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2 Seiten

Omnipräsent

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Ein Handy klingelt.
Der Vortrag in dem klassischen Seminarraum, gefüllt mit acht Anzugträgern, den Blick bemüht konzentriert auf die PowerPoint-Präsentation gerichtet, wird gestört. Fast schon kann man Dankbarkeit in den müden Augen aufblitzen sehen, wenn auch nur hinter einer Fassade von Gelassenheit und der Tatsache, dass ein läutendes Handy in Meetings schon längst ein gewohntes Erlebnis für die Anwesenden geworden ist. Bald würde der mit Leben erfüllte Augenblick vorüber sein und die nächste Statistik, begleitet von einem Schwall pingelig vorbereiteter Worte, kaskadengleich heruntergespult werden. Dennoch, eine unverhoffte Pause und ein weiterer Strich auf der imaginären Pranger-Liste der Störenfriede. Ein Anzugträger hat sich im Bruchteil einer Sekunde zum erklärten Todesfeind des Vortragenden gewandelt und wird sich innerhalb kürzester Zeit, vielleicht eine kleine symbolische Narbe hinterlassend, wieder zum normalen Teilnehmer transformieren. Momente wie dieser prägen sich besser in das Gedächtnis ein als die sorgfältig, mit modernsten Präsentationstechniken und teuer geschultem Personal transferierten, in wohl dosierte Mengen geschnittenen Wissenshäppchen.

Die Überraschung gebärt einen Schockeffekt, der gleichsam aus Tagträumen herausreißt und den eifrigen Zuhörer aus der Bahn bringt. In diesem Augenblick steht alleine das Läuten des Handys, so banal der Klingelton auch sein mag, im Mittelpunkt und stiehlt dem Redner die Show. Jeder der Anwesenden hat dieses Szenario schon unzählige Male erlebt, alle sind erfahrene und leidgeprüfte Geschäftsmänner.
Nomadengleich sind sie in ihrer bisherigen Laufbahn durch Seminarräume und Meeting-Säle gezogen, oder gar gehetzt. Nichts ist so wahrscheinlich, wie das Klingeln eines Handys – eine übergangsmäßige Sphäre des Rollenwechsels schaffend. Jeder trägt eines oder mehrere bei sich. Viele ignorieren, in der besten Manier eines Sklaven des Kapitalismus‘, das Gebot es lautlos zu stellen. Schon längst ist es Teil ihrer selbst geworden und muss gehört werden, falls es ruft. Es könnte um Leben oder Tod gehen. Der scheinbare Zufall wird zum fixen Ereignis. Das läutende Handy zum eingeplanten Luftholen. Dennoch birgt es ein Überraschungsmoment. Aktiviert den Gefahrinstinkt. Bringt Spannung. Das Geräusch wird registriert. Das Gehirn schlägt Alarm. Der Kopf dreht sich. Der Blick wird neugierig auf die Gefahrenquelle gerichtet. Ein neuer Mittelpunkt entsteht und der alte verliert plötzlich alle Bedeutung. Der Vortragende wird uninteressant, verliert selbst den Fokus, die wichtige Powerpoint-Präsentation tritt vollkommen in den Hintergrund. Das Wasserzeichen in Form des Unternehmenslogos, sonst immerwährend auf jeder einzelnen Folie präsent, wird für diesen kurzen Moment zur bloßen Erinnerung. Die Stellung des Unternehmens wird herabgesetzt – durch eine banale Alltagserscheinung. Eine Entschuldigung wird ausgesprochen. Der Übeltäter hervorgeholt. Ein verstohlener Blick auf das Display. Das Stakkato beendet.

Mit dem nächsten Atemzug kehrt die Routine wieder ein. Der Gefahrenmodus wird heruntergefahren und das Bewusstsein pendelt sich langsam bei der Statistik in Form eines Tortendiagramms und dem Unternehmenslogo ein. Das läutende Handy wird wahrscheinlich während der Lunchpause nicht der Hauptgesprächsinhalt. Dennoch spielt es in dem einen oder anderen Smalltalk vielleicht eine kleine Nebenrolle und bleibt gewiss noch eine Zeit lang im Gedächtnis der Anwesenden verankert. Der Störenfried wird zugleich gefeierter Held und Todesfeind. Zumindest für eine kleine unbedeutende Zeitspanne.
 
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Kommentare  

Hallo Wolfgang,

danke für den Kommentar.

Ich finde das Handy - im Speziellen das
Smartphone - birgt neben den ganzen Vorteilen
die ein mobiles Allzweckgerät unbestreitbar hat
auch einige Gefahren.
Immer und überall erreichbar zu sein ist ja erst
die Spitze des Eisberges, hat aber mit der Zeit
eine derartige Intensivierung durch Apps wie FB,
WhatsApp und Co. erreicht, dass es nicht mehr
bloß um das erreichbar sein geht, sondern schon
um den gesellschaftlich weit verbreiteten Zwang
den Informationsfluss umzukehren und
demjenigen der etwas erfragen können wollen
würde zuvorzukommen, indem alles Erlebte - sei
es noch so unwichtig - pauschal gepostet, geteilt
und getwittert wird...
Der neueste Trend, der den klingenden Namen
"Selfie" trägt, reiht sich ja nahtlos an die
Praktiken der "freiwilligen" Auflockerung der
Privatsphäre an.
Ich bin gespannt was als nächstes kommt :)


Hans Müller (19.01.2014)

Interessante Handy-Philosophie - mit Einblicken in die Abgründe moderner Verhaltensmuster. Manche Sätze sind mir anfangs etwas zu lang und umständlich geraten, auch wenn dadurch die Kurzsätze gegen Ende des zweiten Absatzes desto knackiger wirken. Der Schluss könnte einen Deut pointierter sein, statt bereits Gesagtes zu wiederholen. Gerne "grün" gibt

Wolfgang Reuter (18.01.2014)

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