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Die Weihnachtsbeichte

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
Die Weihnachtsbeichte


Es war Samstagmorgen am 22. Dezember und ich war unterwegs zur katholischen Kirche von Bexbach. Ich bin gewiss kein regelmäßiger Kirchgänger, aber an diesem Tag musste ich hin. Schließlich stand Weihnachten vor der Tür, und ich hatte seit gut einem Jahr nicht mehr gebeichtet. Wer will schon, beladen mit den Sünden eines ganzen Jahres, das Weihnachtsfest begehen?
Ich hätte eher kommen sollen!, dachte ich missmutig. Heute ist nicht gerade der beste Tag dafür! In der Nacht zuvor hatte ich an einer Chili-Party teilgenommen. Eine Chili-Party sah so aus: Man stopfte sich mit Chili con Carne voll und spülte mit Weizenbier nach. Da das Chili höllisch scharf gewesen war, hatte es an Durst meinerseits nicht gemangelt. Erst als ich etwa einen halben Zentner Kidneybohnen mit scharfer Hackfleischsoße und acht Weizenbiere verkonsumiert hatte, war ich nach Hause gegangen, oder besser gesagt, gewankt.
Jetzt, am Morgen danach, plagte mich ein Kater und das Chili rumorte in meinen Eingeweiden. Egal! Ich musste beichten! Ohne die Absolution vom großen Oberboss wollte ich nicht den Geburtstag vom Juniorchef feiern.
Ich fand einen Parkplatz nicht weit von der Kirche und stellte den Wagen ab. Langsam ging ich zum Kirchenportal. Es war kühl, aber nicht gefroren. Schnee lag in der Luft.
Vielleicht, so dachte ich bei mir, spendiert der liebe Gott mir weiße Weihnachten, wenn ich all meine Sünden beichte und ehrlich bereue. An Sünden mangelte es nicht. Ich bin von Natur aus ein Scheusal. Wenn es einen Wettbewerb im Anfauchen von Supermarktkassiererinnen, im rücksichtslosen Vordrängeln an der Bushaltestelle oder im Angiften älterer Damen, die zu langsam über den Zebrastreifen laufen, gegeben hätte, ich hätte mühelos den ersten Preis errungen. Ganz zu schweigen von meinen wirklich schlimmen Missetaten.
Ich schätzte, dass ich dem Geistlichen im Beichtstuhl mindestens eine halbe Stunde lang was zu erzählen haben würde. Ich brauchte die Absolution. Glauben Sie mir.
Ich schritt die Eingangstreppe empor und betrat die Kirche. Vorne am Altar stand der Pfarrer und besprach etwas mit dem Küster. Ab und zu bückte sich der Küster und rückte den roten Teppich auf den Stufen zum Altar zurecht.
Oh nein!, dachte ich schlecht gelaunt. Es ist schon fünf nach halb elf!
Der Pfarrer sollte seit fünf Minuten im Beichtstuhl sitzen und auf reuige Sünder warten. Verdammt! Gab es denn nirgendwo mehr Pünktlichkeit?
„Wie bei der Bahn!“, grummelte ich und schritt die Bankreihen ab und nach vorne auf den Altar zu. Wenigstens war außer mir kein weiterer Sünder in Sicht. Ich würde also als Erster an die Reihe kommen, sobald der Pfarrer sich entschloss, im Beichtstuhl Platz zu nehmen. Ich kniete außen in der ersten Reihe nieder, direkt neben dem Beichtstuhl, um zu verhindern, dass sich irgendein unverschämter Sünder, der später kam, vordrängeln konnte.
Da kniete ich und wartete. Allmählich sank meine Laune. Das Knien auf der Holzbank war sehr unbequem. Mein Schädel brummte. In meinen Eingeweiden rumorte es. Und mir war kalt. Missmutig schaute ich zur Seite. Da stand doch tatsächlich eines der hohen Kirchenfenster offen. Draußen in den Bäumen pfiffen Vögel, die anscheinend jetzt schon für den Frühling probten. Durch das offene Fenster zog es wie Hechtsuppe. Mann! Was sollte das? Wollten die, dass die Gläubigen an einer Lungenentzündung starben?
Ich seufzte leise. Wollte der Priester denn nicht endlich zum Beichtstuhl gehen? Aber nein. Jetzt besprach er mit dem Küster Einzelheiten der Weihnachtsdekoration. Also nee! Ich hatte Sünden abzuladen und zwar nicht zu knapp! Herrgottsakrament! Sogar zum Sündenbekennen musste man anstehen wie an der Kasse im Supermarkt!
Unauffällig schaute ich auf meine Armbanduhr. Zwanzig vor elf. Schon wollte ich den Geistlichen etwas grummelig fragen, ob ich vielleicht im nächsten Jahr wiederkommen solle, um zu beichten, da begann das Gurgeln in meinem Gedärm.
Oh mein Gott!, schoss es mir durch den Kopf. Nicht hier drinnen! Bitte nicht!
Ich wusste, was los war. Die Chilibohnen und die acht Weizenbiere begannen zu wirken. Was ich da mit Macht in meinem Enddarm heranwachsen spürte, war der Großvater aller Fürze! Mindestens drei Kubikmeter Methangas vermischt mit Schwefelwasserstoff drängten unter Hochdruck dem Ausgang des Darms entgegen. Ich schluckte.
Herr! Bitte lass diesen Kelch an mir vorübergehen!, flehte ich in Gedanken. Nicht hier mitten in der Kirche! Nicht bei dieser Akustik!
Dieser Furz, das fühlte ich genau, würde donnern wie ein Kanonenschlag. Das durfte nicht geschehen! Ich wollte doch meine Sünden bekennen! Da konnte ich doch nicht mitten in der Kirche die Posaune von Jericho blasen!
Ich bemühte mich, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen, und presste mit aller Kraft die Hinterbacken zusammen. Der Furz durfte nicht heraus. Nein! Nein! Und nochmals nein!
In der Kirche die Posaune zu blasen – welch eine Schande!
Ich presste mit aller Gewalt meinen rückwärtigen Ausgang zusammen. Doch ach – die Natur war stärker. Die Bohnen, die scharfe Soße und die acht Weizenbiere hatten eine ganze Nacht Zeit gehabt, zu vergären, und das gasförmige Endprodukt dieser Gärung überwand schließlich meinen erbitterten Widerstand und entfleuchte ins Freie.
Gott sei Dank!, dachte ich. Ich hatte es geschafft, jegliche Geräuschentwicklung zu unterdrücken. Leise flüsternd entwichen die Gase meinem Enddarm.
Die Leisen sind die Schlimmsten!
Das merkte ich sofort. Ich wurde eingehüllt von einer ungeheuerlichen Giftgaswolke. Die Pforten der Hölle schienen sich geöffnet zu haben, um riesige Schwaden giftigen Brodems in die Welt hinauswabern zu lassen. Meine Augen begannen von dem Gestank zu tränen, im Umkreis von zehn Metern liefen alle blanken Metallteile mit Grünspan an und draußen vor dem geöffneten Kirchenfenster fielen die Vögel von den Bäumen.
Kalter Schrecken packte mich. Würde meine gasförmige Untat bis zu Pfarrer und Küster vordringen? Ich warf einen flehentlichen Seitenblick auf das geöffnete Fenster. Eigentlich sollte der Gestank abziehen.
Doch da verzerrte sich das Gesicht des Pfarrers. Er sah aus wie jemand, der gerade in einen Apfel gebissen hatte und feststellen musste, dass die Frucht vollkommen verdorben war. Es war um mich geschehen!
„Gütiger Vater im Himmel!“, ächzte der Geistliche und rang um Atem. Sein Gesicht nahm eine grünliche Färbung an. „Konnten Sie mich denn nicht wenigstens warnen?“
Der Küster, der gerade wieder an dem Teppich auf den Altarstufen herumgefummelt hatte, blickte verwirrt auf: „Bitte?“
Der Pfarrer schüttelte den Kopf wie ein Bär, dem eine Biene in die Nase gestochen hat. „Grundgütiger! Haben Sie im Leichenhaus gefrühstückt?“ Er wandte sich von dem verdutzten Küster ab und lief eiligen Schrittes davon – genau auf mich zu.
Ich erstarrte vor Entsetzen. Nun musste mein Verbrechen an den Tag kommen! Und spätestens morgen würde die gesamte Gemeinde wissen, dass ich die Kirche mit einer Giftgasattacke entweiht hatte.
Lieber Gott, bitte hilf mir!, flehte ich inbrünstig und neigte den Kopf wie zum Gebet.
Der Pfarrer kam näher. Schließlich blieb er genau vor mir stehen. „Ja bei allen Heiligen!“, dröhnte er. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“
Ich beugte den Kopf noch tiefer. Meine Wangen brannten vor Scham in Erwartung der verdienten Schimpfkanonade. Kein Geistlicher ließ es sich widerspruchslos gefallen, wenn man seine geweihte Betstätte mit solch höllischem Gestank verpestete.
„Ich fasse es einfach nicht!“, grollte die Stimme des Pfarrers direkt über meinem Kopf. „Das stinkt ja bis hierher! Guter Gott im Himmel!“
Ungläubig staunend blickte ich auf.
„Ja riechen Sie es denn nicht?“, fragte mich der Mann Gottes. „Welch ein Gestank! Wie von tausend faulen Eiern!“
Blitzschnell ergriff ich den hingeworfenen Rettungsanker. „Schnupfen“, nuschelte ich und deutete auf meine Nase. Der Pfarrer stob davon. Ich erhob mich und folgte ihm durch die Seitentür ins Freie.
Draußen lehnte sich der Pfarrer keuchend und mit tränenden Augen gegen die Außenwand der Kirche und rang nach Luft. „Grundgütiger!“, stöhnte er – ganz grün im Gesicht.
Ich murmelte einen Gruß und ging. Kaum war ich um die nächste Ecke gebogen, rannte ich, so schnell mich meine Beine trugen, davon. Weg! Nur weg von diesem Ort meiner Untat!
Erst im Auto kam ich wieder zu mir.
Was hatte ich getan!
Ein unbescholtener Mensch war zu Unrecht beschuldigt worden und alles war meine Schuld! Ich hatte meine Sünden beichten wollen und eine weitere schreckliche Sünde auf meine Schultern geladen!
Das Herz wurde mir schwer, auch wenn ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Der Küster hatte aber auch zu dämlich aus der Wäsche geguckt, als der Pfarrer ihn verdächtigte, in seiner Kirche Kampfgas freigesetzt zu haben. Mann, hatte der Kerl blöd geschaut! Wie ein Schaf! Määäh!
Doch es half nichts. Ich musste beichten, wenn ich Weihnachten mit gereinigter Seele feiern wollte. Aber zurückkehren an den Ort meiner abscheulichen Schandtat? Unmöglich! Das konnte ich nicht!
Also schlich ich mich davon wie eine räudige Hyäne.
Ich fuhr dreißig Kilometer, bis ich der Meinung war, weit genug vom Ort meines perfiden Verbrechens entfernt zu sein. In einem kleinen Dorf fand ich einen älteren Geistlichen, der mir die Beichte abnahm.
Vielleicht dauerte die Schilderung meiner gesammelten Missetaten eines ganzen Jahres zu lange und ermüdete den betagten Dorfgeistlichen? So schien es mir jedenfalls.
Denn als ich ganz zum Schluss von meiner Schandtat mit dem gräulichen Weihnachtsfurz berichtete, da vernahm ich aus dem Beichtstuhl neben mir ganz deutlich so ein seltsames schnarchendes Geräusch.
 
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Kommentare  

Also abgesehen von dem Gestank, den du verbreitet hast - muss immer noch lachen - würde es mich interessieren, was denn deine großen Sünden waren. Nee, nicht wirklich, die Story ist zu gut, so richtig schön weihnachtlich ...
Lieben Gruß!


Ingrid Alias I (12.12.2020)

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