vorher und starrt, starrt in den Raum, in die Leere. Man nimmt nichts anderes wahr, außer der Feder, Papier, Tinte, Zigaretten vielleicht.
Alle Sinne sind konzentriert, geschärft. Jede Sekunde, jede Minute ist wichtig, sie vergehen langsam, so langsam, dauern Jahre.
Man lässt sich nieder, langsam, ganz langsam, an seinem Platz, an seinem gewohnten Platz, wo man schon viele Stunden verbracht, verzweifelt ist, Gutes vollbracht hat, Triumphe ausgeschrieen, geweint und geträumt, geschrieben hat.
Man atmet die wohlbekannte Luft, riecht den Duft der Zukunft, des Unerwartetem. Man hat kein Motiv, keine Idee, man hat nur ein Bild, ein Bild im Kopf.
Man schließt die Augen, man beginnt zu schreiben.
Gefühle durchbrechen die Mauern ihrer Gefangenschaft, zerschmettern die verriegelte Tür.
Die Hand wird zitterig, die Schrift immer unleserlicher, wie Hieroglyphen sieht sie aus, verschlüsselte Zeichen.
Der Geist läuft schneller, zügiger, lässt sich nicht aufhalten, der Körper ist zu schwach, langsamer, kommt nicht mehr mit.
„Lass Dir Zeit. Blieb ruhig.“ sagt man sich, aber man will nicht gehorchen, man kann nicht gehorchen, man ist Opfer, Opfer der Droge, Opfer des Schreibens.
Was bewirkt sie? Manchmal bewirkt sie Wunder, manchmal Schlechtes. Man kann es vorher nicht sagen, man weiß nicht was wird, solange die Droge beherrscht. Man kann sie nur walten lassen, willkürlich, man hat keine Chance, kann sich ihr nicht entziehen, sich nicht weigern.
Man schreibt und schreibt, lässt die Feder über das Papier streichen, schneller, immer schneller zeichnet sie ihre Wörter.

Dann, nach kurzer Zeit, nach langer Zeit, man kann es nicht bestimmen, fallen Feder und Papier nieder. Die Droge lässt nach, die Wirkung verfliegt und man ist zufrieden.
Man fühlt wieder die Leere, schließt wieder die Augen, fällt wieder auf den Boden, auf das Bett oder die Couch.
Die Gedanken schweifen ab, man fühlt sich ausgelaugt, blutleer, will schlafen, ist müde. Man tut es meist, friedlich und ruhig, keine Bilder schwirren durch den Kopf, keinen Stimmer strapazieren das Gemüt.
Irgendwann, wenn sich Geist und Körper erholt, die Sinne normalisiert haben, erwacht man. Kein Druck, keine Droge. Man hat vergessen, verdrängt vielleicht. Man liegt da und erwacht langsam, ganz langsam, nimmt leise Geräusche wahr, denkt an nichts.
Dann öffnet man die Augen, blickt durch den Raum. Man sieht das Papier, die Feder, das Geschriebene und man lächelt zufrieden
Man berührt das Vollbrachte, das einem so unbekannt vorkommt. Man betrachtet es als etwas Unerreichbares, etwas Fremdes. Man liest, kleine Härchen stellen sich auf, ein Schauer läuft den Rücken hinab und man versteht nicht, man kann es nicht glauben, es ist die eigene Handschrift, es sind die eigenen Worte.
Man hat einen Schlüssel geformt, einen Schlüssel zu seiner eigenen Seele. Warum?
Es ist die Droge, die Droge des Schreibens, die Droge der Schriftsteller.
 
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Kommentare  

hallo mirja,

toll: eine diskussion über das wesen des schriftstellers losgetreten! und wenn einer der kommentatoren sagt "Literatur wäre dann nur mehr die Wissenschaft der Einbildungskraft" dann sage ich als wissenschaftler: so what?

lg


Nicolas van Bruenen (02.04.2007)

Ich mag deinen schreibstil. Der ist sehr schön.
Wie du das Schreiben aber beschreibst, als Droge des schriftstellers, finde ich nicht so gut. Ich weiß ja nicht, ob das bei dir so ist, aber ich denke, dass ist SO bei wenigen. Du hast tatsächlich etwas dick aufgetragen.
Sonst aber gut.

- 4 pts. -


Smith (13.07.2003)

Der Stil deiner Geschichte gefällt mir, erinnert auch etwas an Max Frisch (vor allem wegen den Aufzählungen von Dingen die man tut, man sieht, man denkt), die Thematik ist im Grunde weniger ansprechend.

Gründe:

Es gäbe daran nichts zu verurteilen, würdest du einzig von dir und deinen Gefühlen (oder auftretenden Symptomen) sprechen bevor, während und nachdem du schreibst. Da du aber im Grunde eine representative Rolle einnimmst, nämlich die der Schriftsteller, geht die Authentizität des Werks verloren, denn nicht alle Schriftsteller sehen ihre Arbeit als Droge an.
Ganz im Gegenteil: Es gibt sogar einige, denen es sehr schwer fällt, an einem Werk weiterzuschreiben oder ein neues zu beginnen, obwohl sie im Grunde nicht unbegabt sind. Viele der Schriftsteller, die unsere großen Vorbilder darstellen, haben sich bitterhart durchs Leben geschlagen, mussten schreiben, um zu überleben und wurden erst viel später anerkannt. Ich denke nicht, dass diese, obwohl sie Genies waren, einer derartigen Sucht der schriftstellerischen Arbeit verfallen sind und einen derartigen Informationszufluss, wie du ihn beschrieben hast (Bilder, Geräusche, Visionen) traue ich wahrhaft nur Genies zu.

Vielleicht spricht aber nur ein wenig der Neid aus meinem Herzen, da ich selber eher mit dem Phänomen der Schreibblockade vertraut bin, als mit dem der Schreibsucht, aber das hat schließlich nichts mit deiner Geschichte zu tun.

Was aber schon damit zu tun hat:
(und damit nehme ich Bezug auf die Übertriebenheit, die schon vor mir erwähnt wurde)

Dass selbst in der Literatur gewisse Grenzen gesetzt werden müssen, denn sollten wir keine setzen, gäbe es auch irgendwann keine mehr, die es zu überschreiten gilt und so würde die Literatur nur noch in Extremen leben, in der illusionierten Illusion und sich so von unserem Leben trennen, anstatt es authentisch zu dokumentieren.
Literatur wäre dann nur mehr die Wissenschaft der Einbildungskraft und selbst die ginge irgendwann verloren, zusammen mit dem Bezug zur Wirklichkeit.

Dennoch eine nette Sichtweise und ein guter Schreibstil: 4 pts.


Philemon (10.05.2003)

Echt? Ist das so bei Dir? Mit Zusammenbrechen und Allem? Wie sagt man in Köln: Jeder Jeck is annersch...

Jan (07.03.2002)

Jeder, der schreibt, wird den einen oder anderen Gedanken nachfühlen können.
Gut beschrieben.


Robert Short (05.11.2001)

find ich ziemlich gut

Jochen Buegler (19.07.2001)

find ich nicht dick aufgetragen...aber das ist geschmackssache

wonder (17.06.2001)

na ja, ist für meinen Geschmack sehr dick aufgetragen.

Pascal (17.06.2001)

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